Heutiges Sonderangebot: Bodypositivity

Heutiges Sonderangebot: Bodypositivity

Dass Einkaufen von Lebensmitteln zu den Grundbedürfnissen zählt, wusste ich bereits vor meinem ersten Wort, Der Kaufmannsladen bei uns im Kinderzimmer bezeugte die Wichtigkeit des Einkaufens. Natürlich wurde hier der rundeste Pfirsich verkauft – alles nur mit Spielgeld versteht sich – zehn Birnen zum Sonderangebot, heute aufs Haus? Wenn das so ist, gibt es die größte Aubergine glatt noch mit den prallsten Kirschen dazu. Was steht heute auf dem Einkaufszettel? Vorspeise: Lauchsuppe Hauptgericht: Auberginenragout auf Kirschenvinagrette Nachspeise: Pfirsichsufflet. Also ging ich einkaufen.

Von Olivia Rabe

Kirschen gibt’s nicht nur im Sommer 

Gestern war ich noch einkaufen und schon sitze ich mit Streuselkuchen im Gesicht in der 8. Klasse im Sexualkunde Unterricht, der mir jetzt, zu meiner unschuldigen Verzweiflung, weis machen will, dass ich bald nicht mehr nur Kirschen im Supermarkt finden werde, sondern diese sogenannten Kirschen auch an meinen Körper auftauchen werden. Ohne dass ich nur darüber nachdenken konnte, wuchsen sie, aber wieso hatten die anderen noch keine Kirschen? Und wieso waren meine so unförmig? Ehe ich mich versah, ging es nicht mehr nur um das Einkaufen.

Letzte Woche war ich doch nur einkaufen.

Was kann denn der Lauch dafür?

Kommst du heute mit einkaufen? 

„Sei leise du Lauch!“ 

– Heute gab es zum Mittagessen Lauch Quiche. Dabei musste ich nicht daran denken, wo ich sonst den Lauch im Supermarkt finde würde oder ob er so grün war wie immer. Dabei musste ich heute an einen Jungen aus der Schule denken. Man hatte ihn als Lauch bezeichnet. Auf einmal war da nicht mehr nur das Gemüse.

Gestern war ich doch nur einkaufen. 

Darf man als Vegetarier:in Speckröllchen haben? 

Ich gehe später einkaufen, gehst du mit?

Als ich aufgehört habe Fleisch zu essen, war mir nicht bewusst, dass mein Spiegelbild mich zwingen würde sich immer wieder mit diesem Thema auseinander setzen zu müssen. Ich fand dies unfair, vor allem, weil manche Menschen nicht in der Fleischabteilung einkaufen, gehen mussten. Dafür umso präsenter in der Käseabteilung aufzufinden waren, was evtl. auch ihren Geruch erklären würde. 

 Lieblingskäse? Schimmelkäse. Dass ich still und heimlich mit diesen Menschen tauschen wollte und sie insgeheim sich dasselbe wünschte, hatte nicht mehr viel mit Einkaufen am Hut. 

Ich war doch nur einkaufen. 

Die Jagd nach dem Sonderangebot 

Die Besuche im Supermarkt fanden ab jetzt nur noch in unseren Kopf statt. Wir hatten mit den Kaufmannsläden gespielt, jetzt suchten wir verzweifelt nach den perfekten Obstsorten. Aus den Plattpfirsichen wurden gespritzte, glatte Pfirsiche. Aus dem Lauch wurden Hähnchenbrust mit Magerquark, aus dem Spiegelbild wurden vorgehaltene Spiegel. 

Am Ende dieser erdrückenden Einkaufsliste gab es scheinbar die Lösung.

Heute im Sonderangebot: Bodypositivity. 

Und so rannten wir los. Voller Hoffnung, mit leeren Einkaufskörben und einem Wunsch der Veränderung. Eine Revolution des Einkaufens!

Also gehen wir einkaufen.

Doch es geht hierbei lang nicht mehr nur um das Einkaufen.

Das Verfallsdatum ist auch nur eine Zahl

Die Zeiten änderten sich. Dies war gut, es nahm den Druck aus der Sache. Doch nahm es das wirklich? Verzweifelt von zermürbenden Obst- und Gemüsesorten stürzte man sich in etwas, was unser Verfallsdatum scheinbar eindämmen sollte. Das uns länger brauchbar machen sollte, weil es uns lehren sollte die Kontrolle und Bestimmung über uns zurückzugewinnen. Denn schließlich sind wir Menschen und kein Joghurt! 

 „Was wenn die Zahl doch eine Zahl ist und ich es nicht schaffe die Kontrolle über meinen Einkauf zu bewahren. Alle an mir vorbeiziehen. Ich wieder zurück bleibe. Was habe ich dann vom Sonderangebot?“

„Du bist kein Lauch.“, aber was ist, wenn ich das nicht glauben kann?

„Deine Speckröllchen sind liebenswert.“, aber was ist, wenn ich dennoch jeden Tag meinen Wert davon abhängig mache?

„Für deine Aubergine musst du dich nicht schämen.“, aber was ist, wenn ich mir trotzdem Gedanken mache?

„Dein Pfirsich definiert nicht was für ein Mensch du bist, was für ein Mensch du sein kannst.“, aber was ist, wenn ich das nicht sehen kann? 

Was ist, wenn ich den Gedanken schön finde, der Gedanke einen richtigen Weg bereitet? Was ist, wenn die Zahl doch eine Zahl für mich ist und ich es nicht schaffe die Kontrolle über meinen Einkauf zu bewahren? Wenn ich impulsive Einkäufe tätige? Falle ich dann aus dem Regal? Darf ich dann überhaupt Teil des Sonderangebots sein. Darf ich dann überhaupt einkaufen. 

Ich will doch nur einkaufen. 

Jetzt ist Schluss(-Verkauf)!

Sonderangebote sind verlockend, sie verleiten uns dazu sehr schnelle Entscheidungen zu treffen, da sie scheinbar schnelle Lösungen bieten. – zehn Bananen zum Preis von drei! Wer hätte das nicht gern. –

Weniger Geld, mehr Glück? Weniger Aufwand, mehr Profit? 

Sie nehmen einem die Entscheidung ab und vermitteln das Gefühl zu diesem Zeitpunkt aus einer richtigen Ambition zu handeln. Ohne zu hinterfragen, ob man wirklich zehn Bananen braucht. Sie lassen einen vergessen warum man einkaufen gegangen ist. Sie wecken Durst nach mehr und „Mehr“ bedeutet im Umkehrschluss früher oder später Druck.  Druck fördert Frustration. Die Wertschätzung der regionalen Produkte, der Lebensmittel ist an erster Stelle. Denn wir wollen alle einfach nur einkaufen gehen und ein gesundes Leben führen. Doch zu welchem Preis? 

Am Ende des Tages ist es egal wo du einkaufen gehst, was du einkaufst oder wie du dich dabei fühlst. Es geht schon lang nicht mehr nur um Gemüse, Obst und Lebensmittel. Es geht um Akzeptanz, Neutralität, Prozess, weniger Extreme und einfach mal die Präsenz des Sonderangebotes zu verringern. Es muss nicht alles eine besondere Gewichtung besitzen, manchmal reicht es aus, Mensch zu sein und den Lauch, Lauch sein zu lassen.

Versuchen wir es doch mit: 

Schlussverkauf: Bodypositivity.

Neueröffnung: Body Neutrality.

Und jetzt lasst uns alle einkaufen. Diesmal wirklich.

Beitragsbild: Olivia Rabe

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