Feminis:muss: Endstation: Heartlake City
Mädchen und Frauen lieben alles, was rosa ist und glitzert, interessieren sich nicht für Autos und sind verrückt nach Pferden – klischeehafter geht es kaum und all diese vermeintlichen Gegebenheiten sollten heutzutage leichter denn je zu entkräften sein. Dumm nur, dass wir ausgerechnet Kinder mit überwunden geglaubten Geschlechterklischees in Form von Spielzeug bombardieren.
von Stefanie Heiland
Wer durch eine durchschnittliche Spielwarenabteilung geht, wird wohl bei vielen Produkten schnell bemerken, auf welche Zielgruppe bei Herstellung und Vermarktung abgestellt wurde. Auch das Unternehmen LEGO, weltbekannt für seine Produkte rund um die gleichnamigen bunten Bausteine, hat in seiner fast neunzigjährigen Geschichte schon des Öfteren mit rosa, blau und Geschlechterklischees gearbeitet. So geschehen etwa bei den zwei Produktreihen LEGO City und LEGO Friends: Während die Verpackungen der LEGO City-Sets durchgehend in blau gehalten sind und Spielzeuge wie eine Polizeieinsatzzentrale, eine Vulkan-Forscherstation und ein Passagierflugzeug enthalten, ist das Farbkonzept von LEGO Friends klar auf rosa und lila ausgerichtet. Falls noch nicht klar genug ist, wer nun mit welcher Spielzeugreihe angesprochen werden soll, geht die Produktpalette bei LEGO Friends von einem Kaufhaus über einen Friseursalon bis hin zu einer Tierklinik. Das ganze Spielkonzept von LEGO Friends dreht sich übrigens um den fiktiven und sehr rosalastigen Ort »Heartlake City«, während LEGO City (etwas weniger limitierend) eine realistische Welt abbilden soll, die die kindliche Kreativität anregt. Die kindliche Kreativität oder die Kreativität überwiegend männlicher Kinder?
Klar, bei Produktbeschreibungen in Online-Shops werden »Mädchen und Jungen« als Zielgruppe beschrieben, aber machen wir uns nichts vor – welche Kinder werden sich regelmäßig von den rosa Sets angesprochen fühlen und welche werden unterm Weihnachtsbaum ein LEGO-Polizeiboot auspacken?
Resignieren wir angesichts klischeebehafteter Lieblingsspielzeuge – Mädchen wollen wohl einfach Puppen, Jungs wollen Feuerwehrautos – machen wir es uns zu leicht. Wie LEGO City richtig erkannt hat, spielen Kinder gern die Erwachsenenwelt nach – und unsere Erwachsenenwelt ist eben (noch) nicht geschlechtergerecht. Wie soll das Spiel gerechter als der Alltag sein, in dem Kinder spielen? Und wie soll der Alltag gerechter werden, wenn schon das Spielzeug Nährboden für das Verinnerlichen klischeehafter Überzeugungen bietet?
Der Weg zur Geschlechtergerechtigkeit führt durch die Spielwarenabteilung
Das hat auch LEGO erkannt, zum diesjährigen Weltmädchentag am 11. Oktober hat das Unternehmen eine Pressemitteilung veröffentlicht. Die Kernbotschaft: LEGO-Produkte sollen zukünftig geschlechtsneutral vermarktet werden. Mädchen seien bereit, Geschlechterrollen zu überwinden, heißt es in der Erklärung – die Gesellschaft aber verharre weiterhin in alten Vorurteilen, die Mädchen daran hindern würden, ihr kreatives Potenzial zu entfalten. Dass das Spielzeug, das wir ihnen vorsetzen, Kinder nicht nur in ihrem Spiel, sondern auch in ihrem Selbstvertrauen, in ihren Zielen, Träumen und Überzeugungen limitieren kann, diese Erkenntnis hat LEGO aus einer selbst in Auftrag gegebenen Studie gewonnen. Diese Studie hat Daten von ca. 7.000 Eltern und Kindern zwischen sieben und vierzehn Jahren ausgewertet, unter anderem in Japan, Polen und den USA, und die Ergebnisse sollten beim Gang durch die oben schon erwähnte durchschnittliche Spielwarenabteilung zu denken geben.
Denn: 74 % der befragten Jungen und 62 % der Mädchen waren der Überzeugung, dass manche Aktivitäten eben für Jungen seien, andere für Mädchen.
Was für Kinderspiele gilt, scheint sodann nahtlos ins Erwachsenenleben überzugehen, genauer gesagt in geschlechtsspezifische berufliche Erwartungen. 85 % der Erwachsenen stellten sich Wissenschaftler*innen und Sportler*innen eher als Männer vor, 89 % verbanden den Ingenieur*innen-Beruf mit Männern – ein klares Ergebnis, das sich bei den befragten Kindern fortsetzte.
Auch bei der Frage, zu welchen Freizeitbeschäftigungen Eltern ihre Kinder ermuntern, entstanden prozentuale Klippen: Während jeweils nur gut 20 % der befragten Erwachsenen ihre Söhne zum Tanzen, Verkleiden, Kochen und Backen animieren, scheinen diese vier Beschäftigungen zu den erstrebenswertesten für Mädchen zu gehören – 80 % der Eltern motivieren ihre Töchter gern dazu. Im Kontrast dazu gaben beispielsweise 76 % der Eltern an, eher ihre Söhne als ihre Töchter zu sportlichen Aktivitäten motivieren zu wollen, ähnliche Zahlen gelten für Spiele rund ums Programmieren.
Auch hier könnten wir es uns wiederum einfach machen und den Eltern Klischeedenken vorwerfen, aber das wäre, wie gesagt, zu kurz gegriffen: Viele Eltern, besonders Eltern von Söhnen, erleben wohl auch Sorge, dass ihre Kinder Spott und Ausgrenzung erfahren könnten, wenn sie nicht geschlechtstypischen Erwartungen entsprechen. Und die Kinder kennen diese Sorge selbst, wie die LEGO-Studie zeigt – 71 % der befragten Jungs gaben an, zu befürchten, dass andere sich über sie lustig machen würden, wenn sie mit klassischen »Mädchen-Spielsachen« spielen. (Zum Vergleich: 42 % der Mädchen hatten die gleiche Sorge.) Der Spielzeugmarkt spiegelt also ein gesamtgesellschaftliches Problem wieder – ein Problem, um das die Marktführer*innen sich im Sinne aller Kinder und Eltern kümmern müssen.
Schluss mit Rosa-Blau-Marketing
Die Konsequenz, die LEGO daraus zieht: Zukünftig solle sichergestellt werden, dass jedes Kind das Gefühl habe, alles mit den LEGO-Steinen bauen zu könne, was es nur wolle – frei von gesellschaftlich gesetzten Grenzen aus Geschlechteridentitäten und Stereotypen.
Sicher, LEGO will mit dieser Aktion vermutlich vorrangig auch den eigenen Marktwert steigern. Was die Studie nämlich noch ergeben hat: 76 % der befragten Eltern ermuntern ihre männlichen Kinder, mit LEGO zu spielen – aber nur 24 % empfehlen LEGO-Produkte auch ihren Töchtern. Diesbezüglich gibt es für das Unternehmen also noch viel Luft nach oben – daran, dass das Spielen mit LEGO-Bausteinen bislang eher als »Jungs-Beschäftigung« eingestuft wird, trägt die eigene Vermarktungsstrategie der letzten Jahrzehnte aber die wohl größte Schuld.
Dennoch, wenn eins der weltweit bedeutendsten Spielwareunternehmen diesbezüglich Verbesserungsbedarf zugibt, ist das eine Entwicklung, die hoffnungsvoll stimmen sollte – sowohl für künftige Rundgänge in der Spielzeugabteilung als auch für die Ergebnisse, die dieselbe Studie in zehn, zwanzig, fünfzig Jahren erzielen mag. Tiefsitzende Überzeugungen schwinden nur langsam, aber wenn wir kritisch und offen bleiben, können wir dafür sorgen, dass sie mit jeder Generation ihren Griff ein bisschen lockern und irgendwann ganz aus unseren Köpfen verschwinden.
Passend dazu ein Social-Media-Tipp zum Abschluss: »Was passiert eigentlich, wenn wir Klischees und sexistische Muster einfach umdrehen?«, wird auf dem Instagram-Account @seiten.verkehrt gefragt und schon ein kurzes Scrollen führt vor Augen, welche Absurditäten wir in unserem kollektiven Geschlechterdenken verinnerlicht haben. Wie sehr schon Kinder mit Stereotypen überhäuft werden, zeigt sich ebenfalls bei @seiten.verkehrt – die Betreiberin postet nämlich auch Fotos von Entdeckungen, auf die ihre Follower*innen in den Untiefen des Alltagssexismus gestoßen sind. Angesichts von rosa Kindertrinkflaschen mit aufgedruckten Pinseln und Wäscheklammern neben blauen Trinkflaschen, die Bohrer, Säge und Hammer zeigen, fällt es schwer, nicht den Glauben an den feministischen Fortschritt zu verlieren. Aber: Der Content verleitet nicht nur zum Kopfschütteln und Ärgern, sondern macht auch Lust aufs Optimistisch-Sein – angesichts des wachsenden Bewusstseins für Klischees und bescheuerte Marketing-Strategien.
Beitragsbild: © Xavi Cabrera | Unsplash
Quelle: LEGO.com US: Girls are ready to overcome gender norms but society continues to enforce biases that hamper their creative potential