Elite ohne Obdach
Die Wohnungsnot der Studierenden zu Beginn des Semesters war frappierend hoch. Der doppelte Abiturjahrgang ist aber nur einer der Gründe, warum sich viele gezwungen sahen, in einem sporadisch eingerichteten Matratzenlager Unterschlupf zu suchen.
Da ist sie endlich – die Zusage. Wer jetzt denkt, man habe mit dem Platz an seiner Wunsch-Universität den schwierigsten und anstrengendsten Schritt hinter sich, der muss feststellen, dass auf dem Weg zum reibungslosen Studienstart noch einige Hürden zu überwinden sind.
Der doppelte Abiturjahrgang und das Aussetzen der Wehrpflicht waren schon lange Zeit in aller Munde und viele rechneten mit dem Schlimmsten für das Wintersemester 2011/2012. Was das konkret bedeuten kann, haben einige Studenten in Regensburg am eigenen Leib erfahren.
Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum in der Stadt blieb hinter der starken Nachfrage weit zurück. Mit dem Sprengen der 20 000er-Marke sind seit diesem Wintersemester mehr Studierende als jemals zuvor an der Universität eingeschrieben. Laut Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch gab es im Jahr 2011 in Bayern 85 000 Studienanfänger – 72 000 davon allein im Wintersemester.
Viele Wohnungssuchende wählten auf der Suche nach ihrer »Traumbleibe« den üblichen Weg. Auf einschlägigen Portalen wie »wg-gesucht.de« starteten die meisten ihre ersten Versuche. Schnell mussten sie feststellen, dass man nur mit viel Glück einer derjenigen war, die überhaupt noch einen Termin bei diversen »WG-Castings« ergattern konnten. Auch auf eine Beantwortung der zahlreichen E-Mails, in denen man sich selbst als den perfekten Mitbewohner anpries, wartete man oft vergebens. Die Mitbewohnersuchenden waren einfach schier überfordert. 20, 30, ja sogar 40 Leute interessierten sich für ein einziges Zimmer. Nur mit Hilfe von Fortuna konnte man auf diesem Wege eine passende Unterkunft für die Studienzeit ergattern.
Auch die aus der Nähe von Hamburg stammende Leslie Southard sah sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Gleich nach der Zusage für einen Studienplatz hielt sie sich etwa drei Wochen in Regensburg auf und wurde dennoch bei der Wohnungssuche nicht fündig. Die WGs waren überlaufen, die Wohnheime überfüllt. Ein Pendeln war für die 20-Jährige aufgrund der Entfernung zur Heimat keine Option. Erst das Schalten einer Anzeige in den lokalen Zeitungen führte zum ersehnten Erfolg, so dass Southard jetzt in einer kleinen Wohnung in Universitätsnähe lebt. »Ohne die viele Fahrerei, einen längeren Aufenthalt in der Stadt und die finanzielle Unterstützung meiner Eltern wäre das alles gar nicht möglich gewesen«, merkt Southard an.
Letzte Zuflucht: Matratzenlager
Die Geschichten, in denen Freud und Leid nah beieinander liegen, gibt es zuhauf. Auch vielen Erstsemestern blieb das Glück bei der Wohnungssuche verwehrt. So standen sie in den ersten Vorlesungswochen ohne Dach über dem Kopf da. »Schon im Juni 2011 wurde angefangen, nach einer Möglichkeit zu suchen, um Studenten eine kostengünstige Unterkunft in Regensburg zu bieten, falls diese vor Semesterbeginn nicht rechtzeitig einen Schlafplatz finden«, erläutert Ssaman Mardi, der dem SprecherInnenrat der Universität Regensburg angehört. Die Universitätsleitung war hier der erste Anlaufpunkt, um eine Lösung zu finden. Doch die Errichtung eines Schlaflagers in der Turnhalle des Sportinstituts war aus rechtlichen Gründen nicht umsetzbar. Das Angebot eines städtischen Hostels erwies sich für den AStA als immer noch zu teure Alternative für die Studierenden. Im September 2011 erklärte sich das Studentenwerk Niederbayern/Oberpfalz dazu bereit, den Gemeinschaftsraum des Gessler-Wohnheims im Südwesten der Stadt zur Verfügung zu stellen. Es bot eine zweiwöchige Nutzung des im Erdgeschoss errichteten »Matratzenlagers« bis Ende Oktober an. Durch ausgeteilte Flugblätter und Transparente auf dem Campus und Ankündigungen auf den Internetseiten von Universität und Studentenwerk wurde die »Notunterkunft« publik gemacht. »Wir wollten mit dem Angebot nicht direkt an die Presse gehen, da eine ähnliche Aktion in Würzburg zu einem gegenteiligen Effekt geführt hatte«, erzählt Mardi weiter. Dort erhöhten nach dem Bekanntwerden der akuten Wohnungsknappheit viele Vermieter ihre derzeitigen Mietpreise erheblich. Es kamen dennoch zahlreiche regionale und überregionale Print- und Fernsehmedien, um über die Situation zu berichten. ProSieben und der Bayerische Rundfunk nahmen die Thematik in ihre Sendungen auf und auch Die Zeit bezog sich in einem Artikel über die allgemeinen Startschwierigkeiten beim Studium auf die Regensburger Umstände.
Pro Nacht nutzten im Schnitt 12 bis 15 »Obdachlose« das Matratzenlager. Auch wenn die Ausstattung sehr spartanisch war, man niemals die Tür hinter sich zumachen konnte und zum Duschen ins Sportinstitut am Campus fahren musste, waren die Suchenden froh über das Angebot des SprecherInnenrates. Gekocht wurde im Gemeinschaftsraum des Wohnheims, wodurch schon erste Freundschaften entstanden. Nachdem der Asta eine Wohnungsbörse eingerichtet hatte und in den Medien berichtet wurde, fanden alle Gestrandeten nach und nach eine passende Bleibe.
Bildungselite: Ja, Wohnraum: Nein
Die Gründe für die akute Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt in diesem Wintersemester sind vielfältig. Die gängigsten kann mittlerweile jeder im Schlaf aufzählen: das Aussetzen der Wehrpflicht und der doppelte Abiturjahrgang. Aber noch mehr Faktoren spielen bei der derzeitigen Situation eine Rolle: die Einrichtung einer zentralen Vergabestelle für Studienplätze verzögerte sich, weshalb die Zusagen zum Teil erst sehr spät kamen. Oft wurden diese erst ein bis zwei Wochen vor Vorlesungsbeginn verschickt, wodurch es nahezu unmögliche wurde, rechtzeitig eine Unterkunft zu finden. »Jeder spricht von Bildungselite und möchte gut ausgebildete Fachkräfte haben, aber wenn es um die finanzielle Unterstützung der jungen Heranwachsenden und eine adäquate Unterbringung geht, wird es ganz schnell ganz still«, kritisiert Ssaman Mardi. Man bekomme dann von den Vermietern Sätze zu hören, wie »diese Wohnung ist nicht WG-geeignet« oder »wir nehmen keine Studenten«. Das mittlerweile zur oft gängigen Praxis gewordene, nicht rechtmäßige Verlangen einer Bürgschaft für die Mietzahlungen seitens der Eltern erschwert zudem die Wohnungsfindung.
Ein nur begrenztes Interesse für die derzeitigen Umstände wirft Mardi auch dem Regensburger Oberbürgermeister Hans Schaidinger vor. Diesem sei mehr daran gelegen, seine Stadt wirtschaftlich gut aufzustellen, als sich um die Belange der Studierenden zu kümmern, die sowieso nur eine geringe Akzeptanz in der Regensburger Bevölkerung haben. »Insgesamt wurde zu wenig gegen die nahende Situation unternommen«, kreidet Mardi an. Denn auch die Studentenwerke konnten dem gewaltigen Ansturm an Wohnungssuchenden nicht standhalten. Hinzu kam, dass in den letzten Jahren die Mittel um rund 30 Prozent gekürzt wurden. Außerdem hielt das Studentenwerk Niederbayern/Oberpfalz letztes Jahr Gelder zurück, um einen »Puffer« für kommende akute Projekte in der Hinterhand zu haben. Warum dieser gerade jetzt angelegt werden sollte, bleibt fraglich. Des Weiteren verzögerten sich geplante Renovierungsarbeiten in den einzelnen Wohnheimen, so dass nicht alle Zimmer für dieses Wintersemester zur Verfügung standen.
Wenn man den Blick auf die lokale Wohnungsmarktsituation wirft, fällt immer wieder ein Schlagwort – Gentrifizierung. Dieser Begriff beschreibt die Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau. Die Folgen sind, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird, weil die Mietpreise steigen. Auch in Regensburg sorgt die Thematik immer wieder für Diskussionsstoff. Der Vorsitzende des Mieterbunds, Kurt Schindler, wirft der Stadt »Profitmaximierung« vor, die zur Folge habe, dass schlechter Verdienende aus dem Stadtkern gedrängt würden. Davon bleiben auch die Studenten nicht unberührt, denn auch für sie wird es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum in unmittelbarer Zentrums- und Universitätsnähe zu finden. Die Möglichkeit, die leerstehende Kasernenanlage an der Galgenbergstraße für ein Wohnheim umzufunktionieren, wird vermutlich auch nicht als Option gelten, da momentan zu viele rechtliche Gründe gegen ein solches Vorhaben sprechen.
»Bildung für alle und zwar umsonst!«
Allmählich könnte man sich der Resignation hingeben. Denn nicht nur die überfüllten Hörsäle und Seminarräume wird es vermutlich weiterhin geben, jetzt kommen auch noch überlaufene Hochschul-Sportkurse hinzu. Das lateinamerikanisch geprägte Tanz-Fitness-Programm »Zumba« erfreute sich gar so reger Beliebtheit, dass ein Auslosungsverfahren zur Limitierung der Teilnehmerzahl eingeführt werden musste. Natürlich gibt es diese Methode schon für andere Angebote am Sportinstitut, aber jetzt muss sie auf immer mehr Kurse ausgeweitet werden. Vom «größten Fitness-Studio Bayerns« spricht da Christoph Kößler, der Leiter des Hochschulsports. Rund 8 000 Studenten nehmen die derzeitige Vielfalt an Kursen wahr – also rund 40 Prozent der Studierenden der Universität. Eine Zusicherung weiterer Gelder von Rektor Thomas Strothotte, um ein zufriedenstellendes Angebot für die Sportinteressierten auch weiterhin zu gewährleisten, lässt leider auf sich warten.
Wohnungsnot, Studiengebühren, keine Mitbestimmungsrechte, keine Garantie auf einen Masterplatz und überfüllte Kurse – wer sich heute auf ein Studium im Freistaat einlässt, muss sich auf einen akademischen Überlebenskampf einstellen. Es weht ein rauher Wind durch die Hochschullandschaft. Und bekanntlich trifft dieser jene am härtesten, die kein Dach über dem Kopf haben.
Text: Simon Treppmann