Wohnsinn-Kolumne: Meine Setzlinge und ich verabschieden uns
Seit mehr als drei Jahren erzähle ich in dieser Kolumne regelmäßig darüber, welche Katastrophen in meinen WGs geschehen, welche Nachbar:innen genervtes Augenrollen oder Lachanfälle ausgelöst haben und welche tiefgründigen Beziehungen ich zu meinen bisherigen Wohnungen ich aufbauen konnte. Jetzt ist noch eine weitere Wohnung dazu gekommen und mit ihr auch eine Art Lebenswandel. Ein Lebenswandel, der aber auch einen Abschied bedeutet.
von Lotte Nachtmann
An jeder meiner bisherigen Wohnungen hängen ganz bestimmte Erinnerungen, die ganz bestimmte Gefühlswelten enthalten. Meine Studiwohnheimszeiten wecken Bilder der Jugend, der Selbstfindung, des Exzesses und der Katerstimmung. Die Skurrilitäten meiner WG in Frankreich überschreiben inzwischen den Unistress. Lockdown, Masterarbeit und fachliche Selbstfindung definieren meine letzte WG.
Jetzt kommt Wohnung Nummer fünf. Vor zwei Monaten bin ich zu meinem Freund in seine Haus-WG gezogen. Welche Erinnerungen hier entstehen werden, kann ich bisher nur erahnen. Aber gewisse Andeutungen macht mein Leben mir bereits.
»Ist es nicht schön, unser Einfamilienhaus in Kumpfmühl, Liebling?«
Punkt eins: das Upgrade. Nach zwei-Zentimeter dicken Schimmelschichten in Tajines, Wohnungen ohne Wohnungstür und Yoga-Workouts auf zwei Quadratmetern kann ich es nicht lassen, mich über die neu gewonnen Lebensqualität in unserer WG-Haus zu freuen. Wenn unsere drei Mitbewohnerinnen mal alle ausgeflogen sind, fühlt es sich schon fast gespenstisch an in so einem großen Haus. Mein Freund und ich machen uns dann immer einen Spaß daraus, den kleinen Finger von der Teetasse abzuspreizen, uns gegenseitig »Liebling« zu nennen und uns als wohl situiertes Ehepaar mit Eigenheim mitten in Regensburg zu präsentieren. Wohl wissentlich, dass wir uns das angesichts der aktuellen und zukünftigen Immobilienpreise niemals werden leisten können oder wollen. Und ebenso wohl wissentlich, dass wir verdammt privilegiert sind, dennoch solch eine fantastische Wohnsituation genießen zu dürfen.
Punkt zwei: neue Hobbys. Letztes Jahr habe ich noch eine halb-suffisante Kolumne über das neue Hobby meines Freundes, des Pflanzenpapis, geschrieben. Nun ja, was soll ich sagen. Ich denke, dass ich inzwischen auch zur Pflanzenmutti mutiert bin. Anfangs habe ich mich noch weniger für die kleinen Keimberts begeistern können und größeren Wert auf eine ästhetische Terrassengestaltung mit Geranien und Husarenköpfchen gelegt. Doch inzwischen renne ich genauso begeistert wie mein Freund jeden Tag von Topf zu Topf und bin stolz wie sonst was, wenn sich die Köpfchen von Zucchinis, Thymian und Wicke ihren Weg durch die Erde bahnen. Mit einer unerwarteten Inbrunst topfte ich eines schönen Samstags gefühlte 200 Tomaten- und Chili-Setzlinge in größere Zuhauses, bepflanzte sorgfältig alle Blumenkästen rund um das gesamte Haus und richtete die Terrasse zu einer halb improvisierten, halb spießigen »Wohnfühl-Oase mitten in Kumpfmühl« her. Okay, bei diesen Zeilen muss ich schon ein bisschen über mich selbst lachen.
Zwischen Gartenpolstern, Regentonne und dem ersten Frost
Punkt drei: neue Verantwortungen. Mit einem Haus gehen nämlich nicht nur die meditativen Umtopfsessions einher, wie vermutlich diejenigen unserer Eltern bestätigen können, die sich Hausbesitzer:innen und -mieter:innen nennen dürfen. Wenn ich meinen Freund:innen ankündige, dass ich mich verspäte, weil ich noch »einiges im Haus und im Garten« zu tun habe, muss ich noch mehr lachen als gerade eben. Ich ertappe mich eindeutig bei Sätzen, die eins zu eins aus dem Mund meiner Eltern kommen könnten. »Hast Du die Mülltonne schon rausgestellt?«; »Wann bringen wir den Rasenschnitt zur Grünabfallstelle?«; »Ich sollte die Gartenmöbelpolster reinholen, falls es noch regnet.«; »Vor den ersten Frost müssen wir unbedingt das Wasser außen abstellen.«; »Ach schön, es regnet. Das tut dem Garten gut und unsere Regentonnen füllt sich auch wieder.« Und so weiter und so fort. Mein 19-jähriges Ich im ersten Semester, hätte vermutlich nur gelangweilt die Augen verdreht und weiter ihren Wodka-O geext. Mein fast 25-jähriges Ich hingegen hängt um Mitternacht ziemlich in der Uhr, macht sich dabei Gedanken darum, ob es morgen zu verkatert für Sport sein wird und spielt die Mutti, die früher auf Geburtspartys meiner Jugend ständig mit neuem Essen reinkam und einen Zwischenabwasch machte, um am Ende nicht mehr zu viel aufräumen zu müssen.
Die spießige Feindin eines:r jeden PT-Erstis
Punkt vier: open end. Denn wann es wie, wo und wann weitergeht, das wüsste ich selbst gerne. Momentan stehen die Chancen zwar ganz gut, in Regensburg bleiben zu können, dank meines Wagnisses, mich in die Vorbereitungen für das Verfassen einer Dissertation zu stürzen. Aber wer weiß, ob das so klappen wird, wie es soll. Bis dahin genieße ich Haus, Garten und Terrasse mit all der Arbeit, aber vor allem all den Annehmlichkeiten. Dafür nehme ich gerne in Kauf, auf PT-Erstis verdammt spießig zu wirken. Und seien wir mal ehrlich: Es gibt schlechtere Orte, um in eine ungewisse Zukunft zu blicken.
Vielleicht wird dieses Haus auch einfach ein Ort der Transition. Eine Transition zwischen WG-Leben und Pärchen-Wohnung. Eine Transition zwischen dem wilden oder in letzter Zeit auch nicht mehr ganz so wilden Studialltag und dem ernsthaften Erwachsenen-Business. Zwischen einem vollen Party-Wochenende und dem Umtopfen von Babypflanzen.
Und in einem Punkt stellt dieses Haus auch die Location für einen Abschied. Denn damit Ihr Euch bei zu viel Haus- und Gartencontent nicht langweilt, verabschieden sich meine Setzlinge und ich hiermit von der Wohnsinn-Kolumne.
Das war leider Lottes letzter Beitrag – der Wohnsinn geht aber natürlich trotzdem weiter! Nächste Woche erzählt euch wieder Paula etwas aus ihrem Alltag.