»Èquilibre«

»Èquilibre«

Zwischen Zuversicht und Zukunftsangst. Noch nie war Hoffnung so wichtig: nach vorne schauen, darauf vertrauen, dass doch noch alles gut wird. Gleichzeitig war es noch nie so schwer, sich zu Optimismus durchzuringen und nicht abgekämpft die Flinte ins Korn zu werfen. Wie also balanciert man jetzt diesen Spagat?

von Marie Odenthal

»Alles wird gut.« Dieser Satz, der so leicht über kindliche Lippen kommt, rückt mit dem Erwachsenwerden beinahe minütlich weiter in die Ferne. Und auf einmal fällt die Zuversicht schwer; obwohl ich das doch einmal so gut konnte, das mit der Hoffnung.

Vielleicht ist diese Erkenntnis einfach die Realitätdieser Ernst des Lebens, von dem immer alle gesprochen haben. Ich bin ihm dankbar, dass er mir die Augen geöffnet hat. Und ich weiß, dass man irgendwann von dem bedingungslosen Glauben an das Gute ablassen muss. Es ist nun mal nicht so einfach und das Happy End ist nicht wie im Märchen versprochen. Trotzdem weigere ich mich, nicht mehr zu hoffen. Wie könnte ich jemals das zurücklassen, was ich einst als die treibende Kraft hinter dem Guten der Menschheit und als Kleber der Welt gesehen habe?

Oft verleitet uns das Zeitgeschehen dazu, zu verzweifeln und den Silberstreifen am Horizont aus den Augen zu verlieren. Klimakrise, Rechtsruck und auch ganz persönliche Probleme:  wenn alles hoffnungslos scheint, hilft kein »Alles wird gut«. Manchmal braucht es auch eine gute Portion Zukunftsangst und Krise, um aktiv zu werden, um der Umnachtung nicht kampflos das Feld zu überlassen. Wenn sich Frustration und Besorgnis  in Tatendrang wandeln, kann das neue Kraft geben und antreiben.

Wie ein Pendel schwanke ich täglich, stündlich, minütlich zwischen zwei Extremen. Welchem Gefühl, Zuversicht oder Zukunftsangst, ich die Führung überlasse, bestimmt meinen Blick auf die Welt und die Handlungen, die ich in ihr vornehme. Es steht also viel auf dem Spiel – umso wichtiger, dass die Entscheidung in jeder betreffenden Situation die jeweils richtige ist.

Am schönsten wäre es, wenn es da ein Miteinander geben könnte; einen Kompromiss zwischen Aktion und Ruhe, zwischen Freude und Trauer, zwischen Hoffnung und Angst. In der deutschen Sprache gibt es dafür kein passendes Wort. Chat GPT verweist auf das französiche »équilibre« – »Obwohl dieses Wort eigentlich Gleichgewicht bedeutet, könnte es metaphorisch benutzt werden, um den inneren Zustand einer Person zu beschreiben, die zwischen Optimismus und Realismus navigiert. Es impliziert die Notwendigkeit, beide Haltungen in Einklang zu bringen.« Da scheint die KI Recht zu haben. Im Endeffekt geht es wohl, wie so oft, um die goldene Mitte: Anerkennen, wenn eine Situation negativ ist und Handlung erfordert und gleichzeitig Zuversicht im Herzen tragen.

Besonders in Extremsituationen scheint es oft naiv, an der Hoffnung festzuhalten. Der Glaube an eine mögliche bessere Welt, bildlich gesprochen an den nächsten Morgen, fungiert aber wie ein Leuchtturm auf dunkler See. Wie ein Lichtsignal, das sagt: »Mach weiter, bald bist du da.« Was könnte es in Krisenzeiten Wertvolleres geben?

Ebenso wichtig ist es, die Negativität zuzulassen. Angst, Verzweiflung und Wut haben einen berechtigten Platz in der komplexen Landschaft der menschlichen Emotionen und es ist wichtig, ihnen zu gegebenem Anlass Raum zu geben – solang sie nicht Überhand nehmen und jegliche hoffnungsvolle Perspektive unmöglich machen.

Vielleicht hilft es, manchmal wieder für einen Augenblick Kind zu sein. Das Urvertrauen in die Welt zu spüren und zu denken: »Alles wird gut.«

Vielleicht hilft das, das »équilibre« zu finden und gestärkt voller Gleichgewichtssinn allen Krisen zu begegnen.


Beitragsbild: Marie Odenthal

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