Wohnsinn-Kolumne: Frühlingsgefühle
In den letzten Monaten verbrachte ich die meiste Zeit zu Hause in meiner WG– natürlich diesem nervigen Virus und der eisigen Kälte geschuldet. Hin und wieder konnte ich durch den dichten Nebel gerade noch die Spitzen des Doms erahnen, der mich daran erinnerte, wo ich mich gerade befand. Das sonst so lebendige und laute Regensburg war Mitte Februar nur noch eine verschwommene Erinnerung und ich fühlte mich von Tag zu Tag mehr eingesperrt. Doch dann zog ich eines Tages Ende Februar meine Vorhänge zur Seite – in der Erwartung die gewohnten grauen Wolken zu erblicken – als mir ein warmer Sonnenstrahl auf das blasse Gesicht fiel.
von Paula Kühn
Verwundert öffnete ich das Fenster und streckte meine Nase hinaus. Zartes Vogelgezwitscher drang in mein kleines Zimmer und die Luft, die hineinwehte lies mich zum ersten Mal seit Monaten nicht frösteln. Ich war auf einen Schlag hellwach – verrückt, dachte ich noch, welchen Einfluss Wetter auf unseren Gemütszustand haben kann – und hüpfte in die Küche, wo ich meine Mitbewohnerin traf, die ähnlich beschwingt wie ich selbst, gerade ihren Kaffee schlürfte. Zehn Minuten später hatten wir all unsere Hausarbeits- und Lernpläne über den Haufen geworfen und machten uns bereit in die Stadt zu gehen. Egal wohin, Hauptsache Sonne.
Keine Handschuhe, kein dicker Schal, keine kuschelige Mütze oder klobige Stiefel – nur Sneaker, ein dünner Pulli, luftige Jeansjacke.
Trotz Maske fühlte ich mich seltsam befreit, und schnell merkte ich, dass es fast allen ähnlich ging. Die ganze Stadt schien froh zu sein, endlich ihren Wohnungen zu entkommen, froh, endlich die lang vermissten Sonnenstrahlen in sich aufsaugen zu können.
Gitarrenklänge wehten über die Steinerne Brücke und alle schienen erleichtert, sich nur noch hinter den Masken und nicht mehr in ihren riesigen Mänteln verstecken zu müssen.
Lange hatte ich nicht mehr so viele Menschen auf einmal gesehen: Fast jeder Platz am Ufer der Donau war besetzt, Sonnenbrillen tragende Mädchen nippten an ihren Aperol Spritz, andere balancierten über Slacklines oder rannten einem Fußball hinterher. Ich war erleichtert: So sollte sich diese Stadt anfühlen. Voller Leben.
Es war das erste Mal seit langem, dass alles normal schien – auch wenn sich natürlich darüber streiten lässt, was genau denn »normal« sei. Aber zum ersten Mal seit Monaten fielen in unserem Gespräch kein einziges Mal die Wörter »Infektionszahlen«, »Impfungen« oder »Lockdown«. Wir sprachen auch nicht darüber, wie beängstigend es eigentlich war, dass wir Ende Februar fast im T-Shirt hier draußen herumlaufen konnten. Wir machten einfach das, was jede*r Student*in am ersten Frühlingstag des Jahres tun würde: Wir kauften ein Eis, etwas zu trinken und setzten uns ans Ufer der Donau, von wo wir auf die Spitzen des Doms blicken konnten, die sich dem hellblauen Himmel entgegenstreckten und fühlten uns wunderbar sorglos.
Wir blieben ewig dort sitzen, redeten und lachten inmitten all der jungen Menschen, die genau das gleiche taten. Die Sonne ließ das Wasser des Flusses glitzern, bis sie irgendwann langsam hinter den bunten Türmchen der Altstadt verschwand und alles in ein warmes, orangenes Licht tauchte.
Jetzt sitze ich wieder in meinem kleinen Zimmer und blicke auf eine graue Wolkendecke. Aber das ist okay. Ich habe wieder ein bisschen Licht am Horizont gesehen: Da draußen gibt es doch noch eine Welt und Regensburg hat seinen Zauber noch lange nicht verloren.
Hoffentlich könnt ihr etwas von meiner neu geschöpften Hoffnung mit in die nächste Woche nehmen, wenn Hannah euch wieder Neues aus ihrem Wohnalltag erzählt!
Beitragsbild: ©Thomas Winkler | Unsplash