Viele Teile eines Puzzles – Politische Teilhabe und psychische Gesundheit

Viele Teile eines Puzzles – Politische Teilhabe und psychische Gesundheit

Warum fällt es uns oft so schwer unsere Stimme zu nutzen? Ein Bericht über die Online-Tagung »Jugendpolitik & Mental Health im Lockdown« mit Immanuel Benz (Referent für Jugendstrategie und eigenständige Jugendpolitik des Bundesjugendministeriums).

von Laura Kappes

In einer bundesweiten Studie der Universitäten Hildesheim und Frankfurt aus dem November 2020 fühlten sich über ein Drittel der jungen Menschen einsam und 68 Prozent hatten mindestens zum Teil Zukunftsängste (Quelle: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:hil2-opus4-11660). Das sind relativ hohe und leider keine überraschenden Zahlen. Während zu Beginn der Pandemie Selbstfürsorge-Beschäftigungen in Form von Brot backen und Online-Yogastunden für neue Erlebnisse sorgten, habe ich die letzten Wochen und Monate häufig Gefühle von Resignation und Einsamkeit unter Gleichaltrigen wahrgenommen. Wir wissen nicht, wie es weiter geht, sitzen vor unseren Laptops und verbringen die Zeit damit, vom Sommerurlaub zu träumen oder nach dem nächsten Tinder-Date zu suchen. Dass ein isolierter Lebensstil und viel Zeit vor dem Bildschirm nicht gerade förderlich für die psychische Gesundheit sind, ist bekannt. Ich gebe zu, ich war trotzdem etwas schockiert von der allgemeinen Erstarrung meines Umfeldes. Doch, was tun? Wo sind all die jungen Menschen, die etwas verändern wollen, Ideen haben und sich nicht unterkriegen lassen?­ – In einer Internet-Bubble verschwunden? 

Veranstaltung »Jugendpolitik & Mental Health im Lockdown«

Über die Chefredaktion der Lautschrift habe ich von der Veranstaltung »Jugendpolitik & Mental Health im Lockdown« am 20. April 2021 der evangelischen Akademie Tutzing erfahren und mich sofort dafür gemeldet, einen kleinen Bericht über das Event zu verfassen. Selber muss ich mich immer wieder an die eigene Nase fassen, um einigermaßen politisch informiert zu bleiben. Da war die Veranstaltung ein willkommener Schubs in die richtige Richtung. 

Bei der Online-Konferenz wurden zur Begrüßung und einem schnellen Kennenlernen drei Fragen gestellt, die ich gerne an die Leser*innen weitergeben würde, weil sie so einfach sind, dass sie leider oft vergessen werden. Haltet einen Moment inne und stellt euch die Fragen gerne einmal selbst (oder auch Mitbewohner*innen und Freund*innen): 

»Wie geht es dir?« 

»Was regt dich gerade auf?«

»Was ist dein Wunsch?«

Mein Wunsch ist auf jeden Fall, dass wir jungen Menschen nicht unsere Stimme verlieren und auf Internet-Plattformen versumpfen, sondern, dass wir uns gegenseitig zuhören, stark machen und diskutieren. Schnell entsteht das Gefühl ganz alleine dazustehen und isoliert zu sein. Diesem Gefühl können wir nur mit aktiven Dialogen und gegenseitigem Empowerment begegnen. Ich hatte selbst ein bisschen vergessen, wie das geht, doch die Online-Veranstaltung hat mich wieder daran erinnert. Politische Teilhabe ist ein Recht, dass auch wir jungen Menschen uns nicht nehmen lassen sollten. 

Bericht von Immanuel Benz

Hauptredner der Online-Konferenz war Immanuel Benz, der Referent für Jugendstrategie und eigenständige Jugendpolitik des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist. Sein Bericht über ein »Jugend Hearing« der Bundesregierung im März, bei dem junge Menschen zu Wort kamen, hat mir vor Augen geführt, dass wir eine Stimme haben – Wir müssen sie nur benutzen. Ein Hauptthema des Jugend-Hearings war, dass Jugendliche ganzheitlicher und nicht bloß als Schüler*innen oder Student*innen gesehen werden wollten. Immerhin gehört zu unserem Leben (hoffentlich) noch einiges mehr. Auch wurden die Sorgen über soziale Einschränkungen und langfristige wirtschaftliche Folgen durch die Pandemie, die besonders uns junge Menschen betreffen werden, wahrgenommen. Psychische Belastungen, die zum Beispiel in der zu Eingang zitierten Studie der Universität Hildesheim deutlich wurden, kamen ebenfalls vor. Als Reaktion hat das Bundesjugendministerium unter Anderem Maßnahmen wie eine Aufstockung der Telefon- und Onlineberatungsangebote (Beispiel: Nummer gegen Kummer) und Förderung für Jugendbildungsstätten und Einrichtungen wie Jugendherbergen initiiert. Das klingt vielleicht noch nicht nach einer weltbewegenden Veränderung, aber die Mühlen des Staatsapparates mahlen eben langsam – immerhin scheinen sie zu mahlen. 

Außerdem wies Immanuel Benz auf die Jugendpolitiktage 2021 hin, die vom 6. – 9. Mai 2021 stattfinden und zu denen es einen Online Live-Stream geben wird (https://jugendpolitiktage.de). 

Was können wir tun? 

Insgesamt habe ich es als sehr bereichernd wahrgenommen wieder einmal junge Menschen aus komplett anderen Städten und Studiengängen zu sehen und von einem Vertreter der Bundesregierung gehört zu werden. Auch, wenn sich nicht sofort riesige Veränderungen zeigen, sind lebhafte Diskurse notwendig, um verschiedene Sichtweisen und Meinungen auszutauschen und kleine gemeinsame Schritte zu erarbeiten. Wie die Veranstalterin des Vortrages, Julia Wunderlich (Studienleiterin des Jungen Forums der Akademie Tutzing) betonte, ist psychische Gesundheit Voraussetzung oder zumindest förderlich für aktive politische Teilhabe. Das heißt, dass wir zunächst einmal bei uns selber schauen müssen, wie wir in der aktuellen Krise mental gesund bleiben. Einige Tools, die ich als Psychologie-Stundentin dazu empfehlen kann, sind ein geregelter Tagesablauf, weniger passive Bildschirmzeit (konsumieren von Sozialen Medien), ein Spaziergang, Sprechen über Gefühle mit Freund*innen, Tanzen zu Musik (gerne auch alleine im Zimmer), Sport, achtsames »Nichts-Tun«, Tagebuch schreiben, oder im Ernstfall auch das Gespräch mit einer professionellen Person wie einem*r Psychotherapeut*in. Das mag alles bekannt klingen, aber hast du heute schon einen von den Tipps beherzigt?  

Nur, wenn wir bei uns selber sind, können wir überhaupt über die Welt reflektieren und unsere eigenen Erfahrungen dazu nutzen neue Informationen zu bewerten und einzuordnen. Eine Entwicklung, die mir gefährlich scheint, ist leider, dass viele sich gar nicht mehr mit neuen Informationen beschäftigen wollen – eine Art Gleichgültigkeit entsteht. Es kann sinnvoll für die eigene psychische Gesundheit sein, sich für eine Zeit von den Medien oder allgemein neuen Informationen zu distanzieren, um zu reflektieren, aber es sollte kein Dauerzustand sein. Andere Menschen meinen die Wahrheit bereits erkannt zu haben und passen ihr Weltbild nicht mehr an, neue Informationen werden einfach passend gemacht.  Ich gehe davon aus, dass eine einzelne Person die Welt in all ihrer Komplexität überhaupt nicht vollständig verstehen kann. Nur zusammen können wir Menschen ein immer besseres Bild von der Welt bekommen, denn jede Person spiegelt das Leben und das Mensch-Sein wider – wie viele Teile eines großen Puzzles. Das Wort politische TEILhabe macht dementsprechend auch Sinn und bedeutet für mich seinen Teil zu einer Frage oder Entscheidung der Gesellschaft beizutragen. Deshalb vergesst nicht, dass viele Meinungen und viele verschiedene Sichtweisen per se nicht schlecht sind. Jede Sichtweise ist zunächst einmal wertvoll. Es ist anstrengend sich ständig selbst zu hinterfragen und wir können dies auch nicht permanent tun, sonst fühlt sich unser Leben sehr unsicher an. Aber ich meine, wir könnten schon von Zeit zu Zeit ein wenig mehr über den Tellerrand blicken und mit Mitgefühl und Respekt versuchen unsere Mitmenschen zu verstehen. 

In diesem Sinne informiert euch, tauscht euch aus und lasst euch nicht von der grauen Decke überm Kopf den Weitblick und die Ideen nehmen!

Zum Nach- und Weiterlesen:

Veranstaltung: https://www.ev-akademie-tutzing.de/veranstaltung/jugendpolitk-mental-health-im-lockdown/

https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:hil2-opus4-11660

https://jugendpolitiktage.de

Beitragsbild: © Benjamin Zanatta | Unsplash

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