Allein daheim oder doch nicht? – Wenn man sich in der eigenen Wohnung nicht mehr wohlfühlt
Wie ist das eigentlich, wenn das Gefühl von Sicherheit in den eigenen vier Wänden fehlt? Wenn Menschen Grenzen überschreiten und andere Personen dadurch einengen? Begleitet unsere:n Kolumnist:in dabei, wie es sich anfühlt, wenn man sich in der eigenen Wohnung nicht mehr alleine und damit einhergehend nicht mehr wohl fühlt.
Schnellen Schrittes begebe ich mich auf den Weg nach Hause. Hektische Blicke begleitet von lautem Atem verfolgen mich auf den letzten Metern. Ich stecke den Schlüssel in das Schloss der Haustür, sie öffnet sich und ich husche hinein. Sie fällt hinter mir zu. Ich bin sicher, denke ich. Überzeugt von dieser Tatsache bin ich jedoch nicht.
Seitdem ich X – ich nenne ihn an dieser Stelle einfach X, um ihn zu schützen – vor mehreren Monaten abgewiesen habe, lässt er mich nicht mehr in Ruhe. Eigentlich waren es nicht nur mehrere Monate. Unsere Wege schieden sich bereits vor einem Jahr und drei Monaten, dachte ich. X war ein Freund von mir, ein guter Freund sogar. In einer ungünstigen Situation offenbarte er mir seine Gefühle. Doch nicht auf die reguläre beziehungsweise angemessene Art. Dieser Prozess steigerte sich von „ich muss dir etwas sagen“ hin zu „ich hatte einen Traum mit dir, willst du wissen, um was es ging?“ über zu „ich glaube, ich liebe dich“ – und das geschah via Whatsapp an einem Mittwochabend gegen 23 Uhr. Er hatte etwas zu viel getrunken, okay, kann passieren. Es ist stark einem Menschen solche Dinge zu offenbaren, egal, ob unter Alkoholeinfluss oder nüchtern. Doch ich wusste, dass ich diese Gefühle nicht erwidern würde, mehr als einen Freund sah ich nicht in ihm. Das kommunizierte ich, bat um Raum, um damit kurz klarzukommen. Diesen bekam ich nicht. Ich bat, nachdem ich mich eingeengt fühlte, um etwas Distanz. Auch diese bekam ich nicht. Stattdessen wurde ich beleidigt, respektlos behandelt und für Dinge verantwortlich gemacht, die in X’s Leben schiefliefen. Er wollte mir eigentlich nicht unterstellen, dass ich der Grund dafür war, dass ein Sturm ausbrach und er deswegen nicht heimfahren konnte, aber irgendwo auch doch. Bisschen surreal, aber gut. Gerade die daran anschließenden vehementen Beleidigungen trafen mich sehr. Auch die permanente Kontaktsuche über die unterschiedlichsten Medien belastete mich, so wie sie es auch heute noch tut. Kam keine Antwort auf Whatsapp meinerseits, wurde ich auf Instagram kontaktiert. Folgte über Social Media keine Antwort mehr, schrieb er mir Postkarten und Briefe. Auch meine Uni-Mail-Adresse war nicht sicher vor seinen Angriffen gegen mich.
In meinen eigenen vier Wänden fühle ich mich auch heute noch unsicher, aus Angst, er könnte herausfinden, wo ich inzwischen wohne. Manchmal wache ich nachts auf, mit den Gedanken, er stünde in meiner Wohnung. Dann schlafe ich auch nicht mehr ein. Inzwischen habe ich eine Panzerkette an meiner Tür angebracht, da mich die Paranoia, er könnte mich hier aufsuchen, vor einem Jahr noch verrückt gemacht hat.
Die Polizei sagte mir, dass man nicht viel machen könnte. Er beeinflusste mich in meinem alltäglichen Leben nicht zu sehr. Einfach ignorieren und blockieren, das sei ja alles nur digital. Doch welche Folgen ich in der Realität davontrug, sahen sie nicht. Nur wie sollten sie auch? Auch an der Uni, wir studierten beide das gleiche Fach, sah ich ihn öfter. Teilweise lief er auffällig oft durch mein Blickfeld. Einmal huschte er, ich habe mitgezählt, innerhalb von einer Stunde 10x an mir vorbei und zwar so, dass ich ihn ganz klar sehen konnte. In der Cafete setzte er sich des Öfteren in meine Nähe. Ich spürte seine Blicke auf mir. Wir sprachen nie miteinander, doch fühlte ich mich beobachtet und eingeengt. Ich hatte ihm nichts mehr zu sagen. Das ging alles zu weit. Klarer konnte ich nicht mit ihm kommunizieren, wie ich es bereits schon mehrmals gemacht hatte. Ein „Nein“ sollte doch in jeder Hinsicht akzeptiert werden? Vor gut einem Monat hat er sich mal via Textnachricht bei mir entschuldigt, lässt mich jedoch seit jeher auch weiter nicht in Ruhe. Auch wenn die Anrufe um 1:30 Uhr oder auch 2:00 Uhr früh inzwischen weniger werden, die beleidigenden Nachrichten abnehmen und er inzwischen aus der Stadt weggezogen ist, ging die Angst nicht mit ihm mit. Sie wird immer wieder neu erweckt, durch andere, neue Menschen.
Letztens habe ich jemanden kennengelernt. Er schien eigentlich ganz nett zu sein. Wir sind fast Nachbarn, also wussten wir auch, wo der/die jeweils andere wohnt, zumindest ungefähr. Zunächst schrieb er mir, ob wir nicht auf den abgelegenen Feldwegen in der Nähe spazieren gehen wollten. Ich lehnte ab. Das hatte einen etwas komischen Vibe. Dann schrieb er mir, dass er mich auf dem Balkon gesehen hatte, dass er mich hier und da entdeckt hatte und so weiter. Okay, etwas komisch, aber ich dachte mir noch nicht all zu viel dabei. Wir wohnen beinahe nebeneinander, da kann das passieren. Vielleicht war ich auch etwas naiv. Und dann, eines Abends, schrieb er mir, dass er direkt vor meiner Tür stünde. Die Angst packte mich. Ich fand ihn durch die Aktionen zuvor bereits etwas suspekt. Mit der Nachricht „Ich stehe jetzt vor deiner Tür, wo muss ich da denn klingeln?“, ohne mich zu fragen, ob es in Ordnung ist vorbeizukommen, ohne, dass wir in den Tagen zuvor Kontakt gehabt hätten (wir kannten uns quasi kaum), einfach vor meiner Tür aufzutauchen, war genug. Damit wurde eine Grenze überschritten. Verängstigt saß ich auf meinem Schreibtischstuhl, ich fing an zu zittern. Die Angst, die mich seit Monaten begleitete, kam in diesem Moment wieder hoch und holte mich vollkommen ein. Ich wanderte in meiner Wohnung umher, positionierte mich so am Fenster, dass ich sehen konnte, falls er daran vorbeiging und endlich weg war. Mehrmals rief er mich an. Ich ging nicht ran. Die Angst in diesem Moment war viel zu groß. Und plötzlich sah ich ihn gehen. Nach 20 Minuten hatte er es wohl aufgegeben. Ich habe ihn direkt blockiert, ohne Erklärung, einfach so. Ich glaube, dass es die auch nicht braucht. Er sollte selbst gemerkt haben, dass sowas nicht in Ordnung ist.
Inzwischen habe ich auch das Namensschild an meiner Wohnungstür entfernt, öffne die Tür nur, wenn ich weiß, dass ich Besuch erwarte und bei jedem unerwarteten Klingeln bekomme ich einen kurzen Schreck. Ich fühle mich in meiner Wohnung nicht mehr wohl, habe bereits mehrmals überlegt umzuziehen, doch glaube ich, dass dieses Gefühl sich in meine Umzugskartons schleichen und mitkommen würde. Ich kann es nicht in der Wohnung zurücklassen, da es nicht an die Mauern, sondern an mich gekettet ist. Ich wünsche mir, dass ich mich irgendwann einmal wieder sicher fühlen kann, nachts nicht mehr schweißgebadet mit Tränen in den Augen aufwache und beruhigt auf den Balkon gehen kann, ohne die Sorge zu haben, beobachtet zu werden. Diese zwei Vorfälle waren nicht die einzigen, jedoch die prägendsten, die meine Angst nähren. Worte und Taten können viel ausrichten. Man könnte solche Dinge umgehen, würde man nur einmal etwas mehr darüber nachdenken, was man sagt und tut.
Beitragsbild: Graehawk via Pixabay