Hikikomori – Japans verborgene Isolation
Über eine Millionen Japaner:innen leben in kompletter Isolation. Ohne Kontakt zur Außenwelt verbringen sie die meiste Zeit vor ihrem Computer. Doch was genau steckt hinter dem Phänomen »Hikikomori«? Warum leben Menschen freiwillig dieses abgeschottete Leben?
Von Paula Dowrtiel
Was genau ist Hikikomori?
Während viele junge Menschen einen starken Drang nach Freiheit und Abenteuer verspüren, findet das Leben hunderttausender junger Japaner:innen ausschließlich in den eigenen vier Wänden statt. Die sogenannten »Hikikomori« isolieren sich über einen langen Zeitraum hinweg komplett von ihrer Außenwelt und haben meist ausschließlich zu ihrer eigenen Familie Kontakt, teilweise zu keiner anderen Person. Computerspiele und Social Media ersetzen die sozialen Interaktionen. Das Phänomen wurde zum ersten Mal in den neunziger Jahren erforscht und bis heute steigt die Anzahl der in Isolation lebenden Menschen stetig an. Die genaue Zahlen sind nur schwer zu ermitteln, aber in einer Studie des japanischen Kabinetts aus dem Jahr 2022 wurden über 1,4 Millionen Menschen als Hikikomori bezeichnet.
Warum schotten sich Menschen komplett von der Außenwelt ab?
Laut der Studie des Kabinetts sind die Gründe, warum Menschen anfangen sich komplett zu isolieren sehr vielfältig und reichen von gescheiterter Jobsuche über nicht bestandene Prüfungen zu schlechten zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Fotografin Maika Elan dokumentierte das Leben acht verschiedenere Hikikomori. Diese berichten ihr, dass zu hohe Erwartungen, Mobbing und wirtschaftliche Probleme zu ihrer Isolation führten. Je länger der Zustand der Abgeschiedenheit desto schwerer und furchterregender wird der Gedanke das eigene Zuhause zu verlassen, so Elan. Eine Studie aus 2023 publiziert in der Clinical Child and Family Psychological Review nennt unter anderem negative Erfahrungen mit Gleichaltrigen, exzessive Nutzung des Internets und der digitalen Medien sowie psychiatrische Erkrankungen als Auslöser.
Die Schattenseite der Isolation
Die meisten Hikikomori sind abhängig von ihren Eltern. Diese versorgen sie mit Lebensmitteln und sind somit die einzigen Kontaktpersonen der Isolierten. Diese Abhängigkeit führt auch dazu, dass Hikikomori nach dem Tod ihrer Eltern nicht weiter für sich sorgen können und selbst sterben. Teilweise werden die Verstorbenen Monate nicht gefunden, da ihr abgeschotteter Lebensstil vor anderen geheim gehalten wurde, aus Angst vor dem gesellschaftlichen Stigmata.
Wie wird diesen Menschen geholfen?
Laut einem Artikel der Psychology Today sucht eine signifikante Nummer an Betroffenen nach Hilfe, sind sich aber häufig unsicher, wo und inwiefern sie Unterstützung bekommen können. Es gibt Organisationen, welche die Isolierten unterstützen in ihr Leben zurückzufinden. Laut Maika Elan sei es das Ziel in kleinen Schritten zu lernen, das eigene Zimmer zu verlassen und wieder in das alltägliche Leben zurückzufinden. Dies könne Jahre dauern, meint Elan.
Das Phänomen Hikikomori ist im Laufe der letzten Jahre nicht nur in Japan aufgetreten. Immer mehr Menschen isolieren sich weltweit von der Außenwelt und leben in völliger Abgeschiedenheit. Deswegen ist es heute wichtiger denn je offen mit mentaler Gesundheit umzugehen und gesellschaftliche Stigmata zu überwinden.
Quellen:
https://www.asiapacific.ca/sites/default/files/publication-pdf/Insight_NEA_Apr18_V2.pdf
Beitragsbild: unsplash – Sasha Freemind