Schreibwerkstatt: »Der Mensch, oder die Revolte«
Text zum Thema Revolution der Heftausgabe 34. Geschrieben im Rahmen der Schreibwerkstatt an der Uni Regensburg.
von Marie Töpfer
Ich schreie wie am Spieß, werfe mit Steinen. Ich prügle blindlings auf mich ein. Ich tobe, ich fluche, ich weine. Ich schade mir für solch einen Preis. »In mir ist ein Orkan ausgebrochen«, meine Stimme bebt, Bogdan sieht mich an. Über meine Wangen laufen Tränen heiß aus den Augen, kühler werdend je weiter runter sie kriechen, bis sie kalt auf den Tisch zwischen uns fallen.
»Du hast dich in dir selbst verloren.« Seine Stimme könnte sorgenvoll klingen, doch sie tut es nicht. Sie tat es niemals. »Du hast dich selbst losgelassen.« »Das ist nicht wahr«, will ich erwidern, doch meine Stimme stockt. In mir beginnen Steine zu fliegen. Ein Fenster bricht wenn ich seine Augen ansehe. Alles in mir brennt bei dem Anblick. Sein Blick trägt Schutzschilder aus gepanzertem Plastik. Meine Finger bohren sich in das Fleisch meiner Innenhand. Ich wende mich langsam ab zum Gehen.
»Wohin willst du«. In seiner Stimme schwingt keine Frage mit. Ich habe keine Wahl, ich muss in diesem Raum bleiben. »Du kannst nirgendwo mehr hin, es ist vorbei.«. Es stimmt, ich habe verloren. Ich hebe meinen Kopf und sehe zurück in seine Augen, die mich immer noch anblicken. Er sitzt an diesem Tisch, als hätte er alles verstanden. Eine Barrikade von ihm nur für mich. »Du hast mich manipuliert«, will ich schreien, ich will ihm begegnen, wie ich mir selbst begegne. Ich kann nicht. Ein weiterer Stein fliegt in ein Fenster. Er lächelt, das spitze Glas bricht. »Wir hätten die Welt verändern können, zusammen«, ich hauche. Endlich gehorcht mir meine Stimme. Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen, beginnt er sich zu erheben. Ein Feuerball schießt mir entgegen. Er landet in meiner Magengrube. Schwarzes Metall beginnt sich in mir durch das Feuer aufzulösen, ein kaltes Gefühl beginnt sich auszubreiten. Es tropft in meine Venen, lässt meinen Körper schwerer werden. Ich schreie, doch aus meinem Mund kommt kein Ton. »Dein krankes System war es, das uns zerstört hat.« Sein Gesicht ist so nah vor mir. Ich beobachte seine spröden Lippen, die Öffnung eines Gewehrs direkt vor mir. »Du bist doch der, der hier krank war. Ich nicht. Ich stand stets hinter dir. Hättest du nur getan was ich dir-« Ich schlage das Gewehr fort von meinem Gesicht. Der Schuss fällt, doch die Kugel landet in die Wand hinter mir. Meine Hand schmerzt, sein Gesicht blutet. Ich will das Gewehr brechen, doch etwas in mir spürt, dass die Gefahr nicht mehr von diesem ausgeht. Irgendwo in diesem Raum liegt sie versteckt. Ich blicke mich um. »Wo ist es«, will ich sagen, doch habe vergessen, wonach ich suchen wollte.
In meinem Kopf beginnt sich alles zu drehen. Ich höre die Schreie nun weiter in der Ferne, doch der Rauch in mir beginnt mich einzunehmen. »Du bist es«, höre ich Bogdan vom Boden zu mir sprechen. »Du bist der Fehler.« Ich drehe mich um und sehe vor mir eine Blume aus dem kargen Boden sprießen. Von Bogdans Körper keine Spur mehr. Auch keine Spur von einem Gewehr. Ich höre seine Stimme. »Du musst dich selbst revolutionieren.« Ich höre in mir Menschen weinen. Ich sehe die Wunden, die mein Kampf bedeuten. Wollte ich nicht einst reformieren. Neu denken, alles besser machen. Wie landete ich nur in diesem Krieg. Wie konnte ich zur Zerstörung werden…
Beitragsbild: Jilbert Ebrahimi I Unsplash
In der Schreibwerkstatt verfassen Studierende der Uni bei Prof. Jürgen Daiber Kurzgeschichten und Prosa. Wer Interesse hat, bei der Schreibwerkstatt mitzuwirken, findet auf der Website des Instituts für Germanistik mehr Informationen. Wir veröffentlichen jeweils einen Text pro Semester in unserer Heftausgabe. Weiteren Autor:innen bieten wir eine Plattform auf dieser Website.