Wenn die große Kälte kommt
Nizza. Das heißt doch 27°C, Sonnenschein, Strand und Meer – oder nicht? In Nizza »überwintern« heißt aber vor allem: Wie viele Heizlüfter hast du? Und geht bei Minusgraden die Welt unter? Manche meinen: ja.
von Selina Roos
Für meine heutige Wohnsinn-Geschichte nehme ich euch mit ins französische Nizza, wo ich vor zwei Jahren zwei Semester an der Uni studiert habe. Diese Stadt liegt zwar gerade noch auf dem französischen Abschnitt der Küste, ist aber in Bezug auf Demografie und Klima gefühlt schon halb Italien. Im Laufe meines Aufenthalts erlebte ich auch den dortigen »Winte«, der im mediterranen Raum allerdings kaum diesen Namen verdient – finde ich. Wenn es nach so manchem Franzosen geht, ist die kalte Jahreszeit dort aber mindestens ein Grund zur Beunruhigung, wenn nicht sogar zum lokalen Verkehrskollaps.
Zwölf Grad tagsüber und fünf Grad in der Nacht sind die Regel, darunter geht es nur selten. Dass es in Nizza nur alle paar Jahre mal friert, geschweige denn schneit, verwundert da nicht. Entsprechend sind auch die Gebäude und die Infrastruktur konzipiert. Dämmung? Kennt man nicht. Streufahrzeuge? Fehlanzeige. Stattdessen behilft sich der verfrorene Südfranzose gern mit Heizlüftern im heimischen Bad, wie die Vermieterin meiner Mitbewohnerin und mir versicherte. Ob wir nicht auch einen bräuchten? Es sei im Winter ja schon sehr kalt. So ganz überzeugt hat uns das nicht – bei 27°C Mitte September.
Schließlich war es Anfang Dezember und wir waren gerade auf der Suche nach einer Lichterkette. Im nahegelegenen Baumarkt herrschte allerdings keine vorweihnachtliche Stimmung, denn eine Meldung hatte die ganze Stadt in Aufruhr versetzt: »Alerte Grand Froid« – »Warnung vor großer Kälte« stand auf gut sichtbaren Plakaten direkt im Eingangsbereich. Darunter war der Wetterbericht für die folgenden Tage abgedruckt. Bei dem großen Kälteeinbruch, mithilfe dessen eine Armee an Heizlüftern beworben wurde, sollte es tatsächlich bis zu minus vier Grad kalt werden – nachts. Hilfe.
Man hätte meinen können, wir befänden uns in einem tropischen Südseeinselstaat, der sonst nur Temperaturen über 15 Grad kennt und wo die Menschen in zugigen Strohhütten lebten. Aber dass ein paar Grad unter Null in unserem Nachbarland Frankreich eine solche Endzeitstimmung auslösen (wobei Nizza auch noch am Fuße der Alpen liegt), scheint doch ein wenig … übereilt. Ob man da nun die Bevölkerung zu Heizlüfter-Hamsterkäufen oder Ähnlichem motivieren muss, sei mal dahingestellt.
Was aber tatsächlich einen lokalen Notstand auslöste, war der Schneefall kurze Zeit später. Wieder waren die Temperaturen leicht unter den Gefrierpunkt gesunken und eines Morgens fielen dann ein paar Schneeflocken, was auch umgehend von meinen französischen Kommilitonen fotografiert wurde. Da es in der Nacht sogar liegen blieb und am nächsten Morgen immer noch eine dünne Schneedecke die Straßen bedeckte, brach der Verkehr allerdings fast komplett zusammen. Kurse und sogar Prüfungen an der Uni mussten ausfallen, weil keine Busse fuhren und – da niemand Winterreifen besaß – Autofahren kaum möglich war. In einer Rundmail wurden wir sogar ausdrücklich dazu aufgefordert, uns nicht auf den gefährlichen Weg zum Campus zu begeben.
Nun gut, die Häuser nach traditioneller Bauweise sind wirklich nicht gut gedämmt und die Reifenprofile vieler Autos tatsächlich so schlecht, dass ich mich schon bei Starkregen über die wenigen Unfälle wundere. Leichter Frost und ein bisschen Schnee sind trotzdem noch lange kein apokalyptischer Wintereinbruch und lassen sich – keine Sorge – sehr gut mit der hauseigenen Heizung und einem Satz Winterreifen überstehen.
Nächste Woche meldet sich dann Alex aus dem tatsächlich frostigen Regensburg wieder mit einer Story aus seiner WG.