Die Nibelungen – alter Text, der so modern sein kann
Nach langer Corona-Pause hat das Theater Regensburg am Bismarckplatz mit »Die Nibelungen«, ein deutsches Trauerspiel von Friedrich Hebbel, neuinszeniert von Julia Prechsl, am Sonntagabend, den 20. Juni 2021, erstmals wieder zur Premiere eingeladen. Der Klassiker zeigt sich in dieser Version von einer erfrischend neuen Seite und mit modernen, femininen Akzenten.
– von Dela Lohaus
Julia Prechsl hat den Klassiker neu interpretiert und setzt den Fokus auf die Frauen Brunhild und Kriemhild. Brunhild (Verena Maria Bauer) ist die stolze, wilde und mächtige Königin Islands, die erst die Ehe eingehen will, mit dem Mann, der sich ihr im Kampf als ebenbürtig erweist – es heißt Brunhilds Herz gewinnen oder das eigene Leben lassen. Kriemhild (Zelal Kapҫik) ist die Schwester des Königs Gunther von Burgund (Guido Wachter). Gunther möchte unbedingt Brunhild zur Ehefrau haben. Um sein Ziel zu erreichen, fordert er Hilfe von dem unbezwingbaren Drachentöter Siegfried (Philipp Quest), dem der Nibelungenhort mit der mächtigen Klinge Balmung und die Nebelkappe des Zwergs Alberich gehört. Im Gegenzug soll Siegfried sein Wunsch gewährt werden, Kriemhild zur Frau zu nehmen. Die beiden Männer überlisten Brunhild und diese denkt im folgenden Wettkampf, sie wäre Gunther unterlegen gewesen – und nicht Siegfried – und fügt sich als Braut mit nach Burgund zu reisen. Dort wird dann Doppelhochzeit gefeiert. In der Hochzeitsnacht hilft Siegfried Gunther erneut, indem er ihm (unerkannt) hilft, Brunhild zu vergewaltigen. Kriemhild deckt den Komplott auf und sieht es in ihrer Pflicht, Brunhild über alles aufzuklären. Entgegen ihrer Hoffnung und ihrem Bitten, will Brunhild Siegfried jedoch nicht vergeben und fordert seinen Tod. Hagen (Thomas Weber), der treue Gefolgsmann und Ratgeber Gunthers, der ihm die ganze Zeit über zur Seite stand, sieht seine Chance, den ihn verhassten Siegfried endlich loszuwerden und ermordet diesen hinterlistig. Kriemhild wartet jahrelang auf Vergebung, bis sie selbst beginnt, Rachepläne zu schmieden und die Tat in die Realität umzusetzen.
Beeindruckendes Bühnenbild und großartige (Licht-)Effekte
Das Stück reißt die Zuschauenden direkt zu Beginn in seinen Bann: Nebel schwebt über der Bühne, der Hintergrund ist pechschwarz und die Scheinwerfer sind von der Seite ausgerichtet, sodass tiefe Schatten entstehen. Diese Effekte werden für das gesamte Stück genutzt und verfehlen ihre Wirkung dabei nicht: Den Zuschauenden bietet sich ein mystisches und unheimliches Bild. Das mehr als beeindruckende Bühnenbild (Valentin Baumeister) besticht als dreifache Felsanordnung, die durch die unterschiedlichen Höhenelemente eine tolle Dynamik im Hinblick auf die Bewegungsmöglichkeiten der Schauspielenden bietet. Die Charaktere haben die Möglichkeit sich nicht nur horizontal, sondern auch vertikal zu bewegen.
Die Musikuntermalung ist sehr passend gewählt. Musik wird insgesamt sehr sparsam eingesetzt, was gut zum Stück passt. Meistens ertönen nur kurze Sequenzen, die einen Effekt verstärken sollen. Zwischendurch werden auch die Gedanken der Charaktere als Audio präsentiert. Einen besonders starken Kontrast bietet die Hochzeitsszene, in der sehr laute und moderne Musik eingespielt wird, sodass man als Zuschauende*r das Gefühl hat, mitten im Club zu sein und direkt mitfeiern zu können. Klassik ist hier fehl am Platz. Der Priester Kaplan, gespielt von Gerhard Hermann, startet die Hochzeitsszene mit einem modernen und rockigen Gesangssolo. Eine Discokugel wird von der Decke hinabgelassen und untermalt das Partybild.
In dieser Inszenierung begeistern vor allem die Frauen – aber auch die Männer glänzen mit ihrer Performance
Das Herzstück dieser Inszenierung der Nibelungensaga stellen, wie zu Beginn bereits angeführt, die Frauen dar. Zelal Kapҫik (Kriemhild) spielt einen besonders starken Charakter. Zu Beginn ist sie die schüchterne, beinahe unbedarfte kleine Schwester des Königs, die sich Hals über Kopf in den Recken Siegfried verliebt und bei seinem Anblick kaum ein Wort herausbekommt. Nach der Heirat tritt sie schon viel selbstbestimmter auf und lässt sich nicht von Siegfried bevormunden, als sie von dem Hinterhalt erfährt, durch den ihr Bruder tatsächlich an Brunhild gekommen ist. Siegfried fleht sie an, sein Geheimnis für sich zu behalten, doch Kriemhild sieht es in ihrer Pflicht als Frau und als neue Schwester Brunhilds, diese über den »Kuhhandel« aufzuklären. Nachdem Siegfried hinterrücks von dem grandios gespielten, schmierigen Hagen ermordet wurde, lebt sie viele Jahre in tiefer Trauer und auf Vergeltung wartend. Eines Tages nimmt sie die Dinge selbst in die Hand und vermählt sich mit dem gefürchteten Hunnenkönig Etzel (Gerhard Hermann), nimmt die Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht in Kauf und gebiert ein Kind, nur um schließlich ihre Rachepläne umsetzen zu können: Sie lädt ihren Bruder und sein Gefolge an den fernen Hof, wo sie ein großes Blutvergießen plant. Zelal Kapҫiks Darbietung findet ihren Höhepunkt mit dem bitteren herzerfüllenden Schrei »Fick dich, Hagen!« und einem lauten Knall, der seinen Tod besiegelt. Es ist sogar zu sehen, wie die Patrone aus der Pistole schießt und ihr Ziel trifft – wirklich gut inszeniert. Die größte Herausforderung in der Rolle der Kriemhild bestand vermutlich darin, den alten Sprachstil auf junge und moderne Weise vorzutragen, was Kapҫik mit jugendlicher Leichtigkeit wunderbar gelungen ist.
Ein Stück funktioniert nicht ohne seine Hauptfiguren, doch es zeigt sich auch hier erneut, dass es oftmals erst durch bestimmte Randfiguren zum Leben erwacht. Franziska Sörensen spielt die Rolle der Uta, die Mutter von König Gunther und Kriemhild. Im Zusammenspiel mit Gerhard Hermann, in der Rolle des Kaplan, begeistert sie die Zuschauenden besonders. Im Dialog erzielen die beiden auf moderne Art und mit charmantem Witz lautes, haltloses Gelächter im ganzen Publikum. »Ihr sollt euch mit eurem ganzen Körper hingeben«, spricht Kaplan, während er sein Weihrauchfässchen schwenkt. »Ich soll was? Wovon redest du?«, platzt es stirnrunzelnd aus Uta heraus. »Ihr sollt euch mit eurem ganzen Körper hingeben«, wiederholt Kaplan. Stille. »Nur weil du es ein zweites Mal sagst, wird es nicht verständlicher«, entgegnet Uta spöttisch. In einem fortdauernden Hin- und Her, das sich weiterhin um die benannte Hingebung des ganzen Körpers dreht, schaffen es Franziska Sörensen und Gerhard Hermann auf scheinbar so einfache, aber doch so wirkungsvolle Weise, das Publikum vollständig in ihren Bann zu ziehen. Sie zeigen ein schauspielerisches Feingefühl in Mimik und Gestik, das die Zuschauer*innen herzhaft auflachen lässt – auch in späteren Dialogen. Es sind vor allem diese kurzen Szenen, die sich als Highlights herauskristallisieren und die überwiegend ernsteren Szenen auflockern.
Die brillante Leistung der anderen Schauspielenden soll jedoch nicht unbenannt bleiben. Bei diesem Stück spürt man, dass das Zusammenspiel der Gruppe einwandfrei funktioniert und die Rollen ideal besetzt wurden.
Große Männer in langen Kleidern
Anna Brandstätter hat insgesamt für ein harmonisches, aber eindrucksvolles Kostümbild auf der Bühne gesorgt. Sie entschied sich für eine Mischung aus traditionellen, zeitgemäßen Gewändern mit modernen Akzenten. Einzig die Wahl der Hochzeitskleider könnte bei den Zuschauenden für Verwirrung gesorgt haben. Diese waren nicht nur für die Damen reserviert, nein, auch die heiratswütigen Männer durften sich bei ihrer Hochzeit über ein langes Tüllkleid freuen. Diese gewagte Kleiderwahl ist definitiv Geschmackssache und wird der ein oder anderen zuschauenden Person wohl etwas too much gewesen sein. Auf der anderen Seite hat der Look für eine erfrischende Abwechslung in einem ursprünglich altmodischen Stück gesorgt.
Die Begeisterung war groß
Dass das Stück bei allen Zuschauenden gut angekommen ist, zeigte sich nicht zuletzt im tosenden Applaus am Ende. Aufgefallen ist, dass es den lautesten und längsten Applaus für Verena Maria Bauer und Zelal Kapҫik gab, die die beiden weiblichen Hauptfiguren spielten.
Das Theater Regensburg präsentierte mit »Die Nibelungen« einen Klassiker mit alter Sprache, der jedoch modern und charmant vorgetragen wurde. Der düstere Kern der Geschichte wurde dabei nicht untergraben, jedoch mit gut gewählten Akzenten im Kostümbild, der Musikwahl und in den Dialogen stellenweise aufgelockert, sodass man als Zuschauende*r auch durchaus Gründe geliefert bekommen hat, auch mal herzhaft aufzulachen. Wer Lust hat auf Spannung, Überraschung, Entsetzen und Witz hat, der*die ist in diesem Stück definitiv richtig.
Karten gibt es auf der Webseite des Theaters (https://www.theater-regensburg.de/home/).
Beitragsbild: © Martin Sigmund