0,8 Prozent schwanger
Was passiert, wenn man zu den acht von 1000 Jugendlichen zwischen 15 und 17 gehört, die ungewollt schwanger werden? Wie ist es, als Minderjährige einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen? Gedanken zu einer Entscheidung, die inzwischen mehrere Jahre zurückliegt.
Zwei Streifen heißen positiv
Du sitzt in deiner Abiturprüfung, das Blatt vor dir ist noch leer und die Zeit läuft. Du weißt, es ist der Moment, auf den du die letzten Monate gelernt hast. Trotzdem kannst du dich nicht auf das Gedicht konzentrieren, das vor dir liegt. Stattdessen wandern deine Gedanken immer wieder unter den Tisch, zu deinem Bauch, genauer gesagt zu deiner Gebärmutter. Du wartest auf das Ziehen, dass endlich deine Periode ankündigt, die seit vier Tagen überfällig ist. Du redest dir gut zu, bestimmt nur der Stress, die Prüfungsangst, der Leistungsdruck. Soll ja mal vorkommen, dass die Blutung unter solchen Umständen ausbleibt. Das wird es wohl sein, beschließt du, und wendest dich endlich der Gedichtanalyse auf dem Tisch vor dir zu.
Zwei Tage später stehst du bei DM an der Kasse, weil du das ungute Gefühl nicht mehr ausblenden kannst. Vor dir auf dem Band liegt ein Schwangerschaftstest, der in alle Welt herauszuschreien scheint, seht her, wie unverantwortlich sie ist. Also wirklich, Mädchen, Aufklärungsunterricht gibt es heutzutage doch schon ab der fünften Klasse, scheinen ihre Blicke zu sagen. Und du stehst da und schämst dich- warum? Warum ist es auch beim Frauenarzt im Wartezimmer hauptsächlich das Schamgefühl, das dich begleitet, weil der Test positiv war? Weltweit gesehen sind 48 Prozent aller Schwangerschaften ungeplant. Trotzdem schämst du dich dafür, dass es ausgerechnet dich erwischt hat, mit gerade einmal 17 Jahren. Liebe Gesellschaft, bitte sorg endlich dafür, dass wir uns nicht mehr schämen!
Kosten, Beratungen, Schmerzen- Hauptsache nicht allein
Wenn ich mich heute daran zurückerinnere, was diese zwei Streifen alles ausgelöst haben, kommt einerseits Erleichterung, aber andererseits auch ein bisschen Trauer in mir hoch. Erleichterung, weil es trotz allem für mich gut verlaufen ist. Mein Freund hat einfühlsam reagiert. Er hat mir die Entscheidung vollständig überlassen, ob ich abbrechen möchte oder nicht, und mich bei allem unterstützt. Die Restkosten für den Abbruch hat er übernommen. Restkosten, weil das Bundesland den größten Teil der 300 bis 500 Euro Abtreibungskosten für ungewollt Schwangere ohne Einkommen oder Versicherung übernimmt. Dafür muss nur der entsprechende Antrag bei einer gesetzlichen Krankenkasse gestellt werden, das funktioniert auch für privat versicherte Personen. Was er mir nicht abnehmen konnte, waren die Schmerzen, die ein solcher Eingriff mit sich bringt. Bei mir war es ein medikamentöser Abbruch, bei dem nach der Einnahme von zwei verschiedenen Wirkstoffen Blutungen und Krämpfe ausgelöst werden, bei denen sich der Embryo aus der Gebärmutter löst. Wenn alles gut funktioniert, folgen noch ungefähr zwei Wochen leichte Nachblutungen, die bei mir so stark wie eine reguläre Periode waren.
Diese Methode ohne operativen Eingriff war möglich, weil die Schwangerschaft schon in der fünften Woche bemerkt wurde. Generell ist der medikamentöse Abbruch bis zur neunten Woche durchführbar. Zu einem späteren Zeitpunkt wird eine Absaugung oder Ausschabung vorgenommen, was bis zur zwölften Woche möglich ist. Wenn man sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss man zuvor noch zu einem Gespräch bei einer Beratungsstelle, das in meinem Fall glücklicherweise unkompliziert verlief. Vielleicht lag es daran, dass mein Entschluss für eine Abtreibung schon mit klaren Argumenten feststand. Mit der Entscheidung bin ich nicht allein: von 1000 Jugendlichen werden acht zwischen 15 und 17 Jahren schwanger, nur drei davon bekommen das Kind auch.
Eure Meinung interessiert mich nicht
Was mich jedoch traurig macht: ich habe meinen Eltern bis heute nicht davon erzählt, werde es vielleicht nie tun. Es ist einfach ein zu großes Konfliktpotenzial, das ich vor allem zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht gebrauchen konnte. Eigentlich ist man zwar laut dem Gesetz in jedem Alter berechtigt, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Die Rechtslage besagt aber auch, dass bei minderjährigen Personen im konkreten Fall die Ärzt:in prüfen muss, ob die Jugendliche einwilligungsfähig ist. Einwilligungsfähig bedeutet dabei, dass die Einsichtsfähigkeit in die körperliche und psychische Tragweite eines Schwangerschaftsabbruchs sowie die notwendige Reife gegeben ist. Eine ziemlich schwammige Vorgabe, bei der die behandelnde Person jederzeit eine Zustimmung von den Eltern anfordern kann, womit eine Einmischung unausweichlich ist. Bestimmt existieren auch gute Fälle, bei denen es jede Menge freilassende Unterstützung gibt. Oft genug bekommt man jedoch fremde Überzeugungen mitgeteilt, wird beeinflusst und sogar zu einer Entscheidung überredet. Zu viele Leute, zu viele Meinungen, die alle über den eigenen, ganz privaten Körper urteilen. Vor allem, wenn man noch minderjährig ist. Dabei ist man selbst schon überfordert genug.
Mein Körper, meine Entscheidung
Mir ging damals so viel durch den Kopf, eigentlich hatte ich ja Zukunftspläne, ich wollte ausziehen und studieren gehen. Andererseits wollte ich schon immer Kinder, nur halt nicht direkt vor dem Abitur. Vor allem nicht ohne abgeschlossene Ausbildung, mir als Frau war und ist es sehr wichtig, dass ich auch mit Kindern nie von einem Mann abhängig bin. Ich möchte einen Job, bei dem ich genug verdiene, um notfalls auch alleine für eine Familie sorgen zu können. Es war damals einfach die richtige Entscheidung für mich, die ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Ich hatte das Privileg, dass mein Freund mich unterstützte, dass ein Teil der Kosten vom Bundesland übernommen wurde, dass ich in einem Land lebe, wo ein Abbruch möglich ist. Dabei sollte das für uns alle selbstverständlich sein und nicht nur ein Privileg: die richtige Entscheidung ganz allein für uns und unseren Körper zu treffen.
https://www.tagesschau.de/ausland/weltbevoelkerungsbericht-schwangerschaft-abtreibung-101.html
https://www.profamilia.de/fuer-jugendliche/rechte-und-sexualitaet/schwangerschaftsabbruch