Wohnsinn-Kolumne: Was brauchen wir zum Leben?
Ja, was brauchen wir wirklich? Diese Frage stellt sich mir in einem Camper-Van von vier Quadratmetern, während das Gefühl meiner drückenden Blase immer schwerer zu ignorieren wird. In meinem Van gibt es keine Toilette. Meine Grundbedürfnisse interessiert das nicht. Sie machen sich trotzdem unerbittlich bemerkbar und wollen erfüllt werden. Wie das funktioniert, könnt ihr in diesem Wohnsinn lesen.
von Laura Kappes
Was brauchen wir zum Leben? Ich bin bei weitem nicht die Erste, die diese Frage stellt. Eine Vielzahl von schlauen Köpfen hat sich schon darüber Gedanken gemacht. Einer dieser schlauen Köpfe war zum Beispiel Abraham Maslow. Er hat die Theorie der Bedürfnis-Pyramide ausformuliert. Laut Maslow lassen sich unsere Bedürfnisse hierarchisch anordnen. Es muss jeweils das vorherige Bedürfnis erfüllt sein bevor wir uns neuen zuwenden. Auf der Grundebene stehen bei ihm die physiologischen Bedürfnisse. Das sind zum Beispiel Hunger, Durst und Schlaf. Danach folgen die Sicherheitsbedürfnisse (Sicherheit und Schutz vor Schmerz, Ordnung) und die sozialen Bedürfnisse (Zugehörigkeit, Kontakt, Bedürfnis nach Liebe). Sind diese drei Grundbedürfnisse erfüllt, kommen noch zwei höhere Bedürfnisse, die Bedürfnisse des Individuums/ des Ichs (Leistung, Wertschätzung, Geltung) und schließlich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (Selbstausdruck, Ausschöpfung des eigenen Potenzials). Zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung gehört es, seine Bedürfnisse zunächst zu kennen und sie ausgewogen zu berücksichtigen. Außerdem orientiert sich die Persönlichkeitsentwicklung bei Erfüllung der niedrigeren Bedürfnisse zunehmend mehr hin zur Selbstverwirklichung.
Bei dem einfachen Leben in einem Camper-Van fallen mir, wie bereits beschrieben, auf einmal wieder die grundlegenden physiologischen Bedürfnisse auf. Es ist umständlich, immer eine Toilette oder einen Busch zu suchen, um pinkeln zu gehen oder den Campingkocher aufzuklappen und das Gas anzuschließen, wenn der Hunger plötzlich doch zu groß ist. Ich merke, wie aufwändig es ist, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Und das außerhalb einer normalen deutschen Wohnung, wo das Bad mit fließendem Wasser und der Kühlschrank jeder Zeit erreichbar sind. Ich erinnere mich auch an die Wärme in der Wohnung. Wärme ist ein Luxus. Mein Van besitzt keine Standheizung und bei kühleren Nächten bin ich auf mehrere Schichten Pullis und Decken angewiesen. Erst dann ist mein Bedürfnis nach einem warmen Bett erfüllt. Das Dach über dem Kopf ist zwar immer dabei, aber so direkt in der Natur sticht das Bedürfnis danach mehr hervor. Es tut gut, sich bei Wind und Wetter in die Sicherheit einer Unterkunft begeben zu können und diese absperren zu können. Ich befinde mich in keinem gefährlichen Land, aber es ist spürbar, wie wichtig ein sicherer Ort für uns Menschen ist. Ein Ort zum Ausruhen und Entspannen. Wie dankbar wir dafür sein können, einen solchen Ort zu haben.
Nach Erfüllung der zwei Grundbedürfnisse werde ich meinem Bedürfnis nach sozialem Kontakt durch das Zusammenleben mit meinem Partner und das gemeinsame Reisen mit Freund:innen gerecht. Wir brauchen andere Menschen, um uns wohlzufühlen. Auch wenn wir das manchmal vergessen, sozialer Kontakt ist wichtig. Vielleicht ist es Zeit, die eine Freundin mal wieder anzurufen, oder eine Gemeinschaftsaktion zu initiieren … Was meinst du?
Die beiden höheren Bedürfnisse sind schon etwas komplexer. Beim Tippen dieses Artikels merke ich, wie viel mir diese Tätigkeit gibt. Es ist eine Form des Ausdrucks, für die ich Wertschätzung bekommen kann und erfüllt zugleich mein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Das Schreiben begleitet mich schon lange und möchte sich einfach ausdrücken. Es tut gut, dies auch zu tun. Ein Stückchen Selbstverwirklichung … Vielleicht helfen diese kleinen Beispiele dir, über die eigenen Bedürfnisse nachzudenken. Was brauchst du jetzt gerade? Essen, ein gutes Buch, ein tiefes Gespräch, Wind auf dem Gesicht, eine warme Badewanne, die Verwirklichung von etwas, das du schon lange tun wolltest, oder vielleicht ein Kompliment?
Oft ist es schwer zu wissen, was wir genau brauchen. Mir fällt es leichter zu erkennen, was ich alles nicht in meinem Leben benötige. Mein Handy nehme ich auf jeden Fall beim Van-Life deutlich seltener in die Hand als in Deutschland. Wozu auf Instagram die Urlaubsbilder anderer ansehen, wenn vor der Tür das Meer und die Sonne warten? Auch andere Luxusgüter, die uns das Leben erleichtern, wie eine Spülmaschine oder einen Kühlschrank benutze ich hier nicht. Im Konzept des Minimalismus, das die letzten Jahre immer bekannter geworden ist, geht es genau darum. Unwichtige Dinge aus dem Leben streichen und zurück zu dem kommen, was wirklich zählt. Das erleichtert das Leben. Der Fokus richtet sich wieder auf die essentiellen Dinge und wir können diese mehr wertschätzen – ein schöner Gedanke, finde ich. Während ich noch so in Gedanken bin, meldet sich plötzlich wieder meine Blase – dieses Mal mit Nachdruck. Es wird höchste Zeit, das Bedürfnis zu erfüllen. Dann verschwinde ich mal und suche mir zwischen Strand und Dornengebüsch einen Spot zum Pinkeln. Das einfache Leben macht glücklich. Aber vor allem dann, wenn alle Grundbedürfnisse befriedigt sind.
Der nächste Wohnsinn kommt vermutlich wieder aus Regensburg. Sei gespannt.
Beitragsbild: Laura Kappes