Die Plastikbadewanne der Studentenwünsche
Über Strohhalm-Basketbälle, Papierboote und Vorlesungsdebatten. Erfahrungen nach einem Semester Erziehungswissenschaften.
Ein Kommentar.
Erziehungswissenschaften – das klingt toll, das klingt hipp, da mach ich mit!
Ich verneige mich vor all meinen Professoren, allen Dozenten, allen Wissenschaftlichen Mitarbeitern im Fach der Erziehungswissenschaften. Ein Hoch auf all die, die sich einen Überblick über dieses große Feld der oft scheinbar undurchdringlichen Strukturen und Strukturierungen von Bildung und Erziehung verschafft haben und nun selbst die Fäden hier am Uni-Campus in der Hand halten.
Rubrik Nebenfach. Ich liebe Kinder und sehe eine unserer elementarsten Aufgaben in deren Bildung und Erziehung. Saß ich nicht selbst vor einigen Jahren noch auf einem doch sehr bequemen dunkelbraunen Plastikstuhl in einem Ocker gestrichenem Schulzimmer und fragte mich, ob man das da vorne nicht besser machen könne?
Nun ist es soweit: Erziehungswissenschaften als Nebenfach. Meine Möglichkeit, Teil zu werden, etwas zu hinterlassen, das Ruder rumzureißen und Deutschlands Nachwuchs zu retten. Läuft doch so vieles falsch hier. So unglaublich viel. Aber in der Universität ist endlich alles anders. Hier wird gedacht. Hier wird philosophiert. Hier wird revolutioniert.
„Wir wollen unsere Wünsche an unsere Unizeit auf ein Papier schreiben, es zu einem Boot falten und hier vorne auf die Reise schicken“. Ich blicke auf eine orangene, mit Wasser gefüllte Plastikwanne, die eine eifrige Studentin extra mitgebracht hat – als nächstes laufen wir durch die Ecken unseres Saales, kleben farbige Punkte (blau für „Ja“, orange für „Nein“) an die Wände und dürfen abschließend die Finger einer auf DIN-A4-Größe ausgedruckten Handfläche beschreiben. „Was hat dir gefallen? Was nicht so sehr?“ Abschließend eine Diskussion: „Sollen die Vorlesungen an der Universität abgeschafft werden?“
Mich beginnt es zu drehen. „Ja, weil man da eh nicht hingeht und das was einem wirklich was bringt, sind die Seminare, da lernt man wenigstens, was man später im Betrieb braucht.“ Mir wird ganz komisch. Wo bin ich hier? Vorlesungen abschaffen? Ihr wollt mir das nehmen, was mich am meisten inspiriert? Was mich in all dieser Modularisierung, all dieser Auswendiglernerei, in all diesem Trimmen auf schnellstmögliche Arbeitskraft im Uhrwerk unserer Leistungsgesellschaft noch motiviert – meinen Professor, dessen zu seinem Pult geneigter Kopf mir jedesmal zuzuflüstern scheint: „Ich durfte noch… ja, ich durfte noch studieren“.
Stu-de-re (lat.) – sich bemühen, wollen, sich bilden. „Es ist auch einfach viel sinnvoller, weil mit den Vorlesungen kann man eh nix anfangen. Ich war mal in ‘ner Geschichtsvorlesung, da kommt der Professor um 8 rein, liest bis um viertel vor zehn und geht wieder. Und keiner passt auf. Der kann das ja auch gar nicht kontrollieren. Da kann man sich‘s auch gleich spar‘n.“ Ich glaube, ich versinke. Bitte, lass es eine Sinnestäuschung sein, dass die Hälfte der Anwesenden eifrig nickt.
Erziehungswissenschaften. Universität. Wo bin ich? Wo wollte ich hin? Ich wollte Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte studieren. Habe Eindrücke in der Theologie gesammelt, Seminare in Germanistik besucht und bin nun in der Bildenden Kunst gelandet. Ich fühle mich wohl. Ich brauche das. Ich möchte noch viel mehr. Ich brauche noch viel mehr. Ich weiß, wer ich bin, aber ich weiß nicht, wer ich alles sein kann. Ich brauche Eindrücke, Wissen, Erfahrung, einen Überblick und Zeit. Ohja, wo bleibt nur die Zeit. Psychologie, das würde mich noch reizen. Aber mir bleiben nur noch drei Semester. Dann sagt das Bafög-Amt Lebewohl. Ich muss mich entscheiden, ich habe mich entschieden. Nun bastle ich Papierboote…
Vielleicht bin ich zu voreingenommen. Sicher wird es nächstes Semester anders. Sicher kleben wir nächstes Semester nicht mehr Basketbälle aus Eiern und Strohhalmen zusammen. Vielleicht liegt es an mir? Vielleicht muss ich mich mehr öffnen, vielleicht übersehe ich etwas? Vielleicht kann mir die Frau helfen, die die orangene Wanne mitgebracht hat. Sie können doch nicht alle falsch liegen. Vielleicht schreibe ich auf mein Papierschiff doch etwas…
Text: Isabel Zimmermann
Foto: Andrew Niddrie