Ist Tinder feministisch?
Sind Datingapps eigentlich sexistisch? Es gibt sehr viele Vorurteile und Mythen über Datingapps und ihre Nutzer:innen. Wenn man das Wort Tinder nur in den Mund nimmt, hört man die verschiedensten Aussagen über das Online Dating. In der heutigen Kolumne soll es um ein paar dieser Aussagen, die der Autorin selbst begegnet sind, gehen.
von Nadine Hell
Zu dem Thema Tinder oder Online Dating allgemein gibt es verschiedene Meinungen, Klischees und
Regeln, die vermeintlich auf der Plattform gelten. Beinahe jede Person meiner Generation kennt die
App und hat ihre ganz eigene Meinung über das Online Dating. Die einen behaupten, Tinder werde
nur für schnellen Sex gebraucht, die anderen finden dort ihr große Liebe. In diesem Artikel möchte
ich herausfinden, ob Tinder als feministisch bezeichnet werden kann und möchte Vorurteile, die
behaupten, dass Datingapps sexistisch seien, genauer anschauen.
»Tinder lade ich mir nur in betrunkenen Zustand herunter«. Naja, bei einer solchen Aussage könnte
man wirklich davon ausgehen, dass es auf der Plattform nur um Körperlichkeiten und Sex geht. Und
das tut es bestimmt für manche Nutzer:innen auch. Nicht selten ist es, dass sich in den Nachrichten
meines Tinderprofils Anfragen zum unverbindlichen Sex finden. Für mich gilt das jedoch nicht als
sexuelle Belästigung, denn ich muss auf diese Nachrichten nicht antworten und kann sie gekonnt
ignorieren. Und schließlich könnte ich auch selbst eine solche Anfrage verschicken. Bei
unangemessenen Inhalten einer Nachricht gibt die Plattform sogar eine Triggerwarnung heraus. Für
viele Nutzer:innen mag Tinder durchaus eine Plattform sein, um potentielle Sexpartner:innen zu
finden. Mit einer Funktion der App, die ermöglicht die eigenen Absichten (nichts Ernstes, ernsthafte
Beziehung etc.) kenntlich zu machen, kann man zumindest ansatzweise erkennen, welche Absichten
der/die Chatpartner:in hat.
»Ich hab kein Tinder, ich bin ja nicht verzweifelt«. Der Zusammenhang zwischen Tinder und
Verzweiflung ist mir nur bedingt klar. Der Ruf eilt der App voraus. Doch niemand hat festgeschrieben,
dass die Plattform nur für sexuelle Inhalte da ist. Wer Bock auf Sex hat, kann sich auf Tinder sehr
unkompliziert Partner:innen suchen. Die Hemmungen, die man beim Ansprechen im direkten
Gegenüber hat, schwellen im Onlinekontakt ab. Bei der richtigen Kommunikation der eigenen
Absichten können Beziehungen aller Art entstehen. Und so ist auch ein ernsthaftes Kennenlernen
möglich, woraus sich Partnerschaften oder auch Freundschaften entwickeln können.
Es existiert also keine festgeschriebene Regel, die besagt, dass man mit der Person, die man trifft,
intim werden muss. Im Gegenteil, meine eigenen und die Erfahrungen meiner Freund:innen,
sprechen für sich selbst: Alles kann, nichts muss.
»Bei Tinder geht es eh nur ums Aussehen!«. Tja, dem zu widersprechen, wird mir nicht gelingen. Denn
Tatsache ist, man sucht sich seine Matches anhand der Bilder und des Aussehens einer Person aus.
Die Biographie und Interessensfelder spielen wohl meist eine untergeordnete Rolle. Im
Zusammenhang mit dem Sexismus , der angeblich auf der App herrschen soll, lässt sich jedoch sagen:
Männer werden hier gleichermaßen auf das Aussehen reduziert wie Frauen, und reduzieren andere
auch auf ihr Aussehen. Man könnte also sagen, dass alle Geschlechter hier sowohl die Opfer- als auch
die Täter:innenrolle einnehmen.
Die Frage bleibt: Ist Tinder feministisch? Meine Antwort darauf ist JA, jede:r hat die Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse offen zu äußern, muss aber kein Angebot annehmen. Und meine Antwort ist NEIN, denn man bekommt unangemessene Nachrichten und Angebote, die die eigenen Grenzen überschreiten
könnten. Außerdem herrschen oft internalisierte Stereotypen auf der Plattform: Frauen seien
demnach nur auf eine romantische Beziehung aus, Männer hingegen benutzen die Plattform nur, um
neue sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Diese Klischees kann man jedoch leicht entzerren, sicherlich gibt es viele Frauen, die hier die Liebe ihres Lebens suchen, doch der Anteil an suchenden Männer ist
sicherlich genauso groß.
Eines steht jedoch fest: Die Zeit ist vorbei, Tinder cringe zu finden und seine Benutzer:innen zu
verurteilen. Willkommen im 21.Jahrhundert, hier läuft alles online. Wir verbringen einen großen Teil
unserer Zeit Social Media und nutzen es, um soziale Beziehungen zu knüpfen und aufrecht zu
erhalten, warum sollte man also nicht auch seine romantischen Beziehungen online finden. Ob
andere Apps wie Bumble, Okcupid oder Grinder besser sind als das klischee-lastige Tinder, ist eine
Frage, die jede:r für sich selbst beantworten muss.
Wenn du nun also in Zukunft dumme Kommentare hörst, weil du dich auf Datingplattformen, wie
Tinder herumtreibst, dann denke an diesen Artikel. Tinder ist einfach eine der Zeit angepasste
Datingmethode. Sicherlich ist eine Problematik damit verbunden, die unsere Generationen in Sachen
Liebe und Beziehungen betrifft, aber die Plattform an sich enthält keinen Antifeminismus.
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