stories | Kollegen im Hintergrund
„Nein, Herr Polizist, ich bin nicht gefahren!“ Ihre von einem verlockend reuigen Augenaufschlag begleiteten Worte an einem Samstagabend im Dezember auf irgendeinem Supermarktparkplatz am Rande einer Vorstadt. Der Beamte blickt kritisch prüfend in die grünen Augen der jungen Frau am Steuer eines BMW E46 Coupés in Arcticsilber. Im Hintergrund sein Kollege.
Einige Minuten zuvor haben die Frau und der braunäugige Fahrzeughalter mit Gesichtszügen Mohammed Attas ihre Sitzplätze getauscht. „Die scheiß Führerscheinprüfung ist schon in drei Tagen.“ Sie erinnert sich an den trockenen Witz ihres Fahrlehrers, als sie beim letzten misslungenen Versuch, in drei Zügen einzuparken, wieder auf der Markierung zum Stehen kam: „Nur Mädchen fahren auf dem Strich!“
Ihre feuchten Augen über einem viel versprechenden Dekolleté und ein ebensolcher Seufzer genügen, um ihrem Anhänger eine Fahrstunde abzuringen. Eine lohnenswerte Investition für ihn. Zu einer Gegenleistung wird er sie mit der richtigen Bearbeitung bringen. Dann wird sie für ihn in München auf der Hansastraße laufen.
Als der Streifenwagen in die Einfahrt biegt, fährt er sie an: „Oh siktir lan, die Bullen! Machs Auto aus!“ Sie gehorcht mit einem: „Fuck, was machen wir denn jetzt?!“ „Wir sagen einfach Wahrheit!“ „Ja klar. Spinnst du?!“ „Halt die Fresse man. Ich red‘!“ Der Wagen hält neben seinem BMW, zwei uniformierte Beamte steigen aus, jeder von ihnen einen Lolli im Mund. Ein helles Gicksen entfährt dem angespannten Leib der Frau am Steuer beim lächerlichen Anblick der zwei grünen Texas Ranger auf Nikotinentzug. Der zum Sprechen fähige Polizist übergibt dem Kollegen seinen Dauerlutscher, der sich zur Absicherung seines Partners im Hintergrund hält. Baut sich vor der herabfahrenden Fensterscheibe auf: „Fahrzeugkontrolle. Wir wurden informiert, dass sich unerlaubt Personen auf dem Gelände aufhalten. Was machen Sie hier?“ Es muss ein Chupa Chups sein, denn seine Zunge glüht erdbeerrot in der Parkplatzbeleuchtung. „Wir wollten Einparken üben für die Führerscheinprüfung.“ Des Fahrzeughalters lässig naive Wahrheit über die Frau hinweg zum Fahrerfenster. Aus der eben noch machterfüllten Beamtenbrust zieht so viel Aufrichtigkeit den Stöpsel.
„Äh, Sie wollten …“ Der Sicherer nickt dem Polizeihauptwachtmeisteranwärter rückendeckend zu. Durch Herunterbeten seines Wissens erlangt er die nötige Haltung wieder: „Nach Paragraph 75 Nummer 4 in Verbindung mit Paragraph 4 Absatz 2 Satz 2 der Fahrerlaubnisverordnung handelt es sich um Fahren ohne Führerschein. Sie verlieren damit Ihren Führerschein und Ihre Freundin…“ „Hier ist doch privater Parkplatz.“ „Privater Parkplatz ist ihre Garage.“ Seiner Potenz wieder inne wendet er sich an die falsche Blondine: „Sind Sie gefahren, oder …?“ „Nein, Herr Polizist, ich bin nicht gefahren!“ „Wenn Sie gefahren sind, leiten wir das …“ „Nein, ich bin natürlich nicht gefahren.“ Mit falschen Fingernägeln zupft sie an ihren Strähnen nahe am Ausschnitt, nagt mit den Zähnen an der roten Unterlippe. „Dann tauschen Sie Platz mit Ihrem Freund und sehen Sie zu, dass Sie von hier wegkommen.“ Dieser kurze Auftritt genügt dem Herrn in Grün. Nur die Personalien werden noch aufgenommen. Wer weiß, wo sie sich wieder sehen?
Der Streifenwagen längst wieder unterwegs zur nächsten Veranstaltung in Penisfechten sitzen die junge Frau und der Mann immer noch am selben Platz.
„Hast ne Zigarette?“ Sie zieht, die Zigarette glüht, man hört sie knistern. „Haben ganz schön Glück gehabt“ trägt der Rauch aus ihren Lungen zum Fenster hinaus. „Çüş lan, der Wixer hat genau gewusst, er kann uns nix.“ „Irgendwer hat doch bei der Polizei gemeldet …“ „Red‘ kein Scheiß! Haben die Nachtwächter im Aldi oder was?“ Ihr Blick wandert über den leeren Platz bis zur Straße. Dort bleibt er an der Glut einer Zigarette hängen. „Da drüben der LKW! Da steht einer.“ „Eşekoğlu eşek! Fahren wir, merk dir die Nummer. Ich sag den Kollegen Bescheid.“
Text: Stefanie Landzettel