Ratisbonnais | Nationalstolz und EM – Von unbeugsamen Galliern und Furcht erregenden Teutonen
Unsere Autorinnen Olga und Lisa kommen aus dem Zentralmassiv im Herzen Frankreichs. Schon seit Oktober wohnen die beiden in Regensburg und haben die Stadt genauso wie die Eigenheiten ihrer Bewohner seitdem immer mehr ins Herz geschlossen. Der ein oder andere „what the fuck?!“-Moment bleibt ihnen allerdings auch jetzt noch nicht erspart. In ihrer Kolumne Ratisbonnais erzählen sie vom Leben als Französinnen am Weißwurstäquator.
Wir sind aus Frankreich und das erzählen wir gerne. Egal, ob man über Brot, Studium oder Urlaubsorte redet, eines ist sicher: Wir haben stets das Beste. Wir sind stolz aus Frankreich zu kommen und es liegt uns in den Genen gute Werbung für unser Land und unsere Landsleute zu machen. Das sieht dann ungefähr so aus: »Du weißt nicht, wo du deine Sommerferien verbringen sollst? Komm doch zu uns! Hier ist es am schönsten! Die Leute sind da so nett! Boah, igitt! Was ist das für ein schlechtes Baguette! Unsere schmecken tausendmal besser!« Naja, so ungefähr.
Es war für uns dementsprechend erstaunlich, als wir merkten, dass unsere germanischen Nachbarn eher nicht zeigen, dass sie glücklich sind, Teutonen zu sein. Die Deutschen sind eher schüchtern, was Stolz angeht. Das dachten wir zumindest. – Und dann kam die EM .
Da war auf einmal alles völlig anders. Alle wollten plötzlich Jérôme Boateng als Nachbarn und egal, ob Spieltag oder nicht, ein Fußballtrikot zu tragen ist anscheinend zum Alltagstrend geworden. Fußball ist Deutschlands Nationalsport, das wussten wir schon, aber trotzdem waren wir überrascht von dieser riesigen Begeisterung. Nie hätten wir uns vorstellen können, dass es schon ab der Gruppenphase Public Viewing gibt und – schlimmer – dass schon so früh im Turnier Leute nach dem Spiel mit lautem Gehupe durch die Stadt fahren. Genauso laut wird auch die Nationalhymne vor jedem Spiel gesungen. Es war bestimmt das erste Mal, dass wir das in Deutschland so beobachten konnten. Natürlich gehören auch Schmuck und Deko zum »Ich-unterstütze-die-deutsche-Mannschaft-Starter-Pack«, nicht zuletzt für’s eigene Auto. Jüngste Eskalation: Als Deutschland gegen Italien in Viertelfinale gewann, wurde in Hamburg sogar ein Feuerwerk abgebrandt.
Ist das alles nicht ein bisschen übertrieben? Die EM ist doch noch nicht gewonnen, oder? Warum also das Ganze?
In einem eher klischeehaften Film »Französisch für Anfänger« (2006) wird die folgende Erklärung angeboten: Deutsche sind stolz auf ihre Erfolge, aber nicht darauf Deutsche zu sein. Franzosen dagegen sind stolz Franzosen zu sein und deswegen Erfolg auch zu haben. So falsch klingt das gar nicht. Fußballerisch gesehen sind die Deutschen ja schließlich Weltmeister, haben ein Team, »Die Mannschaft«, und nicht nur einen einzigen guten Spieler, der alles rettet, und überall auf dem Globus werde sie als Fußballgötter verehrt. Das sind doch ein paar gute Gründe um mit Stolz geschwellter Brust herumzulaufen, oder? Wir Nachbarn von der anderen Rheinseite sind sicher, dass wir Europameister werden, weil wir im eigenen Land ohnehin immer gewinnen und sowieso die Favoriten des Turniers sind. Punkt.
Ob diese Prognose tatsächlich stimmt, erfahren wir dann allerdings erst am 10. Juli. Und nachdem sich die unbeugsamen Gallier und die Furcht erregenden Teutonen heute auf dem Spielfeld getroffen haben. Sollten wir da verlieren, würden wir den Kummer jedenfalls mit Wein und Baguette verringern. Weil wir beides am besten machen.
Text und Foto: Olga Lévesque