Feminis:muss: Die Perspektive wechseln
Bei so ziemlich jeder Meinungsverschiedenheit kann es hilfreich sein, sich in die Position des Gegenübers hineinzuversetzen – vorausgesetzt mensch ist bereit, den eigenen Standpunkt zu überdenken und zu der Erkenntnis zu gelangen, dass nicht immer alles schwarz-weiß ist. Wie eine einfache Frage Absurditäten aufdecken kann und was das Ganze mit Vanessa von den »Wilden Kerlen« zu tun hat, darum soll’s jetzt gehen.
von Bianca Wilhelm
Perspektivwechsel. Kurz raus aus dem eigenen Körper, weg von den eigenen Ansichten. Und rein in eine neue Position, für kurze Zeit die Probleme der anderen Person zu den eigenen machen, um die Menschen, die diese Probleme haben, zu verstehen. Ihnen ein Stück weit näher kommen. Um dann – wieder im eigenen Körper – zu schauen, ob sich was an der eigenen Sichtweise geändert hat.
Für kurze Zeit Theater spielen, die Rolle eines anderen Menschen einnehmen. Die Rolle eines Menschen, der/die vielleicht weniger Privilegien genießen kann, andere Startbedingungen im Leben hatte und mit anderen Hürden im Alltag konfrontiert wird als man selbst.
Das erst kürzlich erschienene Format »Das Experiment: Wie sexistisch bist du?« von tagesschau24 und dem NDR Kulturjournal, in dem sechs Männer mit verschiedenen Aussagen und Fragen konfrontiert werden, um in einen Diskurs über Sexismus zu kommen, zeigt, dass es hilfreich sein kann, in eine andere Rolle zu schlüpfen, um das eigene, internalisierte, sexistische Verhalten zu reflektieren.
Ein kurzer Einblick: In einem Teil des Experiments stellen sich die Männer gegenseitig Interviewfragen, die in dieser Form normalerweise nur Frauen gestellt werden und diese somit auf stereotype Vorstellungen reduzieren. Fragen, hinter denen Aussagen wie »Frau ist schön, Frau ist Mutter und eher in Ausnahmefällen kompetent« stehen. Die Absurdität mancher Fragen wird durch den neuen Adressaten deutlich, sodass der 49-jährige Geschäftsführer Tobias feststellt: »Mich für einen kurzen Moment in die Rolle einer Frau rein zu denken und zu denken ‚Mit was für einem Bullshit werd ich da eigentlich konfrontiert?‘«
Und auch auf Social Media findet man weitere solcher Beispiele. Wer – genau wie ich – früher Wilde-Kerle-Fan war, kann Nostalgie und Feminismus verbinden, denn Sarah Kim Gries aka Vanessa teilt auf ihrem Instagram-Account zahlreiche Reels, in denen sie die Geschlechterrollen vertauscht.
Mit Aussagen, wie: »Also mit so einem kleinen Penis würde ich so eine Hose ja nicht tragen.« oder »Ne ernsthaft, dass er sich so überhaupt raus traut.« provoziert sie und verdeutlicht doch gleichzeitig die Absurdität, in welchem Maße Frauen in unserer Gesellschaft für ihr Aussehen beurteilt und bewertet werden.
Und auch ein weiteres Video, in dem zwei Frauen darüber sprechen, dass sie ungefragt Vulvapics verschicken, weil »ist halt auch ein Prachtexemplar!«, lässt mich irritiert schmunzeln. Die Vorstellung kommt mir absurd vor. Aber noch viel absurder ist es eigentlich, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der genau das passiert – ja, ein anderes Genital, aber immer noch ungefragt.
Ich glaube, dass solche Gedankenspiele im Alltag hilfreich sind. Für sich selbst und andere. Die einfache Frage »Würdest du das auch einen Mann fragen?« kann unsere eigenen, sexistischen Verhaltensweisen entlarven, aber auch als freundlicher Anstoß für andere Menschen dienen, um diese zum Nachdenken anzuregen.
Beitragsbild: © Rob Potter | Unsplash