Willkommen auf Thilafushi – »Keinland« im Theater Regensburg
Plastik repräsentiert den Konsum des 21. Jahrhunderts besser als alles andere. Doch wo landet der ganze Plastikmüll? Und wie sieht die Welt im Jahre 2100 aus, wenn der Müll kein Ende nimmt? Damit beschäftigt sich Regisseurin Pia Richter im Stück »Keinland«, das letzten Samstag Uraufführung im Theater am Haidplatz feierte.
von Yvonne Mikschl
Theaterzeit am Haidplatz in Regensburg. Nach der 2G-Plus-Kontrolle gelange ich mit Plastikbändchen ins Forum. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Bis ich Bilder und Exponate sehe: Verpackungen, Kunststoff, ein Gemälde aus Plastikstrohhalmen. Und man ist sofort willkommen in der »Keinland Erlebnisausstellung« zu einer Zeitreise in das heutige Plastikzeitalter. Es ist etwas ungewöhnlich für das Theater, Schauspiel und Ausstellung zu kombinieren. Beim Stück der Kleistförderpreis-Trägerin Magdalena Schrefel bietet sich das allerdings mehr als nur ein bisschen an: »Keinland« ist ein Gedankenexperiment, das einer:m über die Zukunft nachdenken lässt.
Zum Stück
Die Handlung von »Keinland« ist relativ schnell erzählt: Adrian (Gero Nievelstein) und Jesolo (Thomas Weber) sind die letzten Menschen auf Thilafushi, einer künstlich geschaffenen Entsorgungsinsel. Beide verbindet eine klassische Arbeitsbeziehung (Chef und Angestellter) sowie eine sonderbare und kuriose Freundschaft. Beide versuchen, der Müllberge Herr zu werden: Sie sortieren das, was noch zu gebrauchen ist, von dem, was wegkann. Nachschub kommt von den Fähren, die ihren Müll auf der Insel ablagern. Zu Essen bekommen sie von den Kiosken, dargestellt durch einen Snackautomaten.
Eines Tages findet Jesolo ein »Gummi-Dings« und träumt von seiner Reise nach Amerika und davon, Adrian eine Postkarte zu senden, obwohl er nicht schreiben kann. Mit der nächsten Fähre kommen nicht nur neue Müllberge, sondern auch zwei Tourist:innen: Ute (Silke Heise) und der Frank (Michael Heuberger), die eigentlich nur ein paar Cocktails am Strand der Malediven trinken wollen.
Begleitet wird das Stück durch einen Guide (Michael Haake), der durch das »Exponat« führt und die Ausstellung lebendig werden lässt, indem er Kommentare aus den sozialen Netzwerken einfließen lässt. Zwischendurch wird er immer wieder von einem Besucher (ebenfalls Michael Haake) aus der ersten Reihe unterbrochen, der seine Gedanken dem Publikum preisgibt.
Der Hintergrund: alles andere als dystopisch und fantasievoll
Der Name der Insel Thilafushi klingt für manche erst mal nach einem Fantasienamen. Auch die Tatsache, dass eine Müllinsel als Lagerplatz im Meer für Plastikmüll dient. Dass das Stück die Realität als Vorbild hat, kann man sich spätestens in der Ausstellung vorstellen.
Doch die Realität 2021 sieht auch in Sachen Müllinsel nicht anders aus. Thilafushi gibt es bereits seit 1991. Es liegt circa sieben Kilometer westlich von Malé, der Hauptinsel der Malediven – bekanntlich ein sehr beliebtes Urlaubsziel. Ursprünglich nur die Lagune betroffen, entwickelte sich ein Gebiet auf eine Fläche von 50 Hektar mit einem täglichen Wachstum von einem Quadratmeter. Heute gilt es als größte Müllinsel der Welt.
Das Problem ist der wachsende Tourismus, der die wichtigste Haupteinnahmequelle der Malediven darstellt. Je mehr Besucher:innen, desto mehr Abfall. Je mehr Müll, desto mehr Verbrennung und Explosionen, die zum Teil giftige Stoffe freisetzen. Und die Arbeiter:innen, zumeist Bengal:innen, bekommen einen Hungerlohn: Nur wenige von ihnen schützen sich laut Umweltverbänden vor den Gasen.
»Keinland« setzt nicht nur mit der Ausstellung von Döner-Verpackung, Sonnenlotionsflaschen und Strohhalmgemälden die Zerstörung der Umwelt in Szene. Nein, die Inszenierung greift auch ein seit Jahren brennendes Dauerthema wieder auf. Als ob es nicht schon reichen würde, dass die Umwelt durch den Müll zerstört wird, steigt auch der Meeresspiegel der Ozeane an. »Wenn es die Malediven nicht mehr gibt, wenn die Inseln untergehen wegen der Erderwärmung und dem Anstieg des Wassers, dann wird es auch den Rest der Welt nicht mehr allzu lange geben«, sagt Mohamed Nasheed, Expräsident der Malediven, zu seiner Protestaktion 2009, als er ein Signal für den globalen Kampf gegen den Klimawandel setzte. Teilweise gerade eineinhalb Meter ragen die Inseln aus dem Wasser. Küstenerosionen kommen zu einem Meeresspiegelanstieg von 60 Zentimetern, wie er berechnet und vorausgesagt wird, noch hinzu. Die Vision, die Pia Richter und Magdalena Schrefel in ihrem Gedankenexperiment zeigen, ist längst Realität. Ob man sie noch ändern kann, ist die andere Frage.
Die Regensburger Inszenierung – Applaus für Regie und Crew
Für Regisseurin Pia Richter war es kein leichtes Spiel bisher im Theater Regensburg. Laut Klaus Kusenberg benötigte es drei Anläufe, um unter Corona-Bedingungen eine Inszenierung unter ihrer Regie auf die Beine zu stellen. Der Applaus am Ende der eineinhalbstündigen Vorstellung zeigte aber, dass es sich gelohnt hatte. Kusenberg betonte, dass diese Produktion die bisher Nachhaltigste gewesen sei: Das Bühnenbild sei aus den Anfängen der geplanten »Effi Briest«-Inszenierung in Teilen übernommen worden. Und auch dem Müll auf der Bühne sieht man an, dass er der Realität entstammt.
Schauspielerisch kann sich »Keinland« durchaus sehen lassen. Guide Michael Haake brilliert in seiner Doppelbesetzung sowohl im Video als auch im Publikum in der Rolle des Besuchers. Jesolo-Darsteller Thomas Weber und Adrian-Besetzung Gero Nievelstein überzeugen – wie das gesamte Stück – mit Witz und Charme. Und doch denkt man nach eineinhalb Stunden intensivem Theatererlebnis über eine Frage des Besuchers nach: » Ich frage mich, ob es die Malediven überhaupt jemals gegeben hat, ob es nicht nur Bilder sind, die sich jemand ausgemalt hat?«
»Keinland« am Theater Regensburg:
- Aufführungsdauer: eineinhalb Stunden ohne Pause
- Spielstätte: Theater am Haidplatz
- mehr Infos zur Erlebnisausstellung auf Instagram
- Termine und Karten auf der Webseite des Theaters
Beitragsbild: »Und was ist, wenn wir weg sind?« – »Keinland, Jesolo, Keinland.« Thomas Weber und Gero Nievelstein (v.li.) © Martin Kaufhold