Blaulicht statt Lichterketten – Interview mit der Letzten Generation
Am Donnerstag, den 14. Dezember, bin ich bei den Arcaden in Regensburg auf eine Aktion der Letzten Generation gestoßen. Mit ihrem Protest haben sie mich im vorweihnachtlichen Geschenkefieber zum Nachdenken gebracht. Deswegen habe ich mich mit Freya von der Letzten Generation getroffen und sie gefragt, was sie bewegt und wie es für sie ist, die Letzte Generation zu unterstützen.
von Ida Müermann
»Besinnlich in die Katastrophe?«
Vor einer Woche hat die Letzte Generation in Regensburg mit einer Stehblockade protestiert. Es ging dabei nicht darum, den Verkehr für längere Zeit lahmzulegen. Stattdessen haben die Aktivist:innen nach fünf Minuten Verkehrsstopp die Autos durchgelassen, um kurz darauf eine zweite Stehblockade zu beginnen. Mit der Ankunft der Polizei hat sich der Protest friedlich aufgelöst. Im Anschluss wurden Flyer an Passant:innen verteilt, während die Polizei die Personalien überprüfte.
Mit dieser Aktion wollte die Letzte Generation an die Dringlichkeit der Klimakrise erinnern, die in der hektischen Vorweihnachtszeit für viele in den Hintergrund rückt. Zudem haben sie mit Plakaten wie: »Besinnlich in die Katastrophe? Nächstenliebe = Klimaschutz!« ein am Konsum orientiertes Weihnachtsfest in Frage gestellt. Vor Ort habe ich Freya getroffen, die Fragen von Passant:innen beantwortet hat, um eine Möglichkeit zum Dialog mit der Organisation zu bieten. Ich habe mich mit ihr am Sonntag zu einem Interview verabredet:
»Wir müssen uns ganz aktiv dieser Ungerechtigkeit in den Weg stellen.«
Ida: Wann bist du Teil der Organisation geworden und warum? Gab es ein Schlüsselereignis, das dich dazu motiviert hat?
Freya: Ich bin seit April dieses Jahres bei der Letzten Generation. Weil ich zu dem Zeitpunkt nicht in Deutschland war, habe ich mich nicht damit auseinander gesetzt gehabt, obwohl ich Freund:innen im Aktivismus habe und auch selber schon bei Fridays for Future und Extinction Rebellion war. Dann bin ich aber nach Regensburg gezogen und habe Simon und Jannik kennengelernt, die mich zu einem Protesttraining eingeladen haben. Ich habe dort viel gelernt, mich nochmal mit zivilem Ungehorsam auseinandergesetzt und konkreter überlegt, wie ich die Zukunft sehe. Danach hat eine Freundin zu mir gesagt, dass wir das doch nicht angehört hätten, nur um jetzt nach Hause zu fahren und nichts zu machen. Wir müssten uns aktiv dieser Ungerechtigkeit in den Weg stellen und sollten daher in den Widerstand gehen.
Warst du schon mehrfach bei Protesten dabei?
Ich studiere und habe auch noch einen Nebenjob; das heißt, ich bin nicht ständig dabei. In Regensburg schon, wenn es Aktionen gibt. Ich war insgesamt im letzten Jahr zweieinhalb Wochen in Berlin und war da auch bei vielen Aktionen dabei. Das war eine sehr intensive Zeit, in der ich mit ganz vielen Menschen gesprochen habe, sowohl innerhalb der Bewegung, als auch auf der Straße oder mit Politiker:innen. Das waren sehr wertvolle Gespräche.
Was machst du bei der Letzten Generation? Gibt es bestimmte Aufgaben für dich?
Seit ich bei der Letzten Generation aktiv bin, habe ich verschiedene Aufgaben übernommen. Ich war zum Beispiel im Support. Das bedeutet, dass man in Blockaden die zeitliche Reihenfolge und den Ablauf dokumentiert sowie Fotos und Videos macht. Man ist auch für die Leute da, die in Gewahrsam genommen werden, damit man die Festnahmen an den Legal-Support meldet, sodass diese Bescheid wissen. Sonst war ich auch schon aktiv bei Blockaden oder Protestmärschen dabei. Kurz nach dem Zeitpunkt, als ich bei der Letzten Generation angefangen hatte, wurde eine Wiederstandgruppe in Regensburg gegründet, da fallen seither organisatorische Aufgaben an. Manchmal sind wir auch bei Diskussionsrunden dabei. Wir haben wöchentliche Treffen, die vorbereitet werden, wir beantworten Mails, sind im Support – verschiedene Sachen.
»Haben wir das Recht dazu, Menschen so massiv zu stören?«
Gab es für dich schon einmal Probleme, weil du bei der Letzten Generation bist?
Das würde ich in zwei verschiedene Kategorien packen. Zum einen in »persönliche oder emotionale« Probleme und zum anderen in »juristische«. Tatsächlich hatte ich bisher keine Gerichtsverfahren, aber die werden noch auf mich zukommen. Darauf bin ich vorbereitet. Ich glaube trotzdem, dass ich das Ausmaß erst richtig erkennen kann, wenn es so weit ist. Bisher habe ich nur Ordnungswidrigkeiten bezahlen müssen.
Emotional ist es auf jeden Fall eine Belastung, immer wieder abzuwägen, welche Aktionen man gut findet und welche nicht. Mich beschäftigt auch die Frage: »Haben wir das Recht dazu, Menschen so massiv zu stören? Lohnt es sich überhaupt?« Das sind meine persönlichen Zweifel.
In meinem Freund:innen-Kreis hat es nicht zu Problemen geführt, ich hatte interessante Gespräche darüber. Ich habe manchmal ein bisschen Sorge, was meinen Familienkreis angeht. Meine Tanten und Onkel wissen, dass ich bei der Letzten Generation bin, aber es wird schon eher ausgeklammert. Das finde ich schade; ich wünschte, wir hätten da einen offeneren Umgang damit. Ich hoffe, dass wir es schaffen, da nochmal einen konstruktiven Diskurs zu eröffnen. In meiner engsten Familie ist das kein Thema, ich nehme sie als interessiert wahr, auch wenn sie manches nicht gut finden. Insgesamt sind es schon mehrheitlich innere Konflikte, die wir bestimmt alle kennen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir wirksam sein können und wie wir für Dinge einstehen können, die uns wichtig sind.
»Ich habe auf jeden Fall Angst.«
Hattest du schon mal Sorgen, dass jemand bei einer Blockade zu Schaden kommen kann?
Auf jeden Fall. Die Straßenblockaden sind mit so viel Adrenalin verbunden, dass ich dann währenddessen gar nicht mal so viel Angst habe. Die kommt eher, bevor es losgeht oder wenn ich dann darüber reflektiere. Sobald man aber in der Protestsituation ist, ist es ein bisschen ein Tunnelblick, habe ich den Eindruck. Aber ich habe auf jeden Fall Angst. Ich habe Angst vor der Aggression von Autofahrenden oder auch Passant:innen. Auch bezüglich der Polizei: Wenn ich weiß, dass sich Freund:innen von mir gerade in Polizeigewahrsam befinden, dann bereitet mir das auf jeden Fall große Sorge, weil man eben nicht weiß, was passiert. Es gibt die verschiedensten Berichte, und ich habe selbst schon vieles erlebt. Tolle und kooperative Zusammenarbeit mit der Polizei, aber leider auch verbale Gewalt. Ich habe auch schon gesehen, wie bei Freund:innen Schmerzgriffe angewandt worden sind. Das macht mir dann Sorgen.
Ich habe auch Bedenken wegen der psychischen Gesundheit. Sowohl, dass man im Netz permanent, als auch auf der Straße Hass erfährt. Aber trotzdem mache ich, beziehungsweise machen wir das: Weil wir Hoffnung haben, dass diese Protestform als ein Teil des Aktivismus dazu führen kann, dass wir eine klimagerechte Zukunft erschaffen.
Was ist mit der Befürchtung, dass ein Krankenwagen wegen einer Straßenblockade nicht durchkommt?
Die Frage hat mich auf jeden Fall schon beschäftigt. Für mich ist es total wichtig, dass ich einen positiven Einfluss in der Welt hinterlasse. Natürlich möchte ich auf keinen Fall, dass meinetwegen oder wegen der Bewegung jemand zu Schaden kommt. In allen Blockaden, in denen ich bisher war, sind die Krankenwägen ohne Probleme durchgekommen. Trotzdem gibt es kleine Verzögerungen, das beschäftigt mich immer wieder. Es wird aber auch vorher Kontakt zu den Rettungsstellen gesucht und mitgeteilt, wo etwas stattfindet. Wir versuchen, da so gut wie möglich zu kommunizieren und Rettungsgassen schnell zu öffnen.
»Es gibt in Deutschland Mehrheiten für den Klimaschutz.«
Welches Klischee über die Letzte Generation würdest du am liebsten aus der Welt schaffen?
Was mich besonders stört, ist, wenn Personen sagen, dass die Mehrheiten für den Klimaschutz durch die Letzte Generation kleiner werden. Dazu gibt es verschiedene Studien, die es nicht belegen können. Es gibt in Deutschland Mehrheiten für den Klimaschutz. Menschen sagen teilweise, sie fänden die Letzte Generation schlecht. Aber das hat keine direkte Auswirkung darauf, ob sie für Klimaschutzmaßnahmen sind. Das wird immer wieder gesagt, ist aber faktisch falsch. Wir machen das nicht, damit Leute uns mögen oder die Protestform mögen, sondern damit das Thema Klimaschutz im Diskurs bleibt und einen größeren Raum einnimmt. Es ist okay, wenn Leute sagen, dass sie die Letzte Generation schlecht finden. Sie sagen deswegen aber nicht: »Weil ihr auf der Straße geklebt habt, habe ich keine Lust mehr auf Energiewende.«
Gibt es für uns demnächst wieder eine Möglichkeit, mit euch in den Dialog zu treten? Was ist die nächste Aktion der Letzten Generation?
Wir machen in Regensburg wöchentlich Vorträge und haben auch jede Woche ein Widerstandsgruppentreffen, zu denen ihr alle herzlich eingeladen seid. Wir haben die Termine auf Instagram und auf der Website der Letzten Generation aufgelistet, da könnt ihr uns sehr gerne kontaktieren. Es gibt auch regelmäßig Trainings; wer dort dabei ist, verpflichtet sich natürlich zu nichts. Kommt gerne auch vorbei, wenn ihr Ideen habt, etwas schlecht findet oder Kritik äußern wollt. Bundesweit wird aktuell mehr Fokus auf Kommunikation gelegt, mehr Events statt Blockaden, bei denen Menschen miteinander in den Diskurs kommen sollen.
Möchtest du zum Ende den Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?
Ja, ich möchte Mut machen. Die Welt wird sich im nächsten Jahrhundert stark verändern und das kann auch Hoffnung machen. Wir können eine Welt bauen, die gerechter ist, in der es uns gut geht. Dafür braucht es viel und wir müssen vieles tun. Wir müssen uns dem System in den Weg stellen, das zerstörerisch ist. Dazu kann jeder etwas beitragen, im persönlichen Umfeld etwas bewirken, natürlich auch mit seiner demokratischen Stimme in den Wahlen. Wir haben die Chance, etwas zu kreieren und das System zu wandeln.
Beitragsbild (oben): Letzte Generation (Regensburg)