Déjà-vu – Können wir unserer Empfindung trauen?
Und auf einmal weiß ich, dass ich genau diesen Augenblick schon einmal erlebt habe. Déjà-vu. Das Phänomen ist altbekannt und jedes Mal neu. Mein Kopf hat diese Situation schon einmal durchlebt, aber wie? Was macht mein Gehirn, dass ich mit fester Überzeugung an etwas glaube, das unmöglich ist? Wie kann es sein, dass ich denke ich würde eine Wiederholung erfahren, für die das erste Mal fehlt?
Von Greta Kluge
Es gibt eine Vielzahl an Hypothesen, warum wir manchmal einen Moment lang das Gefühl haben, wir drehen uns im Kreis und sind an einem Punkt angekommen, den wir schon einmal erlebt haben. Was sich schon paradox anfühlt und paradox anhört, stößt auch in der Forschung auf Fragestellungen.
Hard Facts
Je älter die Versuchspersonen, desto seltener geben sie an, Déjà-vus zu erleben. Je gebildeter, je stabiler der sozioökonomische Hintergrund und je mehr Reisen desto mehr geben Versuchspersonen an Déjà-vus zu erleben. Die Wahrscheinlichkeit ein Déjà-vu zu erleben steigt mit dem Stresslevel, dem eine Person ausgesetzt ist. Das sind ein paar Ergebnisse, die die Forschung gebracht hat.
Und dann gibt es zahlreiche Theorien, die erklären wollen, wie ein Déjà-vu entstehen könnte. Hinter jeder Wahrnehmung steht ein konkreter physischer Prozess, egal wie abstrus sich das Gefühl anfühlt. In manchen Situationen ist es hilfreich, sich dem bewusst zu werden. Es ist nie nur bloße Einbildung. Auch Déjà-vus sind nichts Magisches. Hier eine Auswahl an Forschungsansätzen, die ganz plausibel erscheinen:
Dual Processing Theorien…
… Spekulieren, dass zwei Prozesse, die normalerweise in Zusammenarbeit operieren, kurzzeitig asynchron voneinander ablaufen oder, dass ein Prozess in Abwesenheit des anderen aktiviert wird.
1. Abruf und Vertrautheit: laufen normalerweise gleichzeitig ab, d.h. konkret für uns: Wenn man etwas aus dem Gedächtnis abruft, kommt es vertraut vor. Geschieht allerdings ein Abruf, ohne dass das Vertrautheitsnetz im Gehirn aktiviert ist, kommt der Person eine gewohnte Szene, eine Umgebung oder ein Mensch auf einmal fremd vor. Das bezeichnet man dann als sogenanntes Jamais-vu. Andersherum kann auch der Prozess im Hirn aktiviert werden, der das Gefühl der Vertrautheit suggeriert, ohne dass synchron dazu Abrufprozesse in Gang gesetzt werden. Das wäre dann ein klassisches Déjà-vu.
2. Spannend ist auch die Kasettenrekorder-Theorie, die eine Subtheorie im Dual-Processing Ansatz darstellt. Sie bezieht sich auf die Aufnahme von Informationen und deren Abruf. Unter normalen Bedingungen funktioniert Aufnahme von Informationen und deren Abruf ähnlich wie der Aufnahme- bzw. Abspielknopf eines Tonbandgeräts: Entweder der Aufnahme- (Kodierung) oder der Abspielkopf (Abruf) kann eingeschaltet sein, nicht aber beide gleichzeitig. In seltenen Fällen sind im Gedächtnis einer Person während einer neuen Erfahrung sowohl der Aufnahme- als auch der Abspielkopf gleichzeitig aktiv. Dadurch entsteht ein falsches Gefühl der Vertrautheit für die neu aufgenommene bzw. gerade kodierte Erfahrung.
3. Eine weitere Theorie, die unter den Dual Processing Ansatz fällt, ist, dass Wahrnehmung und Gedächtnis simultane Prozesse sind. Vertreter:innen dieser Anschauung postulieren, dass das Gedächtnis niemals hinter der Entstehung der Wahrnehmung zurückbleibt. Wahrnehmung und Gedächtnis gehen praktisch im Gleichschritt direkt hintereinander her. Die kognitiven Ressourcen des Menschen konzentrieren sich im Allgemeinen allerdings nur auf die Wahrnehmung eines laufenden Ereignisses. Ablenkung, Unaufmerksamkeit oder Müdigkeit können dazu führen, dass sich Erinnerung und Wahrnehmung vorübergehend ineinander verschränken. Dann knallt das Gedächtnis förmlich auf die Wahrnehmung wie zwei hintereinander gehende Menschen, bei denen die vordere Person kurz stehen bleibt. Erinnerung und Wahrnehmung kollidieren. Ergebnis des Unfalls: Ein Déjà-vu.
Neurologische Theorien
Beziehen sich ebenfalls auf die Funktionsweise des Gehirns, aber auf neurologischer Ebene. Sie bringen die Déjà-vu Erfahrung mit kurzfristigen Läsionen oder einer Veränderung der normalen Transmissionsgeschwindigkeit zusammen. Beispielswiese kann es passieren, dass die neuronale Informationsweitergabe schneller als gewöhnlich abläuft. Dann entsteht das Gefühl, dass das Wahrgenommene bereits alt ist. Sprich, wir denken, wir hätten es schon einmal erlebt.
Das lässt sich gut auf Basis der visuellen Informationsaufnahme erklären. Wahrnehmung und Verarbeitung visueller Information laufen so ab, dass zwei hintereinandergeschaltete Neuronen feuern müssen, damit etwas als Eindruck wahrgenommen wird. Wenn eines davon verzögert sein Signal abgibt, denkt das Gehirn, es sei schon ein neuer Reiz. Und wir denken, wir hätten die Situation schon einmal gesehen und erlebt.
Gedächtnistheorien
1. Menschen nehmen den Großteil ihrer Umwelt wahr, ohne einzelnen Eindrücken groß Aufmerksamkeit zu zollen. Anschließende Verarbeitung dieser Informationen kann das Gefühl subjektiver Vertrautheit hervorrufen, ohne dass eine Erinnerung vorhanden ist. Man ist sich zwar der erlebten Situation nicht bewusst geworden, verarbeitet sie aber trotzdem. Dieser Konflikt führt zu dem Gefühl, die Situation schon einmal erlebt zu haben.
2. Zusätzlich gibt es im Kontext dieser Theorie auch die Vermutung, dass das Wissen, diese Szene noch nie erlebt zu haben, im Konflikt damit steht, dass man ähnliche Szenen aus Filmen, Dokumentationen, Fotos etc. als eigene Erinnerungen interpretiert.
3. Und zu guter Letzt gibt es Forscher, die erklären, dass nicht der Inhalt, sondern das Denkmuster, das die Szene provoziert, ein Déjà-vu anstößt. Es kann sein, dass eine Situation in der Vergangenheit einfach ein sehr ähnliches Denkmuster ausgelöst hat, wie die Situation, die man gerade erlebt.
Erklärungen ohne Erklärung
Physiologie stößt an die Grenzen der Logik. Ich empfinde Déjà-vus fast schon als Science-Fiction Szenario. Es ist beruhigend, dass es Theorien gibt, die das Phänomen Déjà-vu erklären. Allerdings habe ich nach all den Unklarheiten, die auch die Forschung offen lässt, das Gefühl, irgendjemand in meinem Kopf will mir einen Streich spielen. Wer oder was genau, habe ich aber leider Jamais-vu.
Beitragsbild: Greta Kluge
Link zur Studie: