How to Filmkritik?
Die Filmkritik ist neben der Literatur- und Kunstkritik eine der letzten Bastionen des gehobenen Kulturjournalismus. Anmerkungen und Missverständnisse einer aussterbenden Kulturpraxis.
von Johannes F. Schiller
Was soll Filmkritik heute noch bewirken? Hat sie ihren Stellenwert in der Gesellschaft eingebüßt? Es steht tatsächlich schlecht um den Filmkritiker, eine existenziell bedrohte Profession. Die Feuilletons in den Zeitungen werden schmäler. Das Kino verlagert sich zusehends auf Streaming-Plattformen. YouTube-»Reviews« von Amateur:innen und Hobbykritiker:innen werden dankbar angenommen. Dieser Artikel möchte beleuchten, was genau Filmkritik doch leisten kann und vielleicht erwirken sollte (und was eher nicht) – aber möglicherweise in Teilen verloren hat.
Die klassische Filmkritik entstand um 1910 aus der Theaterkritik, die schon lange zuvor Bestand hatte. Doch auch hier begannen sich die Lager schnell zu spalten: Interessierte sich Siegfried Kracauer für die »Ideologie-Maschine« des Kinoapparats, betonten Rudolf Arnheim und Béla Balázs die ästhetischen Qualitäten der Filmkunst. Bis heute tauchen diese grundlegenden Tendenzen auf, häufig als Mischformen in der Verschränkung der beiden. Filmkritik kann essayistisch sein, polemisch, analytisch, von schwankender Qualität und als Kunstform sui generis praktiziert werden. Die Grenzen sind fließend, und vielleicht ist gerade deswegen mehr Differenzierung über ihre Aufgaben geboten. Dies ist in keiner Weise eine normative Setzung, vielmehr ein Kommentar, der es gut meint in seiner Schärfe.
Filmkritik erfüllt einen übergeordneten Bildungsauftrag
Ich stoße immer wieder bei Leuten auf Missverständnisse, wenn es darum geht, die Aufgaben der Filmkritik zu benennen. Es handelt sich nicht um eine bloße Inhaltswiedergabe mit wertender Empfehlung oder Ablehnung. Auf keinen Fall ist es eine Nacherzählung von Handlungsabläufen. Zumindest sollte das nicht ihre Mission, ihr erklärtes Ziel sein. Das hängt ganz oft davon ab, welche Ambitionen die Autor:in verfolgt. Mit betont subjektiven Geschmacksurteilen sind in der Regel sehr verblendete Einsichten verbunden und man fragt sich, ob die Person wirklich qualifiziert ist, über den Gegenstand zu sprechen.
Lieber lese ich gut geschriebene Kommentare oder Analysen, denn diese setzen sich mit dem Werk in der Regel zuverlässiger auseinander. Hier stolpert man gewiss nicht über dilettantische »Ich«-Botschaften. Die abschließende Wertung ist oft mehr notwendiges Übel, unnötiger Ballast, und umso problematischer, wenn sie auf persönlichen Präferenzen und Neigungen fußt. Sie sind die Unfallstellen der Kritik, woran viele scheitern, da der Subjektivismus ihre Aussagen zunichte macht. Stark meinungsbasierte Artikel verzerren und vernichten letztlich die Wertigkeit des Geschriebenen.
Die seriöse Filmkritik hingegen ist immer auch analytisch. Sie bietet eine Lektüreanweisung an, ordnet das Werk in seinen technischen, ökonomischen oder philosophischen Rahmen ein. Sie erfüllt einen Bildungsauftrag. Das war besonders nach dem Zweiten Weltkrieg vonnöten, wo sie in kirchlicher Hand eine geradezu moralisch-sittliche Funktion innehatte. Eine solche Form ästhetischer Erziehung ist heute auf diese Weise unvorstellbar und durch kirchliche Ämter ohnehin als Indoktrination verschrien. Wünscht man sich doch nichts sehnlicher als die Befreiung von einengenden Dogmen!
Die Filmkritik verpflichtet sich ausschließlich dem filmischen Text selbst oder läuft Gefahr, ihre Interessen zu verraten
Idealerweise stehe ich im Dienst des Films, nicht einem bestimmten Publikum. Filmkritik ist ebenso keine Serviceleistung an den Produzenten. Ich »schulde« dem Film etwas, nicht einer Zielgruppe, die sich für den Film potenziell interessieren mag. Filmkritik ist ein Ringen um die richtigen Worte, um das Gesehene, das Empfundene möglichst akkurat wiederzugeben, deskriptiv erfassbar zu machen. Das ist mitunter die schwierigste, aber am stärksten belohnende Aufgabe, da ich mich auf einer abstrakten Ebene in das Werk und seine inszenatorischen Eigenheiten, seine Struktur, Themen und Figuren hineindenken muss. Es gilt, eine präzise Sprache zu entwickeln, die sich dem Film geistig annähert, ihm gerecht wird. Eine theoretisch unmögliche Aufgabe: Bilder und Töne in Worte übersetzen. Das gilt auch für einige der Geisteswissenschaften.
Film verlangt mein Abstraktionsvermögen, zum Beispiel mein historisches, literarisches wie gesellschaftspolitisches Wissen ab. Das macht absolut Sinn, denn meine Überlegungen sollen auch nach dem Filmgenuss noch relevant sein, sodass man sich tiefgründiger mit dessen Inhalten beschäftigt. Oder umso mehr einen Diskurs eröffnen, in dem seine Bedeutungsräume fruchtbar gemacht werden können. Es geht um Mehrwert und Reflexion. Hat die Filmkritik andernfalls nicht ihre Daseinsberechtigung verwirkt?
Gleichwohl gehen »Entscheidungshilfen für potenzielle Zuschauer« (Günter Rohrbach) am eigentlichen Sinn der Filmkritik vorbei. Das verkennt ihr zentrales Anliegen, indem sie sie auf das Konsumverhalten des Rezipienten reduziert, dessen Erwartungen sie erfüllen soll wie ein einzulösendes Versprechen. Nach dem Schauen wäre das »Empfehlungsschreiben« verbraucht. Film verkommt zum »Gebrauchswert« und wird somit qua Definition anti-Kunst. In diese Richtung scheint sich jedoch der Trend zu bewegen: Influencing. Wo Filmkritik zum PR-Instrument gemacht wird und nur noch den Markt bedient. Man ist gefangen in einem höllischen Zirkel, der sich unentwegt selbst bestätigt. Selbstredend ist dies eine akute Gefahr für jede Form unabhängiger Filmkritik, die sich als eigenständiges journalistisches Handwerk versteht – ohne Beeinflussung von außerhalb, ohne rein wertend zu sein.
Beitragsbild: Daniel Guerra / Unsplash