Move:ment: »Glass Onion« – Rian Johnsons Modus Operandi für einen erfolgreichen Rätselkrimi
Rian Johnson kehrt mit seinem zweiten Whodunnit zurück auf die Leinwand – zumindest, wenn bei euch eine Zuhause hängt. Denn der zweite Eintrag in der »Knives Out«-Filmreihe erscheint am 23. Dezember auf Netflix. Auch in der Fortsetzung brilliert Daniel Craig als Benoit Blanc, dem letzten Gentleman-Detektiv der alten Schule. Doch Johnson und Craig verleihen dem eingestaubten Genre und der vertrauten Rolle des Meisterdetektivs persönliche Twists und bringen den Krimi so in die humorvolle, doch erschreckende Realität unserer Zeit.
von Alessandro Gebsattel
Der Einladung einer rätselhaften Kiste folgend, finden sich die Freund:innen des Tech-Milliardärs Miles Brown (Edward Norton) auf dessen Privatinsel ein. Wie Miles selbst, schwimmt diese Gruppe – die Disruptoren – gegen den Strom der Gesellschaft, schlagen adversative Wellen und unterbrechen so die Monotonie des Gewöhnlichen. Doch in der Mitte der Gäste findet sich auch der Meisterdetektiv Benoit Blanc (Craig). Gleich den Disruptoren, erhielt auch Blanc eine Einladung für das Wochenende unter der Sonne Griechenlands. Doch nicht alle Disruptoren freuen sich über die Anwesenheit des Detektivs. Unter den berühmten Augen der Mona Lisa (ein Symbol seiner ersehnten Unsterblichkeit) erklärt Miles seinen Gästen, es gäbe den bevorstehenden Mord an ihm aufzuklären und katapultiert die Gruppe so in ein bedrohliches Geflecht aus Wahrheit und Täuschung, bei dem sich weder die Anwesenden noch die Zuschauer:innen auf die eigene Wahrnehmung verlassen können.
Johnsons »Knives Out« Erfolgsrezept
Nach dem Triumph von »Knives Out« (2019) kaufte Netflix sämtliche Rechte an den Fortsetzungen der Filmreihe für sagenhafte 469 Millionen US-Dollar. Nach einwöchiger Laufzeit in den deutschen Kinos erscheint nun »Glass Onion« (2022) auch auf der Streaming-Plattform. Wie beim Vorgänger übernahm Johnson erneut Regie und Drehbuch – eine Kombination, die ihm erlaubt, seine gewohnte und erfolgsgekrönte Art der Durchführung (In Krimis gerne Modus Operandi oder kurz M. O. genannt; bezeichnet die typische Vorgehensweise eines bestimmten Täters) erneut anzuwenden. Dem erfolgsgekrönten Stil, das Whodunnit (von der Frage »Who [has] done it?«) nach dem Vorbild von Agatha Christie, gemischt mit einer komödiantischen und satirischen Auseinandersetzung mit den Werten und Geschehnissen unserer Zeit, blieb Johnson treu. Von den Themen Immigration, Trump und Internet-Trolls im ersten Teil, geht Johnson nun auf die Pandemie, neue Medien und der grotesken und exzentrischen Milliardärs-Kultur dieser Ära ein. Die unsympathischen Figuren, die diese Charakteristiken verkörpern, erzeugen erneut einen Gegenpol zu den literarischen und romantisierten Figuren des traditionellen Whodunnit Christies.
Ein Blick in die Besetzung zeigt, dass Johnson erneut auf einen Ensemble Cast setzt, der es in sich hat. Neben Craig und Norton glänzen auch Dave Bautista (»Guardians of the Galaxy« 2014), Kate Hudson (»Almost Famous« 2000), Leslie Odom Jr. (»Hamilton« 2020), Kathryn Hahn (»Bad Moms« 2016) und Janelle Monáe (»Hidden Figures« 2016) in ihren Rollen. Trotz des Aufgebots an bekannten Schauspieler:innen gelingt es Craig erneut eine unglaublich fesselnde Präsenz in den Szenen abzugeben. Norton (»Fight Club« 1999), den ebenfalls eine starke Anziehungskraft auf das Publikum auszeichnet, nimmt auch hier seinen gewohnten Platz im Fokus der Kamera war. Die beiden Schauspieler wechseln sich mit ihrer Zeit im Rampenlicht so spielerisch und fließend ab, dass hierbei ein symbiotischer Effekt entsteht. Ergänzend, gelingt es auch Monáe, umhüllt in den geheimnisvollen Schleier ihrer Rolle, eine Kraft und fast melancholische Schwere in ihre Figur zu legen, die den beiden großen Namen in einigen Szenen die Show stiehlt.
Das letzte Puzzlestück, welchen den Erfolg der Reihe ausmacht, verdanken wir den Twists von Johnson und Craig. Benoit Blanc ist kein in Kampfstilen versierter Sherlock Holmes oder gar die Ein-Mann-Armee eines James Bond. Blanc enthüllt und bezeugt lediglich die Wahrheit und rutscht dabei, oft auch szenisch unterstrichen, in den Hintergrund. Umso deutlicher rücken die Frauen an der Seite Blancs nicht nur in die Rolle des Dr. Watsons, sondern tragen zudem entscheidend zur Entdeckung der Wahrheit bei. Als ehemaliger Hauptdarsteller der Bond-Reihe, in welcher traditionell der maskuline, draufgängerische 007 allein die Welt rettet und nebenbei das Bond-Girl erobert, spürt Craig diesen Kontrast bestimmt umso mehr.
Vielleicht weniger dem Erfolg der Reihe zutragend, aber dennoch spannend, sind die kleineren Gemeinsamkeiten und Parallelen zwischen den beiden Filmen. Neben einer Zugabe von Noah Segan (als Trooper Wagner bzw. Derol) auf der Leinwand, entdecken Zuschauer:innen die Neigung Blancs Lebensmittel als Metapher und Gedankenstütze zur Lösung des Falls anzuwenden und Johnsons Vorliebe für die Chekhov’s Gun – ein Prinzip, welches besagt, dass jedes Element einer Geschichte notwendig sein muss, meist umgesetzt durch eine früh im Film gezeigte Waffe, die später verwendet wird.
Auf Netflix findet ihr auch »Knives Out« (2019) und etwas weiter unten den Trailer zu »Glass Onion« (2022), den dazugehörigen Eintrag bei der Filmdatenbank IMDB, einen kurzen Einblick in den ersten Teil der Filmreihe hier bei der »Lautschrift«, sowie spannende Interviews mit Johnson und Craig. Also zückt das Handy oder startet den Laptop, ab aufs Sofa und viel Spaß beim Lachen, Miträtseln und Bezeugen der Wahrheit á la Benoit Blanc.
Trailer zu »Glass Onion«:
Link zum Review über »Knives Out« (2019) bei der »Lautschrift«:
Alle Fakten zu Cast und Crew, dem Budget und interessante Trivia zu »Glass Onion« bei IMDB: https://www.imdb.com/title/tt11564570/?ref_=ext_shr_lnk
Rian Johnson im Interview bei The New Yorker: https://www.newyorker.com/culture/the-new-yorker-interview/rian-johnson-reaches-for-another-knife
Daniel Craig über Benoit Blanc im Interview bei Tudum von Netflix: https://www.netflix.com/tudum/articles/daniel-craig-interview-glass-onion
Beitragsbild: Photo by Eric TERRADE on Unsplash