Elektro-Rock aus Teheran
Ein Gastbeitrag von Tilo Kmieckowiak:
Die meisten Anfragen, die in das Mailpostfach vom Campus Regensburg e.V. flattern, sind auf Deutsch verfasst. Doch als uns vor einigen Monaten eine englischsprachige Nachricht erreichte, war unser Team ziemlich erstaunt. Es handelte sich um eine Anfrage aus Iran.
Die Band Langtunes aus Teheran hat nur wenige Auftrittsmöglichkeiten in ihrer Heimat, was der repressiven Kulturpolitik geschuldet ist. Die Elektro-Rock-Gruppe hat uns mit ihrem Sound direkt begeistert, weshalb wir uns entschieden haben, ihnen beim Campusfest 2014 einen Auftritt zu ermöglichen.
Weil mich die iranische Subkulturszene und das Leben junger Menschen in Iran faszinieren, habe ich mich kurzerhand dazu entschieden, der Band vorab ein paar Interviewfragen zukommen zu lassen.
Tilo: Wir freuen uns riesig, dass ihr dieses Jahr beim Campusfest dabei seid! Könnt ihr euch zunächst ein wenig vorstellen? Studiert ihr oder habt ihr studiert?
Behrooz Moosavi: Langtunes bestehen quasi aus mir und Kamyar Keramati (KK) und wir haben beide an der Universität unseren Bachelor absolviert. Mit der Zeit hat eine ganze Reihe von Musikern an Langtunes mitgewirkt. Garen, unseren Bassisten, würde ich mittlerweile als festes Bandmitglied bezeichnen. Er macht gerade seinen Master.
Das Studium unterscheidet sich in Iran ganz schön von dem in Europa. Man könnte das Bachelorstudium eher mit der Schulzeit vergleichen. Keiner nimmt es so recht ernst. Die meisten sehen es als eine Phase in der man Spaß hat und an die man sich später gerne erinnert. Für viele ist das auch eine Zeit, in der sie zahlreiche unterschiedliche Beziehungen eingehen. Die Studierenden sehen das als Chance, sich selber und auch das anderen Geschlecht besser kennenzulernen. Während der Schulzeit sind Jungen und Mädchen nämlich getrennt. Aber natürlich gibt es auch Leute, die das Studieren sehr ernst nehmen und Universitäten, die einem nicht erlauben, das ganze locker zu sehen. Das gilt jedoch nur für die wenigen Eliteunis. Während dem Master strengen sich die meisten dann doch sehr an.
Tilo: Jetzt mal zu eurer Musik: Wie würdet ihr euren Stil beschreiben, wer inspiriert euch?
KK: Eigentlich ist unser Stil eine Art Beschreibung unseres Alltags: Wir gehen zur Arbeit, bekommen unterwegs traditionelle, iranische Musik zu hören, und am Abend finden dann Partys statt, bei denen wir zu aktueller Musik tanzen. Wenn wir am nächsten Tag unsere eigene Musik spielen, dann ist das eine Verbindung all der musikalischen und kulturellen Eindrücke, die uns umgeben. Wenn ein Lied von uns westlicher klingt, dann hat uns eher westliche Musik beeinflusst. Gleiches gilt für die umgekehrte Richtung. Lange Rede kurzer Sinn: Es kommt darauf an, wie du dein eigenes Leben auf einer künstlerischen Ebene verarbeitest. Und das funktioniert letztlich wohl überall auf der Welt gleich.
Behrooz: Um das etwas weniger philosophisch auszudrücken: Wir bekommen unsere Inspiration hauptsächlich von englischen und amerikanischen Bands aus den Genres Indie, Electro und Alternative. Natürlich verändert sich das mit der Zeit, aber das ist schon die Basis des Ganzen. Natürlich hat KK aber Recht. Das Alltagsleben, die iranischen Traditionen und die Popkultur haben ihre eigene Wirkung auf uns.
Tilo: Ihr musstet ja einen ganzen Haufen Geld hinblättern, damit ihr Iran verlassen dürft. Das ist besonders durch den Wehrdienst bedingt, den ihr noch ableisten müsst; sozusagen als Pfand. Welche Hürden musstet ihr außerdem nehmen, damit ihr nach Europa kommen könnt?
Behrooz: Für Iraner ist es äußerst schwierig an ein Visum für den Schengenraum zu kommen. Es grenzt fast an ein Wunder, dass es bei uns geklappt hat. Wir haben bisher einfach Glück gehabt! Viel schlimmer ist jedoch, dass wir keine Möglichkeit haben, unser Schaffen dauerhaft ins Ausland zu verlegen. Für Bands aus anderen Ländern wäre das ganz normal. Als Künstler sehen wir uns nicht an einen bestimmten Kulturraum oder an eine bestimmte Nation gebunden. Man kann auch nicht durch imaginäre Grenzen gebunden werden, die politisch bestimmt wurden. Wenn man das Gefühl hat, dass die eigene Musik nicht wertgeschätzt wird oder dass man woanders bessere Chancen hat, nimmt man normalerweise einen Ortswechsel vor. Aufgrund der schwierigen Beziehungen, die die meisten Länder zu Iran haben, ist es für uns nicht leicht, dort dauerhaft einzureisen oder gar kurze Reisen zu unternehmen. Und da wir in unserer Heimat nicht frei Musik machen können, ist das die größte Herausforderung für uns. Das heißt, dass wir entweder unsere Karriere aufgeben oder es irgendwie schaffen müssen, zumindest für ein Jahr auszuwandern. Die meisten iranischen Bands geben schnell wieder auf, da sie in ihrer Heimat keinen Weg finden können, ihre eigene Musik zu machen.
KK: Wenn wir unsere Musik in Europa spielen wollen, dann ist das in etwa mit einem Aufstieg zum Mount Everest zu vergleichen. Wir müssen unserer Regierung 5000 Dollar zahlen, damit wir ausreisen können. An das Geld zu kommen, ist eine riesen Arbeit! Aber wir wollen in Europa spielen und daran wird uns nichts und niemand hindern.
Tilo: Ich habe auch gehört, dass ihr erst ein oder zwei offizielle Auftritte in Teheran hattet. Wie kommt das?
Behrooz: Eigentlich waren das noch nicht mal offizielle Konzerte. Abgesehen von unseren unangemeldeten Konzerten in Teheran hatten wir zwei QUASI angemeldete Auftritte. Das heißt, bei den Behörden wusste niemand von unseren Gigs und wir haben die Auflagen des Ministry of Culture and Islamic Guidance umgangen. Wir ließen die Konzerte mit Hilfe eines Kulturinstituts als wissenschaftliche Studien labeln, jedoch durften dann nur Musikstudenten im Publikum sein und die zur Verfügung stehende Location war winzig. Werbung und Ticketverkauf waren auch nicht erlaubt. Nach unserem ersten Auftritt in dem Rahmen bekamen wir einen behördlichen Anruf, bei dem uns angedroht wurde, dass man uns bei einer Wiederholung festnehmen würde. Das Konzert für den folgenden Abend haben wir dann abgesagt.
Tilo: Über die Einschränkungen, denen iranische Künstler unterliegen, können wir immer wieder in Zeitungen lesen. Wie lautet die dahinter stehende Begründung der Regierung?
Behrooz: Wir nennen Iran das “Land der Gegensätze”. Es gibt eine große Anzahl paradoxer Regeln, islamischer Gesetze und ein mächtiges Regime, das deren Einhaltung überwacht. Gleichzeitig gibt es wohl mehr Menschen als sonst wo auf der Welt, die sich Regeln widersetzen. Ich meine damit, dass eigentlich jeder täglich diese Gesetze bricht. Meistens denkt man noch nicht einmal darüber nach. Geschweige denn, dass man irgendwelche Bedenken hat. Wir gehen alle Beziehungen vor der Ehe ein oder trinken Alkohol, obwohl die islamischen Gebote das verbieten. Diese “Vergehen” werden meistens nicht bestraft, außer man hat Pech. Einmal wurden Garen, ich und unsere Freundinnen aufgehalten, als wir gerade mit unseren Instrumenten auf dem Weg zu einer Party waren. Garen wurde zu 9 Monaten Haft verurteilt, weil er eine halbe Flasche Wodka bei sich trug. Wir anderen wurden zu 100 Peitschenschlägen verurteilt, weil wir uns in Beziehungen befanden, Instrumente bei uns trugen und einfach, weil ihnen unser Aussehen nicht passte. Solche Vorkommnisse ziehen sich eigentlich durch das ganze Leben. Meistens kannst du machen, was du willst und es ist kein Problem. Wenn du aber erwischt wirst, dann kann das großen Ärger bedeuten. Man kann jeden Tag rund die Uhr feiern und damit davon kommen, oder aber auch auf dem Weg zu einer Party verhaftet werden.
Tilo: Wie können sich Künstler in Iran dann ausdrücken? Wie genau umgeht ihr die Einschränkungen und welche Freiheiten habt ihr?
Behrooz: Es kommt ganz drauf an. Manche ziehen sich zurück. Manche schaffen es irgendwie auszuwandern. Andere versuchen sich innerhalb der gesetzten Grenzen zu bewegen, während sie sich immer auf einem ganz schmalen Grat am Rande des Gesetzesverstoßes bewegen. Wir selber versuchen im Untergrund aktiv zu sein, wo es dann jedoch immer schwierig ist, sein Publikum zu finden. Was unsere Freiheiten betrifft, würde ich es so halten: jemand, der in einer schlimmeren Situation lebt als wir, der würde sich vielleicht über unsere Möglichkeiten freuen. Man weiß nie, was man hat, bevor man es verliert.
Tilo: Präsident Rohani, der 2013 den als Hardliner geltenden Ahmadinedschad abgelöst hat, gilt als offen für Veränderungen. Denkt ihr, dass es grundlegende Veränderungen geben wird?
Behrooz: Ich glaube, dass er natürlich offener sein möchte, aber so einfach ist es nicht. Es ist vorstellbar, dass sich selbst der viel mächtigere Ajatollah Khameinei (Anm.: Irans höchster religiöser Rechtsgelehrter und de facto Staatsoberhaupt) ein liberaleres Iran wünscht. Nicht, weil er das gut fände, jedoch weil er letztlich keine anderen Wahl sieht. Die letzten Jahre haben ja gezeigt, wozu das Gegenteil führt. Aber das Regime hat in den vergangenen drei Jahrzehnten einen bleibenden Abdruck hinterlassen. Eine Krankheit, die sich sehr lange Zeit ausbreitet, kann man auch nicht so einfach heilen. Ich möchte damit sagen, dass wir bereits die Antithese zum Regime gebildet haben und man das auch eingesehen hat. Aber das kann der Präsident seinem Volk nicht über Nacht beibringen, da dann Unruhen zu erwarten sind. Die Brüche im Herrschaftsapparat sind jedoch mittlerweile so groß geworden, dass ein weiterer Zerfall nicht aufgehalten werden kann. Für eine lange Zeit herrschte ein klares Machtmonopol, doch mittlerweile gibt es in diesem Spiel neue Mitspieler. Es ist außer Kontrolle geraten. Nach der Wahl gab es bereits viele kleine Veränderungen, aber der große Umbruch ist bisher ausgeblieben. Die wirtschaftliche Situation hat sich jedoch schon verbessert. Das gleiche gilt auch für unsere internationalen Beziehungen. Für uns selber war das letzte Jahr schwierig, aber ich denke auch, dass wir da kein gutes Beispiel sind.
Tilo: Bei all den Einschränkungen, denen ihr im Alltag begegnet… denkt ihr, dass die Freiheit des Individuums in liberalen Demokratien ein universeller Wert ist, den jeder Mensch verfolgt?
Behrooz: Ich denke, dass die Freiheit des Individuums als eigenständiger Wert universell werden kann, aber bisher sehe ich das noch nicht als gegeben. Es ist ein Exportgut, das manchmal auch mit Gewalt verbreitet wird. Solange diese Werte importiert werden, kann das nicht funktionieren. Das muss von innen kommen.
KK: Ich denke, dass letztlich alle Menschen an den genannten Punkt kommen. Aber der Zustand, von dem du sprichst, herrscht nicht in Iran. Wir leben in unterschiedlichen Regionen. Die iranische Bevölkerung versucht sich noch an Demokratie, während sie die Europäer bereits leben. In einer globalisierten Welt werden wir jedoch alle den Punkt der individuellen Freiheit erreichen. Ich hoffe nur, dass wir diese Zeit (Anm. d. Übersetzers: in Iran) noch erleben werden.
Tilo: Manchmal wirkt es auf mich so, als würde in den Medien nur über die Schattenseiten berichtet werden. Erzählt doch mal von den Dingen, die ihr an eurer Heimat besonders schätzt.
Behrooz: Iran ist ein großes und wunderbares Land mit wundervollen Menschen, die unter den richtigen Voraussetzungen viel erreichen können. Aber wie ich vorher schon gesagt habe: ich kann nicht wirklich sagen, was ich besonders schätze, da ich an den guten Dingen selber auch teilhabe. Momentan fallen mir eher die Dinge auf, die mir weniger gefallen. Was bringen mir tolle Landschaften und Städte, wenn ich nicht in Freiheit leben kann? Aus der Perspektive eines Reisenden ist Iran jedoch tatsächlich das Land von 1000 und einer Nacht. Iran ist wohl eines der sichersten Länder der Welt – vielleicht sogar sicherer als die USA und man kann sich völlig frei bewegen. Die iranische Bevölkerung ist sehr nett zu Touristen. Man wird dir Souvenirs schenken und dich ständig zum Essen oder auf Partys einladen. Außerdem hat Iran eine reichhaltige Kultur und prächtige alte Städte zu bieten. Ich verurteile die Medien auch nicht. Vielmehr liegt die Art der Berichterstattung an den Konsumenten. Die Menschen erwarten immer aufregende Nachrichten, wobei es dann meistens um negative Dinge geht. Wer interessiert sich schon für gute Nachrichten, außer sie betreffen einen direkt selber. Wenn gesagt wird “Heute wurde in Afghanistan niemand getötet”, dann interessiert sich keiner dafür. Wenn jedoch über die iranische Atombombe berichtet wird, hat man – BÄM – die ganze Aufmerksamkeit.
KK: Es hat sich trotzdem schon einiges getan. Es gibt zum Beispiel eine Kampagne, in deren Rahmen Leute aus der internationalen subkulturellen Szene hier her kommen und dann sehen, dass es bei uns ganz ähnlich ist wie bei ihnen. Aber über sowas wird meistens nicht berichtet. Häufig passiert das vielleicht aber auch aus Unwissenheit, denn als Außenstehender es ist schon aufgrund der sprachlichen Hürde nicht so einfach, die iranische Kultur zu verstehen.
Tilo: Viele Dank für das Interview! Gibt es noch etwas, dass ihr uns mitteilen wollt?
Behrooz: Danke, dass wir beim Campusfest spielen dürfen. Das ist eine tolle Auftrittsgelegenheit für uns.
Am 12.06.2014 treten Langtunes um 20.00 Uhr auf der Musikbühne beim Campusfest auf