Leben, um zu tanzen! – Teil I

Leben, um zu tanzen! – Teil I

»Wir vergessen jetzt alles, was es Negatives auf dieser Welt gibt und wir feiern das Leben!« – Lisa Atieno über Dancehall, das ‚Ja‘-Sagen und das Problem mit Leidenschaften.

Lisa Atieno (27; richtiger Name Lisa Plümacher) arbeitet als Sozialpädagogin in Teilzeit und ist gleichzeitig Tanzlehrerin, unter anderem beim Unisport. Sie tanzt vor allem Jazz und Dancehall und ist Teil der ReWine Crew und der Kotch&Rhapsody Tanzcompany in Regensburg. Im Interview mit Anika Schiller spricht sie über Ihre Karriere als Tänzerin, die nie so geplant war, über die Freiheit der Nicht-Selbstständigkeit und über die positiven, aber auch kritischen Seiten von Dancehall. In unserer Serie »Leben, um zu tanzen«, lassen wir leidenschaftliche Tänzer und Tänzerinnen zu Wort kommen.

Lisa Atieno arbeitet als Sonderpädagogin in Teilzeit und ist gleichzeitig Tanzlehrerin.    (Foto: privat)

Liebe Lisa, vielen Dank, dass du dich für das Interview bereit erklärt hast. Kannst du zunächst einmal erzählen, was du mit dem Tanzen am Hut hast? Wie bist du dazu gekommen und welchen Platz nimmt das Tanzen in deinem Leben ein?

Mit sechs oder sieben Jahren habe ich mit Tanzunterricht begonnen, erst Ballett, dann Jazz und irgendwann Standard- und Latein Tänze. Ich hatte nie gedacht, dass ich das jemals beruflich machen würde. Nach dem Abi war ich in Kenia als Freiwillige mit dem Weltwärts Programm. Dort habe ich mich immer mehr mit den afrikanisch-karibischen Rhythmen angefreundet und mir hat sehr gefallen, wie die Musik und der Tanz in den Alltag integriert werden. Ich bin dann zum Studieren – Musik- und Bewegungsorientierte soziale Arbeit – nach Regensburg gezogen und da haben sich meine Stile etwas geändert. Ich bin wegen des Studiums zum einen Richtung Modern gegangen und zum anderen habe ich angefangen immer mehr Dancehall-Workshops zu besuchen. Da hat es mich jetzt letztendlich auch hingetrieben. Während dem Studium hat sich auch noch mehr die didaktische Seite in mir ausgebildet. Ich hatte in Kenia schon kleine Mädels unterrichten und gemerkt, dass ich das ganz witzig finde. Aber das ich überhaupt mal Gruppen leite, habe ich vorher auch nicht gedacht. Aber es hat sich dann mal angeboten, dass ich Jazzdance unterrichte und später eben auch Dancehall. Und es ist dann immer mehr geworden.

Und jetzt?

Jetzt ist es ein riesen Teil meines Lebens. Ich habe außerdem angefangen aufzutreten. Ich hätte nie gedacht, dass mir das Spaß macht. Mit der Kotch & Rhapsody Tanzcompany und der ReWine Crew ist es jetzt aber mehr geworden. Auftreten war aber nie etwas, was ich unbedingt machen wollte. Also, ich wollte immer tanzen, aber es war nie so, dass ich gesagt habe, das muss jetzt unbedingt sein, ich kämpf mich da durch, sondern es ist mir einfach alles so passiert. Und ich hab dann auch die Möglichkeiten ergriffen und immer »Ja« gesagt, wenn mich jemand gefragt hat: »Lisa, kannst du was machen?«

Bist du generell ein Mensch, der viel »Ja“ sagt?

Ja [lacht]. Ja, würde ich schon so sagen. Zum einen mag ich Herausforderungen, ich probiere gerne neue Sachen aus und nehme Herausforderungen an. Und zum anderen, macht mir einfach so viel Spaß!

Du machst ja schon ziemlich viel: Du probst für Auftritte, wie den im Degginger [siehe Fotogalerie], unterrichtest im W1, an der Uni, in verschiedenen Tanzstudios. Und dann hast du auch noch deine normale Arbeit. Wird dir das nicht manchmal zu viel?

An sich nicht. Ich würde gerne mehr machen, aber mein Körper steht mir im Moment ziemlich im Weg, weil ich wohl etwas zu oft »ja« gesagt habe [lacht]. Vor allem im letzten Sommer habe ich einfach so extrem viel getanzt und ignoriert, wenn ich kleine Verletzungen hatte oder mir etwas wehgetan hat und ich glaub, dass ich mich da körperlich etwas übernommen habe. Das dauert jetzt ein bisschen länger und deshalb habe ich vorübergehend ein paar Kurse abgegeben. Man muss schon schauen, dass man sich immer auch etwas Zeit für sich nimmt. Das ist immer das Problem mit Leidenschaft, da übertreibt man es gerne mal.

Könntest du dir vorstellen, komplett vom Tanzen zu leben?

Ich glaube nicht, aber ich habe das noch nicht so in Erwägung gezogen. So wie ich es jetzt mache, gibt mir das total viel Sicherheit. Ich habe eine 20-Stunden-Stelle als Sozialpädagogin, die ich zeit- und kräftetechnisch gut machen kann und auch mal was ganz anderes ist. Und wenn ich mir jetzt ein Bein breche, bin ich immer noch abgesichert. Trotzdem habe ich genug Zeit für die ganze Tanzerei. Und ich kann dadurch auch mal zusagen, wenn jemand mit sehr geringem Budget eine Tanzlehrerin sucht, weil ich sowieso nicht darauf angewiesen bin. Andererseits kann ich auch mal sagen, ne, das mache ich jetzt nicht, weil die Bedingungen nicht stimmen oder weil ich keine Zeit oder einfach keine Lust habe. Ich bin also sehr frei in meiner Wahl, was ich machen will und was nicht.

Du tanzt ja unter anderem Dancehall. Für die Leser, die das nicht genau kennen, was zeichnet Dancehall aus?

Dancehall ist ein Tanzstil, der aus Jamaika zu uns gekommen ist und umfasst viele verschiedene Sachen. Viele Leute, die schon mal davon gehört haben, haben ein sehr einseitiges Bild davon und wissen gar nicht, was das alles beinhaltet.

Worin besteht dieses einseitige Bild?

Mhhh… Sehr leicht bekleidete Frauen [lacht]. Was sicher auch dazu gehört. Es gibt einen Teil, der heißt Female Dancehall, der ist sehr körperbetont, aber zugleich auch sehr selbstbewusst.

Ok, und zu den anderen Aspekten von Dancehall?

Dann gibt es auch Schritte, die heißen dann male steps, werden aber von Frauen wie Männer getanzt. Da gibt’s zum einen sehr aggressive Schritte, wo man die Hände in sogenannten Gunfingers hält. Zum anderen aber auch ganz weiche, flowige Schritte, die auch immer beliebter werden und fast schon aussehen wie contemporary. Das ist ganz emotional und der ganze Körper wird miteinbezogen, super schön. Und dann gibt es noch die Sparte Social Dances, alles Tänze, die man leicht lernen kann und wenn die entsprechenden Lieder auf einer Party gespielt werden, tanzen alle gemeinsam die gleichen Schritte. Also, in allen Bereichen gibt es feste Schritte, die man lernen kann. Dann hat man irgendwann ein Repertoire, das man hernehmen kann für Freestyle oder auch für eine Choreo. Das ist super cool und auch noch voll in der Entwicklung. In Deutschland gibt es Dancehall ja noch gar nicht so lange, vielleicht so seit 15 Jahren.

Und wo kann man Dancehall-Musik hören?

In den Charts läuft jetzt kein Dancehall, aber es gibt ein paar Partys, auf die man gehen kann [siehe Infos unten] und in München und Nürnberg gibt es eine Szene und es ist schon cool, einfach eine andere Art zu feiern. Gemeinschaftlicher.

Was reizt dich persönlich am Dancehall?

Die Rhythmen. Ich liebe Rhythmus und in vielen dieser Tänze und Lieder steckt für mich so viel Lebensfreude und Positivität. Nach dem Motto, wir vergessen jetzt alles, was es Negatives auf dieser Welt gibt und wir feiern das Leben! Was mich am Female Dancehall begeistert, ist, dass die Frauen ein sehr positives Körperbild haben und auch sich selbst irgendwie total feiern. Ja, das macht einfach voll Spaß und man kommt mit einem guten Gefühl raus. Auch Workshops sind immer mehr wie eine kleine Party.

Glaubst du, dass Frauen in Deutschland im Vergleich zu Jamaika ein bisschen dieses positive Körperbild fehlt?

Ja. Also nicht unbedingt nur Frauen in Deutschland. Und ich sage nicht, dass die jamaikanische Dancehall-Kultur nicht krass geprägt ist von Schönheitsidealen, ganz im Gegenteil. Aber was hier stark vertreten ist, ist dieser Magertrend und überhaupt die Betonung auf »Ich möchte in eine bestimmte Norm passen« oder »Ich möchte irgendjemandem gefallen«. Das ist ja auf der ganzen Welt so. Man kann jetzt nicht unbedingt sagen, dass das Bestreben von Dancehall ist, aber für mich ist es super wichtig, in den Vordergrund zu stellen, dass einen das am schönsten macht, dass man sich selbst wohlfühlt. Und dass wir alle super verschieden sind, aber ne Menge Freude haben können mit dem Körper, den wir haben. Es ist super, das zu erleben und dafür bietet Tanz einen super Rahmen. Und gerade ein Tanzstil, der die Schönheit des Körpers so feiert, bietet sich da an.

Im Dancehall finden sich auch viele Sexismen und gewaltverherrlichende Texte. Wie gehst du damit um?

Das ist tatsächlich etwas, wo ich auch immer wieder mit mir selber in einer Debatte bin. Ich habe auch immer ganz viele Diskussionen darüber und spreche in meinem Unterricht viel darüber, weil ich das prinzipiell sehr kritisch sehe. Zum einen begrenze ich meine Stunden alterstechnisch oder ich passe eben die Musikauswahl und die Bewegungen an das Alter der Teilnehmer an. Zum anderen spreche ich darüber, woher das kommt: Dancehall ist keine Musik, die von einer sehr behüteten Oberschicht kommt, sondern von Leuten, die vielleicht selber Bandenkriege erlebt haben. Und in einer extrem konservativen und einengenden Gesellschaft aufgewachsen sind.

Wenn ein Lied in irgendeiner Weise diskriminierend ist, dann verwend ich es auch nicht, vor allem, wenn es schwulenfeindlich ist. Da schaue ich, dass ich das mit meiner eigenen Moralvorstellung vereinbare. Klar, ich unterrichte auch mal Gunsteps, man muss das auch nicht unbedingt überbewerten. Nicht jeder verkörpert immer 100 Prozent von dem, was er gerade tanzt. Es ist vielleicht auch einfach mal gut, um Aggressionen rauszulassen. Mir macht das schon manchmal Spaß.

Gewaltverherrlichende Texte kann man auch einfache Mal nicht verwenden, bei Sexismen muss man schauen. Wenn es nur um Sexualität geht, dann ist das ja erst einmal nicht schlimm. In erster Linie sollst du dich in meinem Kurs auf eine positive Weise mit deiner sexuellen Ausstrahlung auseinandersetzen, aber auch mit einem kritischen Blick.

Mir sind diese Punkte schon alle bewusst und ich versuche da einen Umgang zu finden. Das ist manchmal eine Gradwanderung. Aber ich denke, dass man so auf viele Themen auch erst einmal kommt.

Was ist dir als Tanzlehrerin am wichtigsten, dass du deinen Schülerinnen und Schülern vermittelst? Gibt es da irgendeine Quintessenz?

Ich möchte in erster Linie einfach jedem Zugang zum Tanzen ermöglichen, der Lust darauf hat. Ich unterrichte ja vor allem auch Anfänger-Gruppen. Und das Ziel beim Tanzen soll immer sein, eine gute Zeit zu haben und sich auf positive Weise mit seinem Körper zu beschäftigen. Und vielleicht auch den Tanz als Sprache, als Kommunikationsmittel zu erlernen, womit ich mich ausdrücken kann. Das kann  im Bezug auf andere sein, als Interaktion, oder um Gefühle nach außen zu tragen. Egal ob es darum geht, Gefühle zu verarbeiten, kennenzulernen oder auch einfach nur etwas darzustellen, wie ein Schauspieler, das kann ganz vielfältig sein. Wenn man tanzt, verändert sich in seinem Inneren sicher etwas, und auch umgekehrt können innere Zustände den Tanzstil beeinflussen. Das ist eine coole Erfahrung, die jeder einmal machen sollte.

 

INFOS ZU DANCEHALL UND JAZZDANCE TANZEN IN REGENSBURG:

Wo gibt es Kurse?

  • Beim Unisport à Kurse für Jazz und Dancehall
  • Im Tanzstudio Polesition beginnt am 16. Januar ein Dancehall-Blockkurs
  • Im W1 à Blockkurs Jazzdance für Anfänger von Lisa
  • Diverse Workshops bei der VHS
  • Im neu gegründeten Kotch&Rhapsody Tanzstudio à günstige & flexible Angebote für Studenten

Wo kann man in Regensburg einfach so Dancehall tanzen?

  • Good Call Session à Dancehall, Raggae, Dub & Hip Hop
  • Full A Vibez à Dancehall, Raggae & Jamaican Music
  • In der Facebook-Gruppe Raggae & Dancehall Regensburg werden viele Events und Workshops gepostet

Wie kann ich mit Lisa tanzen lernen oder Lisa tanzen sehen?

  • Am besten folgst du ihr auf Facebook, dann verpasst du garantiert nichts: Lisa Atieno Tanz

 

Fotogalerie: Anika Schiller

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