Schreibwerkstatt: »Freitagmorgen«

Die Knöchel seiner Hände traten weiß hervor, als sie sich fester um die Ränder des Waschbeckens schlossen. Sein Magen krampfte sich zusammen, sein Kopf tat weh und es kreischte in seinen Ohren. Im Ausguss vermischten sich verschiedene Flüssigkeiten des vergangenen Abends. Hastig drehte er den Wasserhahn auf. Wasser. Kaltes Wasser ins Gesicht und über das Erbrochene. Er blickte auf. Der Spiegel zeigte ihm das Bild eines müden Mittdreißigers mit Dreitagebart. Die blauen Augen, blutunterlaufen. Scheiße, war er das? Steve?

»Steve!«, erhebt sich die helle Stimme einer Frau über das Menschengewirr, »Steve. Ich hab ihn!«
Zwischen den massigen Körpern zweiter Baseballfans im Mannschaftstrikot quetscht sich die schlanke Gestalt von Maggy hindurch. Über ihrem Kopf schwenkt sie ein Blatt Papier. Sie strahlt ihn an. »Ich habe das Interview mit dem Kapitän für dich. Exklusiv nach dem Spiel.« Er sieht zu ihr hinunter, auf die blonden Engelslocken, in ihre smaragdgrünen Augen, an dem Cheerleader-
Dress entlang. Freitagmorgen. Es klingelt an seiner Tür. Mattes Licht fällt durch das halbgeöffnete Fenster in seine widerstrebenden Augen. Blei füllt seinen Körper. Über ihm dreht sich träge ein Ventilator. Es ist heiß. Das Bett ist zerwühlt. Es klingelt noch einmal. Vor der Tür steht eine Frau. Schlank, grüne Augen, blonde Haare. Ein Name quillt aus den Tiefen seiner Erinnerung. Maggy?
Sie setzten sich an den Küchentisch. Draußen singen Vögel. Maggy erzählt. Maggy war beim Arzt.
Maggy ist schwanger. Hit by pitch*.

Aus dem Spiegel blickt ihn ein Mann an. Ein alter Mann in einem großen Haus. Im Garten spielen Kinder um einen Baum. Ihr Lachen hallt durch die offenen Fenster. Ein alter Mann und eine alte Frau auf einer Couch. Hand in Hand. Sie sehen glücklich aus, oder? Bis der Tod euch scheidet?
Steve?
»Hey Steve? Bist du in Ordnung, da drinnen?«
Maggy. Maggy steht vor der Badezimmertür. Sie wartet auf eine Antwort. Lieber kein Leben als ein Leben in Schande? Du kannst dich nicht ewig verstecken. Er blickt in den Spiegel.
Nein! Das Kreischen verstummte. Das war er nicht, noch nicht. Er blickte in den Spiegel, in ein attraktives Gesicht mit stahlblauen Augen. Den rechten Arm zierten Tätowierungen für die
Ewigkeit. Rosen und Kreuze. Er wandte sich um und ging zur Tür. Mit einer Hand auf der Klinke verharrte er und schaute noch einmal zurück. Das war er. Aus dem Augenwinkel bemerkte er etwa in der Badewanne. Er sah genauer hin. Dort lag ein Kind. Die Augen weit aufgerissen. Stahlblau. Es schrie nicht mehr.