Brennpunkt Flächenbrand
SZ-Journalist Stefan Kornelius führt bei einem Gastvortrag an der Regensburger Uni durch die Rauchschwaden der außenpolitischen Gegenwart.
Heute Gastvortrag in Regensburg, morgen Interview mit Italiens Ministerpräsident Mario Monti in Rom, nächste Woche Sicherheitskonferenz in München: Der Terminplan von Stefan Kornelius hat es durchaus in sich. Der Außenpolitik-Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung nahm sich am Dienstag dennoch die Zeit, um an der Regenburger Uni über die außenpolitischen Brennpunkte der Weltpolitik zu plaudern. An Brandherden mangelt es derzeit sicher nicht: Kornelius’ Streifzug durch die internationale Gegenwartspolitik entpuppte sich als Ritt durch einen Flächenbrand. Über EU-Schuldenkrise und Arabellion, israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt und Afghanistan-Zukunft, bis hin zum iranischen Atomprogramm und Aufrüstung in der Golfregion: die Welt brennt.
Kornelius beunruhigt vor allem die Lage in Nahost und in der Golfregion: „Es besteht die Gefahr, dass Netanjahu zum militärischen Schlag gegen Iran ausholt, gerade weil Obama wegen den Wahlen bis November die Hände gebunden sind, der wird nichts dagegen tun.“ Es sei möglich, dass Netanjahu das ausnutze – und einen Krieg gegen Iran starte.
Die Lage sei in der gesamten Region gefährlich, so der Journalist. Wenn es zu einer weiteren nuklearen Aufrüstung käme – Pakistan die Bombe etwa nach Saudi Arabien liefere und es mit einer möglichen iranischen Bombe neben einer sunnitischen dann auch eine schiitische Atommacht gebe – dann könne niemand mehr für irgendetwas garantieren. „In einer intoleranten, religiösen Aufladung wird die Atombombe nicht die gleiche strategische Funktion haben wie im Kalten Krieg, wo es um Abschreckung ging“, befürchtet Kornelius. Dazu komme, dass das alles in einer Region geschehe, in der die Staaten nicht unbedingt für eine überlegte, vorsichtige Außenpolitik bekannt seien.
Jene Weitsichtigkeit und Überlegtheit gehe auch Israel zunehmend verloren. Für eine Zweistaatenlösung sieht Kornelius schwarz: „Die innere Verfasstheit des Staates Israel macht das mehr und mehr unmöglich, weil das Land eine Radikalisierung durchlebt, die Kompromisse und die Annahme palästinensischer Forderungen utopisch macht.“ Die Landnahme radikaler israelischer Siedler habe Fakten geschaffen und die Landsituation so verändert, dass die Grenzen, wie sie derzeit für einen Friedensplan ausgearbeitet wurden, nicht mehr durchsetzbar seien. Dazu führe eine starke Radikalisierung vieler Orthodoxer zu einer Intoleranz, die sich schon bemerkbar mache. Frieden: Kein Land in Sicht.
Brenzlig ist es aber auch in Europa: Die Ausnahmerolle, die Deutschland innerhalb der EU spiele, sei für das große Ganze gefährlich. Viele Nationen leiden schon darunter, jegliche Souveränität an Brüssel, vor allem aber an Berlin verloren zu haben. Das Ungleichgewicht schüre Ressentiments. Durch seine wirtschaftlich dominante Stellung übe Deutschland eine magnetische Kraft aus, die für Europa nicht gesund sei. „Man muss für mehr Balance sorgen“, so Kornelius. Die Probleme Europas liefen letztendlich alle auf ein „simples Grunddilemma“ hinaus: Wie viel Souveränität wollen wir haben, beziehungsweise sind wir bereit abzugeben? Hier geht es um Selbsterhalt: „Die nationalen Parlamente müssten ihre Befugnisse abgeben, Merkel müsste ‚sich abschaffen‘. Will das ein Politiker?“, fragte Kornelius rhetorisch. Klar: Um in der globalisierten Welt ein Mitspracherecht zu behalten, braucht es Macht und Masse, kurz: Europa. „Die höhere Logik würde natürlich sagen, nationale Souveränität abgeben für ein gemeinsames Europa, sonst werden wir einfach überlaufen, wir hätten im IWF, in der Welthandelsorganisation oder auch in der UNO nichts mehr zu sagen. Macht können wir nur noch europäisch haben.“
Wie schwer es tatsächlich ist, ein europäisches ‚Wir‘ zu kreieren und zu leben, das hat Kornelius, der bereits zum sechsten Mal im Rahmen von Professor Bierlings Internationale-Politik-Vorlesung als Gastsprecher auftrat, vor kurzem selbst erfahren: Für eine Europa-Beilage arbeitete die Süddeutsche Zeitung mit fünf weiteren Tageszeitungen aus Spanien, Italien, Polen, England und Frankreich zusammen. Laut Kornelius ein Koordinationsspektakel mit Kultur-Hindernissen. Auch wenn unterschiedliche Arbeitsmentalitäten aufeinandertrafen – am Ende stand dennoch ein gemeinsames Produkt. Die Zeitungen versuchen es also vorzumachen. Vielleicht spricht Kornelius darüber auch mit Mario Monti auf der nächsten Etappe seines ausgefüllten Terminkalenders.
Text: Moritz Geier