Ohne Gottes Anwesenheit
Der offizielle Abschlussfilm „Alleluia“ des diesjährigen Heimspiel-Festivals in Regensburg wurde als normaler Liebesfilm verkauft. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Love-Story der anderen Art, gepaart mit Wahnsinn, Grausamkeit und fantastischen Bildern. Inspiriert von einer wahren Begebenheit.
Es trügen nicht nur der Titel und die Beschreibung, auch die erste Viertelstunde des Films lässt den Zuschauer sich in Sicherheit wiegen, hier würde eine gewöhnliche Schnulze gezeigt. Die unruhige Kameraführung wirkt zwar irritierend; häufig sieht man nur Ausschnitte der Gesichter, während die andere Hälfte im Dunkeln liegt. Im Nachhinein könnte man dies als Hinweis darauf verstehen, dass die wahren Persönlichkeiten der Figuren vorerst verborgen bleiben sollen. Detailaufnahmen verstärken die Intensität der Leidenschaft, mit der sich die beiden Hauptfiguren Gloria und Michel nähern. Die alleinerziehende Mutter und der vermeintliche Schuhverkäufer lernen sich über eine Dating-Website kennen. Nach einem ersten Treffen verliebt sich Gloria Hals über Kopf und lässt auch nicht von ihrem neuen Gefährten ab, als dieser sich als professioneller Frauenverführer entpuppt. Gloria wird als eine naive einsame Frau vorgestellt, scheu wie ein Reh und trunken vor Liebe, während Michel die Rolle des typischen Machos einnimmt. Eingeteilt in vier Akte, macht sich der Film daran, diese Eindrücke um 180 Grad zu drehen.
Das diabolische Lächeln
Aggressive Leidenschaft und pure Besessenheit, die nichts mehr mit Liebe zu tun hat, werden in nahezu geniale Bilder umgesetzt. Der Zuschauer wird nicht verschont. Jede Grausamkeit, jede Verzweiflungstat und jeder Wahn wird durch wackelnde Aufnahmen mit einer Handkamera, schnelle Schwenks und einem grandiosen Spiel mit der Schärfe visualisiert. Dieser Handlung ist nicht zu entkommen. Selbst wenn man in den scheußlichsten Momenten den Blick abwendet, ist es der Ton, die anschwellende Musik, die noch das pure Grauen empfinden lässt. Teilweise gewinnen die Horror- und Psychofilmelemente die Oberhand, so beginnt Gloria kurioserweise, neben der aufgebarten nackten Leiche direkt in die Kamera zu singen und dann aus heiterem Himmel den Fuß der Leiche abzusäbeln. Ein völliger Kontrast zu der nächsten Szene, in der sie und Michel wie ein ganz normales Paar Händchen haltend durch die Straßen schlendern. Glorias Gelächter und ihr zu Anfang sympathisches Lächeln wirken jetzt nur krank und bestialisch, mehr noch: diabolisch.
Obwohl sich der Handlungsablauf nach dem brutalen ersten Mord wiederholt, schafft es der Film, in immer tiefere Abgründe der Grausamkeit abzutauchen, ohne niveaulos zu werden.
Kindermund tut Wahrheit kund
Zwischen den schonungslos dargestellten Morden verstecken sich Bilder von Landschaften, über denen noch der Nebel wabert und in denen ein Kind spielt. Frieden und Ausgelassenheit, eine Art Verschnaufpause für die Sinne. Das Kind des vierten Opfers ist die einzige Figur im Film, die begreift, was es mit Gloria auf sich hat. Der Zuschauer verspürt eine wachsende Wut gegen Michel, man will ihm zurufen: „Jetzt mach doch endlich mal was, du Trottel!“, als Gloria schließlich auch auf das Kind losgeht.
Auch das Thema Sex ist in „Alleluia“ mehr als präsent. Was dem Zuschauer geboten wird, grenzt teilweise an Pornografie. Einmal sieht man sogar, wenn auch nur sehr kurz, eine Detailaufnahme von einem ejakulierenden Penis. Der Ton tut sein Übriges.
“Do you know a love story with a happy ending?“
Das offene Ende schließlich hat seinen Namen mehr als verdient. Wer hier ein Happy-End erwartet, wird enttäuscht. Das rote Tor, das Gloria und Michel am Schluss durchschreiten, gleicht der Höllenpforte. Mehr wird nicht verraten.
Inspiriert von den Serienmördern Martha Beck und Raymond Fernandez, die Ende der 1950er-Jahre in den USA etwa zwanzig Morde an wohlhabenden allein stehenden Frauen begingen, wirkt der Film noch erschreckender, als er ohnehin schon ist. Martha Beck und Raymond Fernandez wurden 1951 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.
„Alleluia“ ist kein Film für Zartbesaitete, aber großes Kino von dem Meister der Bildersprache.
Alleluia, R: Fabrice Du Welz, Belgien/Frankreich, 2014, 95 Min