Alles nur in meinem Kopf? Zwischen Sensibilität und Paranoia – Umgang mit Alltagssexismus

Alles nur in meinem Kopf? Zwischen Sensibilität und Paranoia – Umgang mit Alltagssexismus

Der Teufel steckt oft im Detail und so auch bei Sexismus im Alltag. Die Interaktionen sind oft kurz und der Sexismus subtil, weswegen es einfach ist dieses Phänomen zu übersehen, zu akzeptieren oder zu tolerieren. Mit diesem Artikel möchte ich klarstellen, dass die Bedeutung dieser Interaktionen nicht unterschätzt werden darf, weil sie unser gesellschaftliches Klima vergiften und damit nicht nur ein »Frauenproblem« sind. 

Von Carlotta Schäfer

Jede Frau kennt diese Situationen im Alltag, die man später wieder und wieder in seinem Kopf abspielt, weil man sich einfach nicht sicher ist: war das Sexismus oder einfach nur in meinem Kopf? Bin ich aufgeklärt und emanzipiert und deswegen in der Lage, diese Situationen zu erkennen, oder paranoid und hypersensibel und deswegen nicht in der Lage, sie richtig zu interpretieren? Diese Fragen, die eine:n eigentlich gar nicht beschäftigen sollten und es doch leider viel zu oft tun. 

Momente wie diese fünf Minuten in der U-Bahn, die in der Wahrnehmung meines Gegenübers vielleicht nicht einmal stattgefunden haben. Ich bin es satt. Und ich bin diese Männer satt. In meinem Alltag sind sie oft alt und weiß, aber es gibt sie in allen Formen und Farben. Was sie eint: das Privileg, durch die Welt zu laufen, ohne nachzudenken. Ohne darüber nachzudenken, wie ihre Blicke, Äußerungen oder Taten von mir verstanden werden könnten. Dabei will ich klarstellen, dass diese Art von subtilem, uneindeutigem Sexismus wie auch jede andere Form von Sexismus nicht nur Frauen trifft. Auch Männer können Opfer sein. Sie sind es auch, nur sehr viel seltener. Als junge Frau stattdessen fühlt es sich im öffentlichen Raum wie ein Spießrutenlauf der unausgesprochenen Verunsicherungen an. Denn im Gegensatz zu institutionalisiertem Sexismus wie z.B. der Gender Pay Gap kann ich mich in diesen Fällen nicht auf Statistiken berufen, um mein Gefühl der Diskriminierung zu untermauern. Alles was mir in diesen interpretationsoffenen zwischenmenschlichen Interaktionen bleibt, ist die berühmte »weibliche Intuition«. 

Es gibt Zahlen, die dieses Phänomen beweisen, aber eben nur, dass es allgemein existiert. Allein mit meinen Verunsicherungen bin ich dann wieder in der U-Bahn, in der mir keine wissenschaftliche Erhebung dabei hilft, festzustellen, ob die Äußerung des Mannes gegenüber vielleicht einfach nur nett gemeint war oder ob ich mal wieder zu nett bin, indem ich ihn nicht damit konfrontiere. 

Männer und Frauen leben in einer gemeinsamen Alltagssphäre, benutzen die gleiche U-Bahn, gehen in die gleichen Cafés und auf denselben Gehwegen. Sie erleben dieselbe Wirklichkeit, aber nehmen sie anders wahr. Denn zwölf Prozent der befragten Frauen beobachten mehrmals pro Woche Sexismus, während die Hälfte aller Männer im eigenen Umfeld überhaupt keinen Sexismus wahrnimmt. Ich weiß, in welcher Version unserer Wirklichkeit ich gerne leben würde. Der Kernpunkt dieses Phänomens ist unsere unterschiedliche Interpretation von Alltagssituationen und unsere Fähigkeit, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen und das eigene Reden und Handeln danach auszurichten. 

Auf manche könnte das bisher beschriebene Problem wieder wie ein typisches Beispiel weiblicher Hysterie oder zumindest politischer Überkorrektheit wirken. Müssen wir uns wirklich an jeder noch so kurzen Interaktion zwischen den Geschlechtern aufhängen? Und gerade an Situationen, in denen die Betroffenen oft selbst unsicher sind, ob das noch im Graubereich oder schon inakzeptabel war? Wie groß kann die Betroffenheit in solchen Fällen dann überhaupt sein? Aber man darf diese Alltagssituationen und ihre Bedeutung für die Geschlechtergerechtigkeit in unserer Gesellschaft nicht unterschätzen, denn tolerieren wir derartige Verhaltensmuster oder begegnen wir ihnen mit Gleichgültigkeit, bildet dies die Grundlage für ein geschlechterdiskriminierendes Gesellschaftsklima, welches andere Formen des Sexismus erleichtert und befördert. 

Von jenen, die selbst mehrmals im Monat von Sexismus betroffen sind, finden 74% der Frauen und 64% der Männer Sexismus (sehr) schlimm. Dabei geben Frauen an, dass sich teilweise ein Gewöhnungseffekt eingestellt hat. So viel zum Thema Hypersensibilität. Im Gegenteil, jahrelange doppeldeutige Begegnungen haben Frauen abstumpfen lassen und die uneindeutigeren Spielarten des Sexismus als normal oder selbstverständlich im kollektiven Gedächtnis abspeichern lassen. Das Dilemma daran ist, dass wir uns dadurch immer unsicherer werden, welche Verhaltensweisen unsere Empörung rechtfertigen und gleichzeitig nicht weniger überfordert im Umgang mit diesen Situationen sind.

Sexismus trifft eine:n immer wieder unvorbereitet, vielleicht weil ein Teil in uns nicht bereit ist, zu akzeptieren, dass wir immer noch in einer Welt leben, in der Sexismus im Alltag Alltag ist. 

Was also ist die Lösung für dieses Problem? Sollen wir aufhören, zu flirten, um jeglichen Interaktionen im Graubereich zuvorzukommen? Natürlich nicht, denn wenn wir ehrlich sind gibt es eindeutige Unterschiede zwischen akzeptablem Flirten und übergriffigem Verhalten. Die Lösung lautet somit: Reflektion. Das eigene Verhalten und das meines Gegenübers zu reflektieren und dadurch Signale anderer Personen wahrzunehmen und persönliche Grenzen einzuhalten. Hierbei stehen auch Männer, die zumindest bewusst keinen Alltagssexismus praktizieren, in der Verantwortung mit uns gemeinsam ein gesellschaftliches Klima zu etablieren, in dem alle sensibel und aufmerksam genug sind, diese Situationen zu erkennen und nicht zu tolerieren. 

Mein Fazit ist somit, von einer Welt ohne Alltagssexismus würden wir alle profitieren, warum fangen wir also nicht heute damit an, uns gegenseitig mit Respekt zu behandeln?  

Link zum Thema: https://everydaysexism.com/page/2?s=public+space

Bild: Andrea De Santis| Unsplash

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