»Let’s talk about Death, Baby!« – Ein Interview mit Prof. Dr. Rupert Scheule
Der Tod ist unser stetiger Begleiter. Das ist bereits seit dem Mittelalter im Sinne der Danse Marcabre – den sogenannten Totentänzen – , welche die Unausweichlichkeit des Todes behandeln, klar. Doch wie spricht man über etwas, von dem wir noch so wenig wissen? Und wie tritt man mit Menschen ins Gespräch, deren Lebensende immer näher rückt? Welche Rolle spielen Dialog und Kontakt in schweren Zeiten? Gemeinsam mit Hr. Prof. Dr. Scheule, dem Begründer des Masterstudiengangs der Perimortalen Wissenschaften an der Universität Regensburg, versuchen wir, genau diese Fragen zu beantworten – ganz nach dem Motto »Let’s talk about Death, Baby!« – Ein Interview mit Prof. Dr. Rupert Scheule »Let’s talk about Death, Baby! Let’s talk about you and me.«
von Carina Aigner
Lautschrift: Was hat Sie dazu bewegt, den Studiengang Perimortale Wissenschaften ins Leben zu rufen? Gab es persönliche oder akademische Auslöser dafür?
Dr. Scheule: Beides. Als Seelsorger fiel mir auf: Ein Austausch über den Tod funktioniert sehr viel besser, wenn wir nicht diese strikte 0-1-Kodierung haben: Jetzt ist der Tod da, jetzt ist das zu tun und vorher ist er nicht da, dann sind andere zuständig. Es ist leichter, wenn wir uns in diesem Bereich rund um den Tod aufhalten können, wenn wir vor dem Tod, mit der Familie und dem Sterbenden in Kontakt sind. Die Berührung mit dem Thema Sterben & Tod wird einfacher, wenn wir nicht an den Tod, sondern an den perimortalen Raum denken. Wenn Sie nach akademischen Anlässen fragen: Bei so einer großen Lebensfrage, so einer Menschheitsfrage wie dem Tod, ist eigentlich immer klar, dass es da auch einen akademischen Vorlauf von Jahrhunderten gibt. Was neu ist und was jetzt aus meiner Sicht auch einen besonderen akademischen Spaßfaktor mit sich bringt, ist das Interdisziplinäre, das im Rahmen der Studiums der Perimortalen Wissenschaften im Fokus steht.
Welche Gründe gab es für Sie, dass Sie gesagt haben, es braucht einen Studiengang, der sich mit den Themen Tod und Trauer auseinandersetzt? Warum denken Sie, sollten diese Themen akademisiert werden?
Das ist eine gute Frage. Warum brauchen wir einen eigener Studiengang mit einem eigenen Modulkatalog und einer entsprechenden Studien- und Prüfungsordnung? Die grundsätzliche Idee dahinter ist, dass wir da einfach diese Interdisziplinarität versuchen reinzuholen. Das ist schon etwas Tolles, diese Interdisziplinarität nicht nur ins Belieben eines Einzelnen zu geben, der sich dort Dinge zusammensucht, sondern mal was Konzertiertes zu versuchen, was systematisch Interdisziplinäres. Also, ich glaube schon, dass dieser Studiengang alleine deswegen von Bedeutung ist, weil er auch die Leute anzieht, die tatsächlich Vorkenntnisse haben und die bereit sind, sich auf diese Themen einzulassen. Die gesellschaftliche Relevanz ist eine große, weil wir die nächsten 20 Jahre mit einem unglaublichen Leichenaufkommen werden rechnen können. Das hängt mit den hohen Geburtenraten der Babyboomer-Jahrgänge zusammen, die langsam in das statistisch auffällige Sterbealter kommen. Und da wird das Thema groß werden – es ist schon groß und wird noch groß werden. Und es ist auch so, dass es ein gesellschaftlich übergreifendes Thema ist, nicht nur für den Einzelnen. Also Tabuisierung des Todes ist vorbei, das war gestern. Heute reden wir in der Breite über den Tod.
Lernen die Studierenden auch, wie man selbst über Tod und Sterben spricht?
Das würde ich schon sagen. Das ist ein Studienangebot, das sprachfähig machen soll. Übrigens bedeutet Sprachfähigkeit auch zu lernen, wann man nichts sagen kann beziehungsweise sagen muss. Wir alle neigen ein bisschen dazu, einander zuzutexten. Dabei ist es auch wichtig, die verschiedenen Sprachspiele zu beherrschen. Dass Mediziner anders vom Tod reden als Philosophen, ist wichtig und muss berücksichtigt werden. Also: Sprachfähigkeit ist etwas, das in diesem Studiengang eine Rolle spielt. Dass wir alle dadurch am Ende die talentierten Sterbenden sein werden, ist natürlich damit nicht gesagt.
Warum fällt es uns als Gesellschaft oft so schwer, über den Tod zu sprechen? Wie können wir lernen, offener mit diesem Thema umzugehen?
Das lässt sich auf eine großen Tradition zurückführen, die man eine Death Denial These nennt, die Todesleugnungsthese, dass in der Öffentlichkeit der Tod geleugnet wird. Das glauben wir alle schnell mal. Wenn man ein bisschen wissenschaftlich rangeht, stellt man fest, dass diese Death Denial Zeit spätestens seit den 80er Jahren vorbei ist. Wir reden in der ganzen Breite der akademischen Öffentlichkeit von jeher, aber speziell in den letzten Jahrzehnten, vom Tod. Auch die Hospiz-Szene als Kind der Nachkriegszeit hat großen Anteil daran, die Thematik zurück in die Öffentlichkeit zu bringen. Je nach Umständen ist es trotzdem noch heute schwierig, vom Tod zu sprechen. Ich mache das an ein paar soziologischen Phänomenen fest: Wir alle haben die Aussicht, relativ spät zu sterben. Damit ist der Tod erstmal Jahrzehnte weit entfernt. Und damit haben Menschen auch weniger konkrete Anlässe, über den Tod zu sprechen. Der begegnet Ihnen fünfzig, sechzig Lebensjahre lang, statistisch gesehen, eher selten. Fragen werden über eine lange Zeit nicht geklärt: Wie will ich denn leben? Was ist mir wichtig? Habe ich Hoffnung angesichts des Todes? Und das sind große Fragen, die wir gern auch mal wegdrücken und verdrängen im Alltag. Wir können auch nicht an den Tod denken, ohne eben an unseren eigenen Tod zu denken. Wir sind jetzt da und vorhanden – und irgendwann in den nächsten 100 Jahren nicht mehr zu leben, ist etwas Irritierendes. Einer pauschalen Death-Denial-These würde ich widersprechen.
Würden Sie dann sagen, dass, wenn man innerhalb der Gesellschaft offener mit dem Thema Tod und Sterben umgehen würde, sich eventuell die Lebensqualität der Menschen bessern könnte? Und falls Sie dieser These zustimmen, inwiefern könnte sich die Lebensqualität bessern?
Lebensqualität ist ein großes und ziemlich umstrittenes Wort, das muss man zunächst einfach sagen. Es ist äußerst schwer, so etwas wenig Fassbares wie das gute Leben in die Zahlengestalt zu bringen. Trotzdem glaube ich, dass gute Lebensqualitätsreflexionen immer genau das berücksichtigen. Lebensqualität ist das, was Sie sagen, dass Lebensqualität ist. Und da würde ich nun tatsächlich Folgendes behaupten: Wir alle gewinnen an Lebensqualität – jeder für sich – , wenn wir die Augen nicht vor dem verschließen, was vor uns liegt. Das ist ein altes philosophisches Thema. Wenn man die eigenen Tage zu zählen lernt, fällt es einem leichter, genauer zu unterscheiden zwischen wichtig und unwichtig. Man weiß, dass man nicht unendlich Zeit hat. Im Grunde kann es nur gutes Leben geben, wenn man es mit einem offenen Blick für den Tod lebt.
Welche Rolle spielt das Gespräch in der Sterbebegleitung? Wie wichtig ist der Dialog für Sterbende und ihre Angehörigen?
Ich würde zu 100 Prozent unterstreichen, dass es wichtig ist, mit Sterbenden zu reden. Das Allerschlimmste ist zu kneifen und nicht hinzugehen. Und Sie werden tausend Gründe finden, jetzt nicht zu einem Sterbenden zu gehen. Immer. Mein Rat: Geh hin und schau, was er reden will – das wird, glaube ich, das Entscheidende sein. Also mir fällt auf, bei Gesprächen mit Schwerkranken, dass es um alles Mögliche gehen kann. Gerade habe ich das Gespräch mit einem alten Bauern im Kopf, der hat einfach sehr gerne über Traktoren, über Fendt und John Deere gesprochen. Wir als ‚noch-nicht-sterbende‘ Besuchende haben das zu akzeptieren. Es steht uns nicht zu, zu sagen: »Hey, jetzt lass uns doch bei diesem großen Thema Tod bleiben.« Nein, der Sterbende findet da häufig genau das Maß an thematischer Vertiefung, das er jetzt verträgt. Und wir müssen ein bisschen diesen normativen Druck rausnehmen. Der Sterbende selbst ist der Experte für seine Situation. Und wenn er zwischendurch mal über Bulldogs reden mag und über Stallorganisation und dann wieder über seinen Tod, dann ist das genau das Richtige. Sprachfähigkeit und Gesprächskompetenz, die wir in den Perimortalen Wissenschaften natürlich versuchen auch anzuregen, wird sich gerade darin zeigen, so ein Gespräch mitzugehen und mitzuführen.
Gibt es typische Ängste oder Tabus, denen Sie auch im Gespräch mit Sterbenden immer wieder begegnen?
Absolut, absolut. Also das Extremste ist natürlich die Frage, die einem jederzeit entgegenkommen kann, warum ich, warum ich jetzt? Was sagen Sie denn da drauf? Diese Aussage ist eigentlich immer mit einer Botschaft der Einsamkeit verbunden. Du darfst bleiben, du gehst jetzt hier raus aus diesem Sterbezimmer und heute Abend ins Kino und ich muss weiter in diesem Sterben bleiben. Ich bin einsam. Genau das kommt in so einer Frage immer auch zum Ausdruck. Das ist schon eine Herausforderung. Und ich kann da auch keine definitiven Ratschläge geben, wie mit dieser Herausforderung umzugehen ist. Aber Signale der Solidarität und der Solidarisierung zu setzen, gegen dieses Othering ‚Der Sterbende ist der ganz andere.‘ Dem zu widerstehen und sich so, wie es der Sterbende zulässt, an seine Seite zu stellen, das ist eher eine Sache der inneren Haltung und das würde ich denen empfehlen, die in so einer Herausforderung sind. Sehe dich, und das ist jetzt ein harter Satz, als der Sterbende, der du bist. Du bist nämlich auch Sterbender, nur noch nicht jetzt in diesem akuten Zustand, wie der, den du gerade eben besuchst.
Gab es in Ihrer eigenen Laufbahn eine besondere Begegnung mit Sterbenden, die Sie dann geprägt haben oder etwas an Ihnen ausgelöst haben?
Es sind zwei Todesfälle, die mich stark geprägt haben. Beide stammen aus meinem näheren Umfeld. Dabei fällt mir etwas auf. Ich habe schon regelmäßig Beerdigungen begleitet. Das kann man schon mit großer Empathie machen, aber es ist noch mal eine andere Situation, wenn wirklich aus dem emotionalen Nahraum jemand stirbt. Bei mir war das meine Großmutter, die hochbetagt mit 90 gestorben ist. Da ist mir aufgefallen, wie verkehrt das ist zu sagen: »Ach ja, 90 ist sie geworden. Das ist doch super«. Ich war tief traurig und habe mich durch solche Reaktionen nicht nur traurig, sondern auch einsam gefühlt. Und das hat mich zornig gemacht. Also seien wir vorsichtig damit, die Trauer eines anderen zu beurteilen und sie auch für weniger angebracht zu halten als jetzt eine eigene Trauer. Der zweite Todesfall, der mich geprägt hat, war der Tod meines Schwagers, der mit 50 gestorben ist und dem ich gerne näher gewesen wäre, als ich es war. Manchmal denke ich darüber nach, dass ich ihm eventuell nicht genügend Nähe zeigen konnte. Dahingehend beschäftige ich mich auch im Hintergrund mit diesen Themen. Was kann ich tun, damit andere nicht die gleichen Fehler machen, wie sie mir unterlaufen sind?
Gibt es einen Ratschlag, den Sie jemandem geben würden, der sich das erste Mal mit einer sterbenden Person unterhält?
Ganz klar und einfach: Geh hin und unterhalte dich. Halte das aus. Es ist nahezu egal, ob du irgendwas Banales sagst, ob du irgendwelche Phrasen bringst. Aber geh hin und stell dich dem Gespräch. Und schau mal, was da kommt. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, dass der oder die Sterbende sagt, mir geht es gerade nicht so, geh bitte wieder. Und dann kann man auch wieder gehen und das ist gut. Aber hingehen und gesprächsbereit sein, ist das Entscheidende. Trau dir das auch zu; wir trauen uns manchmal Dinge vorschnell nicht zu. Das wäre mein entscheidender Rat: Trau dir was zu. Du bist stark und kannst das. Geh hin und rede.
Vielen herzlichen Dank für diese sehr schönen abschließende Worte Ihrerseits. Aktiv zu werden, hinzusehen und auszuhalten; ein toller Ratschlag. Gibt es noch etwas, das Sie an die Lesenden der Lautschrift weitergeben möchten?
Also, wir haben, glaube ich, jetzt in diesem schönen Gespräch schon das Wichtigste klären können. Aber wenn Lesende neugierig geworden sind auf unsere Themen, auf den Studiengang, dann gilt auch an dieser Stelle der gleiche Rat: Hingehen, reden Sie mit Studierenden der Perimortalen Wissenschaften, reden Sie mit uns. Haben Sie da keine Scheu. Es könnte sich lohnen, diesen Perimortalen Wissenschaften mal ein bisschen näherzukommen.
Beitragsbild © Lena Schmidberger