Schreibwerkstatt: »Oldtimermesse«

Schreibwerkstatt: »Oldtimermesse«
Ein Text zum Thema »Begegnungen und Gespräche« der Printausgabe 38 der Lautschrift, verfasst im Rahmen der Schreibwerkstatt (Prof. Dr. Jürgen Deibel) an der Universität Regensburg.

von s.fitze

„Von welchem Modell sprechen wir denn?“

Ein tadellos gekleideter älterer Herr zieht aus der Innentasche seines Jacketts ein abgenutztes Lederportemonnaie, fährt über die Fächer, reicht mit strahlenden Augen eine Fotografie über den Tisch. Der Vertreter nickt anerkennend.

»60 Special? Was können Sie mir zur Ausstattung mitteilen? Besondere Extras?«

»´69, als mein Sohn geboren wurde, haben wir ihn damit nach Hause gebracht. Und zu unseren Urlaubsfahrten, solange wir noch alle zusammen waren….«

»Wir sprechen doch nicht von einem Fahrzeug, das im Alltag nach wie vor genutzt wird?«

»Nein.« Der Herr wirkt betreten, unruhig. Mit einem Mal ganz klein. »Darf ich mich erklären?« »Das ist nicht nötig. Bitte kreuzen Sie die zutreffende Nutzung an.« Der Vertreter greift nach dem Vordruck. »Also steht er momentan in Ihrer Garage?«

»Nein.« Der Herr wird noch einmal kleiner und älter. »Darf ich es dann… aufschreiben?« Er deutet auf den leeren Papierstapel.

Ungeduldig klopft der junge Mann seinen Kugelschreiber. Die steigende Unsicherheit des Herren irritiert und stärkt ihn zugleich. »Hören Sie, ich bin kein Staubsaugervertreter, der Seniorinnen an der Haustür übervorteilt. Entweder Sie möchten Ihren Cadillac nun bei uns versichern –« Er schiebt ihm den Vertrag zu. »Wo befindet sich Ihr Fahrzeug jetzt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wozu sind Sie eigentlich hier?« Ein misstrauischer Blick des Vertreters begegnet täppischer Verlegenheit. Sein Gegenüber deutet auf das Schild oberhalb der Infoparzellen. Gespräche.

»Wollen Sie mich…«

»Ich kann das erklären…« Der Herr steckt das Foto zurück, nimmt den Vertrag entgegen und beginnt ihn mehrmals zu falten. 

»Wieso müssen Sie sich rechtfertigen? Nehmen Sie sich so wichtig –« Ein Kollege hinter der anliegenden Trennwand beugt sich fragend herüber. Er bricht ab, räuspert sich.

»Aus Respekt vor Ihnen.«, murmelt der Herr mit gesenktem Blick. Der Vertreter räuspert sich noch einmal.

»Die Krankheit meines Sohnes. Die Medikamente – ich musste ihn danach verkaufen.« Der Herr stellt sein fertiges Papierschiffchen auf den Tisch und betrachtet es. Er sackt zusammen, ohne weiter zu schrumpfen. In seine Züge tritt etwas müdes, ruhiges, beinahe verklärtes. »Auf irgendeine Weise erleiden wir alle Schiffbruch.«


Titelbild © Olivia Rabe

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