Der Schatten des Rassismus im Sport
Erinnert ihr euch noch an den Rassismus-Eklat im Finale der Fußball-Europameisterschaft der Männer vergangenen Jahres? Tja, die Geschichte geht leider weiter. Beziehungsweise sie hat nie aufgehört…
von Julian Bichler
11. Juli 2021: Wembley-Stadion, London, England. Es ist das Finale der Fußball-Europameisterschaft der Herren. England trifft im Heimstadion auf Italien. Die Engländer könnten ihren ersten EM-Titel der Geschichte holen, würde sich nicht gerade Englands Trainer Gareth Southgate taktisch verzocken. Kurz vor Ende der Verlängerung wechselt er zwei junge Spieler ein, weil sie im Training zuvor gute Elfmeter schossen. Die Rede ist von Marcus Rashford (23 Jahre) und Jadon Sancho (21 Jahre). Doch die eigens für das Elfmeterschießen eingewechselten Fußballer sind dem Druck nicht gewachsen. Sie verschießen beide. England verliert das Elfmeterschießen gegen Italien. Italien ist Europameister. Ernüchterung bei den Engländern. Was machen einige Engländer? Statt die jungen Spieler zu unterstützen und ihnen beizustehen, werden die Fußballer massiv in den Sozialen Medien angefeindet, diskriminiert und rassistisch beleidigt. Es wird sogar ein Wandgemälde, das Rashford zeigt, geschändet. Und das alles nur aufgrund ihrer Hautfarbe.
Was haben wir hier? Richtig! Ein klarer Fall von Rassismus!
04. Juni 2022. Fast ein Jahr später. Es ist Nations League. (Für alle, die nicht fußballinteressiert sind: Die Nations League ist im Grunde genommen ein Turnier, das niemand wirklich braucht, aber der UEFA weitere Millionenbeträge an Einnahmen bringt und deshalb natürlich ausgetragen werden muss.) England spielt gegen Ungarn. Zu Beginn sieht man von den Engländern den seit der EM 2021 berühmt gewordenen Kniefall gegen Rassismus. Was macht das ungarische Publikum? Es antwortet mit Pfiffen und Buhrufen auf die Aktion der Engländer.
Was haben wir hier? Richtig! Ein klarer Fall von Rassismus!
07. Juni 2022. Drei Tage später in der Münchner Allianz Arena. England spielt in der Nations League gegen Deutschland. Es ist die 92. Minute. Der englische Nationalspieler Jude Bellingham liegt aufgrund gesundheitlicher Probleme auf dem Rasen. Es steht 1:1. Vier Minuten zuvor glich Harry Kane per Elfmeter für England aus. Die Stimmung im Stadion ist angespannt. Da ruft ein Zuschauer auf der Tribüne dem 18-jährigen Fußballer zu: »Steh auf, du N***r!«. Als ein anderer Zuschauer ihn auf seine rassistische Äußerung aufmerksam macht, soll er diesen zudem antisemitisch beleidigt (–anscheinend fiel der Satz „Du gehörst in die Gaskammer, man sollte dich vergasen“–) und sogar körperlich attackiert haben.
Was haben wir hier? Richtig! Ein klarer Fall von Rassismus!
Man könnte die Liste von rassistischen Skandalen im Fußball (, und nicht nur im Fußball,) beliebig verlängern. Ich meine: Was erwartet man im Fußball, wenn Menschen Absperrungen durchbrechen und auf den Platz stürmen, damit sie ihren Freund:innen voller Stolz ihr Selfie zeigen können, das sie mit einem der Spieler gemacht haben, wissentlich dass das eigentlich gar nicht erlaubt ist? Was erwartet man von Menschen, die voller Stolz Pyrotechnik ins Stadion schmuggeln und so viel davon abfackeln, dass man das Gefühl hat, man würde gleich ersticken. Da gehören dann halt auch mal Beleidigungen und rassistische Anfeindungen dazu. Das ist doch ganz normal oder? Äh nein? Absolut nicht! Rassismus ist nicht normal und sollte es auch nie sein! Nie und nirgendwo auf der Welt!
Laut einer Umfrage der Fußball-App FanQ, sagen mehr als die Hälfte aller Teilnehmer:innen, dass Rassismus im Sport präsent sei. Vielen fällt dies wahrscheinlich gerade erst so richtig auf, gibt es doch heute viel mehr Menschen als früher, die auf das Problem aufmerksam machen und sich aktiv gegen Rassismus stark machen. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Rassismus laut Umfragen in den letzten Jahren trotzdem zugenommen hat. Spieler:innen mit einer nicht weißen Hautfarbe werden viel kritischer bewertet, als solche, die der sogenannten »gesellschaftlichen Norm« entsprechen – trotz gleicher sportlicher Leistung. Rassistische Beleidigungen im Sport sind mittlerweile schon so alltäglich, wie das Amen in der Kirche (– gibt´s das überhaupt noch? – Egal. –), wie Karl Lauterbachs apokalyptische Warnungen, vor der nächsten Corona-Mutation oder wie die Endlosschleife an Berichten, über die Schlammschlacht zwischen Johnny Depp und Amber Heard. (Wobei letztere ja nun endlich vorbei ist, dafür bekriegen sich jetzt Angelina Jolie und Brad Pitt wegen eines Weinguts…). Warum?
Schaut man sich die Duden-Definition von Rassismus an, so mutet der Grund für rassistische Äußerungen schon fast grotesk an:
»(meist ideologischen Charakter tragende, zur Rechtfertigung von Rassendiskriminierung, Kolonialismus o. Ä. entwickelte) Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen oder ethnisch-kulturellen Merkmalen anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen«
Ich habe noch nie wirklich verstanden, weshalb ich nur aufgrund meiner Hautfarbe etwas Besonderes, etwas Besseres oder einem:r anderen überlegen sein soll. Es gibt meiner Meinung nach keinen rationalen Grund für die angebliche Überlegenheit der weißen Bevölkerung gegenüber der schwarzen. (Genauso, wie es keinen rationalen Grund für die Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau gibt. Aber das ist ein anderes Thema.) Aber hey, vielleicht bin ich auch einfach nur zu jung dafür, um das zu verstehen… Leider gibt es auch viele meiner Altersklasse (,ich bin 20 Jahre alt), die die rassistische Ideologie verinnerlicht haben, sei es aufgrund der Denkweise des familiären Umfeldes oder aufgrund des sozialen Milieus, in dem sie sich aufhalten. Rassismus ist also kein Altersproblem, auch wenn man fairerweise anmerken muss, dass die jüngere Generation Diskriminierung und Rassismus tendenziell kritischer gegenübersteht.
Für alle, die es immer noch nicht verstanden haben: Rassismus ist scheiße! Rassismus ist diskriminierend! Rassismus ist rassistisch!
Jeder gesunde Mensch hat die gleichen Knochen, die gleichen Muskeln.
Jeder gesunde Mensch besitzt 46 Chromosomen, in 23 Chromosomenpaare unterteilt.
Jeder gesunde Mensch hat die gleichen Organe.
Jeder gesunde Mensch hat ein Herz (auch wenn das Herz von Menschen, die sich bewusst rassistisch äußern, von einem bösartigen Virus befallen sein muss, der sie von innen auffrisst und puren Hass gegenüber andersartigen Menschen schürt).
Jeder gesunde Mensch hat eine Leber (auch wenn die Leber von Menschen, die sich bewusst rassistisch äußern, viel zu viel giftige, schädliche und hasserfüllte Stoffe filtern muss).
Jeder gesunde Mensch hat zwei Hände (auch wenn die Hände von Menschen, die sich bewusst rassistisch äußern, Menschen mit nicht weißer Hautfarbe am liebsten packen und erwürgen oder in Stücke reisen würden).
Jeder gesunde Mensch hat eine Zunge (auch wenn die Zunge von Menschen, die sich bewusst rassistisch äußern, mit Giftspritzen besetzt ist, die nur darauf warten, ausgefahren zu werden).
Jeder gesunde Mensch hat zwei Augen (auch wenn die Augen von Menschen, die sich bewusst rassistisch äußern, die Bereicherung jedes einzelnen Menschen und die Vielfalt in der Gesellschaft nicht sehen will).
Jeder gesunde Mensch hat ein Gehirn (auch wenn ich das bei Menschen, die sich bewusst rassistisch äußern, durchaus mal bezweifle).
Jeder Mensch hat grundsätzlich denselben Körperaufbau. Jede:r ist im Grundsatz gleich und doch auf seine oder ihre Art anders. Genau das macht aber eine Gesellschaft aus. Und ja: Auch Fußballer:innen gehören zu diesen Menschen! Es gibt absolut keine Rechtfertigung, den eigenen Hass, die eigene Wut an ihnen auszulassen, nur weil sie zufällig eine nicht-weiße Hautfarbe haben und noch dazu in der Öffentlichkeit stehen! Außerdem: Wir wollen doch keine Terrakotta-Armee von Menschen, bei der jede:r gleich in Reih und Glied steht, nicht zu unterscheiden ist, sich nicht bewegt, bei der sich jede:r eins zu eins gleicht. Wir brauchen Vielfalt und dazu gehört auch die Vielfalt in den Hautfarben. Jede:r bereichert durch sein oder ihr Anderssein die Welt auf seine oder ihre Weise. Wer die Welt hingegen absolut nicht bereichert, sind diejenigen, die Rassismus bewusst fördern, fordern und formen und dies auch noch in aller Öffentlichkeit tun. Jeder Mensch kann selbst entscheiden, ob er oder sie eine Person rassistisch beleidigen will oder nicht. Und all diejenigen, die sich bewusst dafür entscheiden, können meinetwegen in die Katakomben des Hasses hinabsteigen, mit Charon durch den Styx zum Höllenhund Kerberos reisen und dort auf ewig bei Hades residieren. Hauptsache sie bleiben der Gesellschaft fern mit ihren sinnlosen Beleidigungen, die schlimmstenfalls einen Menschen psychisch zerstören können. Denn Menschen, die bewusst rassistische Äußerungen von sich geben, bereichern keinesfalls die Welt, höchstens die Unterwelt. Und ich bin mir nicht einmal sicher, ob Hades Rassist ist. Hat ihn schon mal jemensch gefragt? Vielleicht verfüttert er rassistische Menschen ja auch an Kerberos – schwarze Fußballer:innen jedenfalls bestimmt nicht einfach so wegen ihrer Hautfarbe.
Geht es um Menschen, die sich bewusst rassistisch verhalten, würde ich am liebsten Heinrich von Kleist bedienen und aus tiefstem Herzen ein Kleist´sches »Ach!« von mir geben, da doch schon so viel über Rassismus gesagt wurde, die Debatte doch schon so oft geführt wurde. Doch dieses kleine Wörtchen reicht nicht aus, da es manche Menschen noch immer nicht verstanden zu haben scheinen. Deshalb ist es weiterhin wichtig, sich gegen Rassismus stark zu machen, gegen rassistische Menschen aufzubegehren, die Menschen aufzuklären, nicht wegzuschauen, wenn jemensch beleidigt, diskriminiert, niedergemacht wird. Denn natürlich ist es legitim, Sportler:innen zu kritisieren, und natürlich müssen Sportler:innen kritisiert werden und diese Kritik in der Öffentlichkeit auch aushalten (, schließlich verdienen sie für ihre Tätigkeiten auch Unmengen an Geld). Aber dann soll sich die Kritik auch bitteschön auf ihre Leistungen auf dem Platz – und meinetwegen auch neben dem Platz – konzentrieren. Es ist hingegen völlig illegitim, Sportler:innen bezogen auf biologische Äußerlichkeiten zu kritisieren, anzufeinden, anzugehen. Wichtig hierbei ist: Wir handeln alle rassistisch, auch wenn dies bei den meisten unbewusst geschieht. Man muss sich daher selbst immer hinterfragen, ob und inwiefern man mit seinen eigenen Äußerungen Rassismus fördert. Jede:r von uns sollte sich das immer wieder vor Augen halten – mögen die Augen noch so tränen, weil die Lieblingsmannschaft gerade eine Niederlage kassiert hat. Jede:r von uns sollte das aber auch jedem:r anderen vor Augen halten. Nur so können wir zum einen den Menschen, die meinen, sich mit bewussten rassistischen Äußerungen über andere stellen zu müssen, zeigen, dass sie in der Unterzahl sind, dass Rassismus in der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Zum anderen können wir auch aktiv etwas gegen Rassismus unternehmen, indem wir durch kritisches Hinterfragen unserer eigenen Aussagen unser eigenes rassistisches Handeln aufarbeiten. Jede:r von uns kann diesen Beitrag leisten! Damit sich Marcus Rashford, Jadon Sancho, Jude Bellingham und alle anderen Fußballspieler:innen in Zukunft nicht mehr nach jedem Fußball-Spiel fragen müssen, ob sie sich heute wieder neben dem Platz, wegen irgendeines kleinen Fehlers auf dem Platz, rassistisch beleidigen lassen müssen…
Beitragsbild: Jim de Ramos / Pexels