Bin ich überhaupt Feministin?
Darf ich mich als Feministin bezeichnen, wenn ich Männer date, die Feminismus »extrem « finden? Wenn ich Musik mit frauenverachtenden Texten höre? Wenn ich also nicht in kompletter Linie immer »feministisch« bin?
von Emma Stahl
Mein Selbstverständnis als Feministin fängt an zu wackeln, als mir eine Freundin erzählt, dass jemand, den ich bis vor kurzem gedatet habe, feministische Lektüre als „extrem « bezeichnet hat. Es fängt an zu wackeln, weil ich schon davor die Ahnung hatte, dass er bestimmt keine Beauvoir oder Wollstonecraft liest, ich aber vorsichtshalber mal lieber nicht weiter nachgefragt habe. Es bröckelt weiter aufgrund der Tatsache, dass er in meinem Kopf immer noch nicht abgeschrieben ist.
Darf ich mich also als Feministin bezeichnen, wenn ich Männer date, die zumindest in Teilen nicht meinen Werten entsprechen?
Was ist Feminismus eigentlich?
Für Margarete Stokowski, zeitgenössische Autorin und Kolumnistin, bedeutet Feminismus, »dass alle Menschen die gleichen Rechte und Freiheiten haben sollen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper«. Mit dieser normativen Definition würden wahrscheinlich sehr viele Menschen, vor allem Frauen*, übereinstimmen: Heißt das also, dass sie alle Feminist:innen sind?
Simone de Beauvoir, wohl eine der einflussreichsten feministischen Autorinnen der Geschichte, definiert Feminismus in einem Interview von 1966 als »eine Art, individuell zu leben und kollektiv zu kämpfen«. Das impliziert, dass nicht nur eine bestimmte Denk-, sondern auch eine Handlungsweise zum Feminismus dazugehört.
Aber wie sieht diese Art des Lebens und Handelns eigentlich genau aus?
Ein bestimmter Grundkonsens über die Legitimität bestimmter Handlungen und Aussagen besteht sicherlich unter Feminist:innen, aber schon während ich diesen Artikel schreibe, fange ich wieder an, mich zu hinterfragen: Bei mir läuft Deutschrap, es sind zwar keine Klischee-Texte über weibliche Körper, aber so richtig respektvoll singt der Rapper dann doch nicht über Frauen.
Als nächstes kommt ein Lied der Indie-Band Jeremias, deren Fotograf erst kürzlich jungen Frauen Gästelistenplätze für Nacktfotos angeboten haben soll. Gleich danach fällt mir etwas ein: Dass ich wahrscheinlich sowieso viel mehr Männern als Frauen* beim Singen zuhöre. Ich zähle in meiner neuesten Playlist nach und komme auf 50 von Männern und 22 von Frauen* gesungene Lieder – dabei kam mir die Playlist nicht einmal männerlästig vor.
Und so geht das dann den ganzen Tag weiter…
Das sind natürlich alles Themen, mit denen wir uns nur dank der Privilegien, die wir haben, beschäftigen können. Es ist definitiv wichtig, dabei nicht zu vergessen, dass Frauen* in anderen Ländern mit ganz anderen Dingen zu kämpfen haben, aber meiner Meinung nach sollten wir uns trotzdem, eben weil wir die Möglichkeit dazu haben, damit auseinander setzen.
Ich bezeichne mich weiterhin als Feministin, stehe – so gut es eben geht– für meine Werte ein und kämpfe für Frauen*rechte.
Trotzdem kann es schaden, das Label inflatorisch zu benutzen. Wenn, vor allem Männer, sich Feministen nennen, obwohl sie gar keine sind, ist das nicht nur sinnlos, sondern kann auch echten Schaden anrichten.
Wie vorher schon festgestellt, ist es durchaus schwierig, festzulegen, ab wann eine Handlung als (un)feministisch zu definieren ist. Und trotzdem kennen wir alle den soften Indie-Boy, der ganz genau weiß, dass er durch seinen, zumindest so präsentierten, Feminismus (typischerweise in Form von Nagellack oder Perlenketten) gut bei Frauen ankommt und ihn dadurch für sich instrumentalisiert.
Schon wieder schwieriger zu bewerten ist es dann wieder, wenn Männer sich durchaus bemühen, möglichst ein »wirklicher Feminist« zu sein, das aber ja immer noch aus der Position eines Mannes heraus tun. Meist wird eben Männern mehr zugehört. Ist es dann noch Feminismus, wenn dem Mann, der über Frauen*rechte spricht, mehr zugehört wird, als der Frau*, die von ihren eigenen Erfahrungen berichtet?
Auf der anderen Seite ist es sicherlich wichtiger, feministisch zu leben, als sich nur so zu nennen. Trotzdem schwingt ein fader Beigeschmack mit, wenn Menschen die (Selbst-) Bezeichnung als Feminist:in verweigern. Es wird suggeriert, dass eine Identifikation mit der Bewegung des Feminismus negative Auswirkungen hat, die man nicht in Kauf nehmen will, oder dass die Verbindung zu bestimmten Klischees unerwünscht ist.
Aber eine konkrete Begriffsbenennung vereinfacht die Diskussion und konkretisiert kurz, worum es geht und was wichtig ist. Durch eine, vielleicht sogar stolze, Verwendung des Begriffs Feminismus, spricht man der gesellschaftlichen anti-feministischen Rhetorik Widerspruch aus.
Feministinnen (– oder eben nicht?) in der Geschichte
Hannah Arendt, Politikwissenschaftlerin und Philosophin des 20. Jahrhunderts, sagte von sich selbst, keine Feministin zu sein. Spricht Arendt dadurch den ihr vorausgegangenen Frauenrechtlerinnen nicht ab, dass sie dafür gesorgt haben, dass Frauen (in der Wissenschaft und Philosophie) überhaupt arbeiten können und gehört werden? Andererseits: Kann es einer Frau übel genommen werden, dass sie sich nicht damit auseinander setzen will, wie sie in eine Position gekommen ist, in der Männer sowieso sind?
Selbst Simone de Beauvoir bezeichnete sich lange Zeit selbst nicht als Feministin, sogar als »Anti-Feministin«, vor allem aber durch ihren Glauben, der Sozialismus würde auch die Probleme der Gleichberechtigung lösen. Erst 23 Jahre nach der Erscheinung ihres Werkes »Das andere Geschlecht« verwendete sie den Begriff für sich selbst und ging erstmals für Frauenrechte auf die Straße, »(w)eil sich in den letzten 20 Jahren die Situation der Frau nicht wirklich geändert hat «.
Stokowski schreibt in ihrem Buch »Untenrum Frei«, dass sie wenig Wert darauf legt, ob sich jemand zum Wort Feminismus bekennt oder nicht, weil es darum geht, »wie wir handeln und miteinander umgehen, und nicht darum, welches Etikett wir uns geben«. Im Anschluss plädiert aber auch sie dafür, »beim Wort Feminismus zu bleiben«, weil ein Begriff einfach praktisch ist und wir uns zu all denjenigen bekennen, die für unsere Rechte gekämpft haben: Feministinnen.
Frauen* bezieht sich auf alle Personen, die sich unter der Bezeichnung »Frau« definieren, definiert werden und/oder sich sichtbar gemacht sehen.
Titelbild © Emma Stahl
Quellen:
»Untenrum Frei« von Margarete Stokowski, erschienen 2021 im Rowohlt Verlag
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/frauen/margarete-stokowski-feminismus-87357?reduced=true