stories | Der moderne Dämon
Freitagabend saß ich auf meiner Couch und trieb den bösen Geist Hitlers aus der deutschen Seele aus. Dazu trank ich Rooibos-Tee mit laktosefreier Milch und ließ mich von den markigen Sprüchen des Propagandaministers berieseln.
Er hatte das Profil eines typischen Nazis: das rollende „R“, die großen Worte, martialische Gesten und die streng nach hinten gewachsten Haare. Neu war mir, dass Goebbels wohl Schriftsteller werden wollte, die Fassade des treuen Ehemannes kaum aufrechterhalten konnte. Und an Hitler zweifelte. Beinahe hatte ich Mitleid, als über seinen Klumpfuß berichtet wurde, er war also nicht nur eine Gestalt aus den Geschichtsbüchern, sondern ein Mensch, männlich, kleinwüchsig, mit Fortpflanzungstrieben und Fehlfunktionen.
Dann dramatische Musik, Bilder von toten Soldaten und KZ-Häftlingen in grau-weiß, begleitet von der Stimme des Sprechers. Anschließend im Berliner Sportpalast der „Totale Krieg“ vor ausgesuchtem Publikum, das wie auf Kommando jubelte. Und ständig Auszüge aus dem Tagebuch, das zwischen Selbstherrlichkeit und -mitleid hin und her pendelte.
Ich gähnte.
Die Sendung näherte sich ihrem Ende und russische Soldaten präsentierten Goebbels verkohlte Leiche. Endlich tot, Happy End, Schluss mit „Total“ und „Ewig“.
Während mein Gemüseeintopf schmorte und ich in meinen Cardigan schlüpfte, wechselte ich das Fernsehprogramm. Himmler, Hess, Eichmann und die Millionen Toten würden von der Vergessenheit verschluckt und in Memoiren und Erzählungen verdaut werden. Bis dahin würde man noch allerlei sinnlose Mythen spinnen und endlose, falsche Empörung heucheln.
Ich saß wieder auf meiner Couch, löffelte den Eintopf aus und wärmte meine Füße mit einem Infrarotstrahler. Heute-Journal-Zeit; die Tragödien des Tages, die real waren, vor denen man mehr Angst haben musste, als vor diesen verwesten Nazi-Fressen.
Ich erinnerte mich an ein Gespräch, das ich vor ein paar Tagen mit einem Kommilitonen in der Mensa geführt hatte. Er hatte sich seinen Gulasch in den Mund geschoben und erklärt, dass ihn das ewige Herumreiten auf Hitler ankotze. Gefährlicher als Skinheads seien schließlich Kinderschänder und Vergewaltiger, „entartete Individuen“; keine Menschen, sondern Monster. Die Todesstrafe müsse man wieder einführen, am besten auch für Drogendealer, Junkies und Rocker. Seine Freunde hatten ihm auf die Schulter geklopft und genickt. Dann hatte er mir ein paar Websites empfohlen und sich wieder auf den Weg gemacht.
Am selben Abend fand ich besagte Gruppe auf Facebook: „Lasst unsere Kinder in Frieden!“
Ich klickte mich von einem Beitrag zum nächsten, las Dinge wie „Sexmonster sollen baumeln!“, las die begeisterten Kommentare von Nutzern, die auf ihren Bildern mit dicken Sonnenbrillen und Fahnen zu sehen waren, eifrig Beiträge schrieben und Musikvideos verlinkten. Ich massierte die Schläfen: Der Kommilitone war nicht allein; oben im Banner zierte das Bild eines Galgens den Spruch: „Für unser Land, für unsere Kinder“.
Als ich ihn vor Kurzem wieder getroffen habe, drückte er mir Flyer einer Demo in die Hand und meinte, ich solle da mal vorbeischauen; wir könnten was verändern, Deutschland und unseren Nachwuchs schützen. Am besten sei aber die Party im Anschluss, Freibier gäbe es dort und Musik. Dann hat er sich eine Zigarette angezündet. Ob er auch an Hitler zweifelt?
Text: Benjamin Feiner