»Ich studiere, also trink‘ ich«? – Ein Gespräch über studentische Suchtproblematik
Oh wie süß ist das Uni-Leben – so viel Freiheit, so viele Feste, so viele bierselige Abende. Doch ist es manchmal eher bittersüß? Der immer wiederkehrende Kampf mit dem Modulkatalog, die stressigen Prüfungen am Ende des Semesters und die zahlreichen Hausarbeiten, die es zu schreiben gilt. Da braucht ein Jeder einmal einen Ausgleich – doch dies kann auch zum Verhängnis werden …
Lautschrift: »Herr Kreuzer, Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Suchtberatung. Mit welchen Fällen haben Sie zu tun? «
Kreuzer: »Etwa die Hälfte unserer Klienten hat mit Alkoholproblemen zu kämpfen. Auch Opiate und Cannabis sind seit jeher Thema bei uns. Mittlerweile aber haben Spielsucht und Stimulanzien-Abhängigkeit sie überholt. Das bedeutet also: Alkohol, Cannabis, (Online-)Spiele, Internet, Pornos, Crystal und andere Stimulanzien sind bei uns die tagesaktuellen Themen.
Zur Person
Christian Kreuzer, Jahrgang 1955, ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Seit 1985 leitet er die Fachambulanz für Suchtprobleme des Caritasverbandes in Regensburg.
Lautschrift: »Sie haben pro Jahr etwa 1100 Klienten. Wie groß ist der studentische Anteil? «
Kreuzer: »Studenten sind bei uns in der Beratung auf jeden Fall unterrepräsentiert. Sie machen etwa fünf bis zehn Prozent unserer Klienten aus. Damit will ich jedoch nicht sagen, dass es nur sehr wenige Studenten gibt, die Suchtprobleme, gleich welcher Art, haben. Eine Schnittmenge zur Studierendenschaft gibt es in fast jedem der zuvor genannten Bereiche. Die Dunkelziffer studentischer Betroffener könnte höher liegen als bei gleichaltrigen Berufstätigen. Ich denke, dass es Studenten nicht besser oder schlechter geht als anderen. Sie werden nur seltener auffällig.«
Lautschrift: »Als Student befindet man sich in einer recht liberalen Lebenssituation – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo das Prüfungsamt an die Tür klopft und auf etwaig fehlende Leistungen oder andere Versäumnisse aufmerksam macht.«
Kreuzer: »Durchaus kann man die Zeit des Studiums als strukturarme Lebenssituation mit wenig sozialer Kontrolle betrachten. Mögliche Probleme Studierender bleiben länger unentdeckt. Wenn man morgens mal nicht in die Vorlesung geht, mal durch eine Klausur fällt oder Ähnliches, merkt das kaum jemand. Die Eltern sehen ohnehin meist nur das ‚Sonntagsgesicht‘. Und den Eltern kann man auch plausibel machen, dass man ein oder zwei Semester länger braucht – die Wenigsten haben den tatsächlichen Überblick über das Studium des Kindes.«
Lautschrift: »Im Vergleich zu gleichaltrigen Berufstätigen lässt sich hier ein enormer Unterschied feststellen: haltgebende Strukturen fehlen oft im studentischen Leben, wohingegen Berufstätige einen geregelteren Alltag erleben.«
Kreuzer: »Bleiben wir zum Beispiel beim Thema Alkohol: Nehmen wir an, ein Berufstätiger, der bei seiner Arbeit auf sein Auto angewiesen ist, verliert seinen Führerschein wegen Alkohol am Steuer. Dadurch kann er ganz schnell ein existenzielles Problem bekommen. Ein Student muss gar nicht Auto fahren. Wenn ein Student viel trinkt, fällt er vielleicht mal auf einer Party auf, wird mal von dem, mal von dem gesehen und jeder denkt sich: ‚Nun ja, ist eben ein geselliger Typ. ‘ Wenn dieser Student vielleicht auch noch wenige enge Kontakte hat, fällt niemandem was auf. Da kräht kein Hahn danach.«
Hier können Betroffene Hilfe finden:
Suchtambulanz Regensburg (Caritas Suchthilfe in der Diözese Regensburg)
Hilfe bei Fragen und Beratung zu Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch sowie Hilfe bei Spiel- oder Internetsucht.
Drug Stop Drogenhilfe Regensburg e.V.
Hilfe bei Fragen und Beratung zu Problemen mit illegalen Drogen.
Zentrale Studienberatung Universität Regensburg
Psychologisch-psychotherapeutische Beratung bei Depression, psychosomatischen Beschwerden, Prüfungsangst, sozialen Konflikten und vielem mehr.
Lautschrift: »Gerade was das Thema ‚Alkohol‘ oder ‚Internet‘ anbelangt: Sind nicht gerade hier die Grenzen besonders fließend – wann endet der Konsum, wann beginnt die Sucht? Wissen Studenten, wann es ‚bedenklich‘ wird?«
Kreuzer: »Auf jeden Fall sind die Grenzen hier fließend! Es gibt Fälle, bei denen das Problem lange im Dunkeln bleibt – so wie auch der Betroffene selbst lange nicht weiß, dass es überhaupt ein Problem gibt. Und auch wenn man einmal darüber nachdenkt, redet man sich immer ein: ‚Es gibt andere, die trinken/ rauchen viel mehr als ich! Ich könnte jederzeit aufhören, wenn ich will‘ und so weiter. So funktioniert Abhängigkeit in der Regel.«
Lautschrift: »Studenten werden während ihres Studiums mit diversen Problemen konfrontiert: Prüfungsstress, psychischem Druck, sozialen Konflikten oder Problemen innerhalb der Familie – wie können solche Konfliktsituationen zu einer Sucht führen?«
Kreuzer: »Es gibt verschiedene Wege, die von Studenten eingeschlagen werden. Manche können besser mit Problemen umgehen, manche schlechter. Jedenfalls reagieren sie so oder so: Der eine trinkt viel, der andere isst viel. Der nächste wird depressiv und verlässt sein Zimmer nicht mehr. Da gibt es verschiedene Fluchtstrategien.«
Lautschrift: »Stellen Sie bei Studenten, die bei Ihnen Hilfe suchen, im Vergleich zu anderen Klienten besondere Verhaltensweisen und Reaktionen fest?«
Kreuzer: »Ich kann bei Studenten eine Tendenz erkennen, alles erst einmal ein wenig herunterzuspielen; sie legen zum Beispiel mal eine Pause ein mit dem Trinken, Rauchen oder Ähnlichem und sagen ‚Na also, geht doch, ist doch alles gar nicht so schlimm!‘. In der Regel sind Studierende verbal ausdrucksstark und durchaus reflexionsfähig. Ob es das leichter macht, ist die andere Frage. Man kann diese Fähigkeit so oder so einsetzen: Oft wissen solche Menschen schon, worauf ich hinaus will, noch bevor ich den Satz beendet habe – und sind bereits dabei, ihre Gegenstrategie vorzubereiten. Das spielt bei Suchtproblemen und deren Behandlung eine wichtige Rolle.«
Lautschrift: »Herzlichen Dank für Ihre Zeit, Herr Kreuzer!«