Wohnsinn-Kolumne: Ich räume »mal eben« um
Ihr müsst wissen: Ich hasse Spontaneität und planloses Loslegen. Wer hat aber diese Woche in einer völligen Hau-Ruck-Aktion sein ganzes WG-Zimmer auf den Kopf gestellt, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, wie es am Ende aussehen soll? Richtig, mein völlig unüberlegtes Ich. Und wer stand zwischenzeitlich fast heulend in einem riesigen Chaos und war am Ende doch irgendwie unzufrieden mit dem Ergebnis? Richtig, auch ich. Es folgen die Phasen einer Schnaps-Idee, die doch noch gut ging.
von Lotte Nachtmann
Phase 1: Der Motivator Langeweile
Es sind Semesterferien. Ich habe ausnahmsweise mal keine Hausarbeit, die darauf wartet, bearbeitet zu werden. Die Corona-Lage ist in Regensburg mal wieder erschütternd. Mein Freund muss arbeiten. Meine Mitbewohnerin ist in der Heimat. Und ich? Ich sitze nachmittags halbwegs gelangweilt in meinem WG-Zimmer. Ich hatte schon häufiger mal überlegt, mein Zimmer ein wenig umzugestalten: Zum einen, weil ich – wie in einem früheren Kolumnenbeitrag schon einmal beschrieben – quasi in einem Kühlschrank lebe, schlafe und arbeite. Der Schreibtisch sollte also vom schlecht isolierten Fenster wegkommen. Zum anderen bedeutete das Ausziehen meines Bettes zum komfortablen Schlafplatz für zwei Personen immer einen äußerst umständlichen Act kurz vor dem Schlafengehen. Außerdem wollte ich meine bisher dezent marxistisch-leninistisch gehaltene Wandgestaltung (gerade auch angesichts eines bevorstehen Homeoffice-Praktikums) irgendwie neutralisieren und professionalisieren. Für all diese Pläne war bisher allerdings keine Zeit. Uni, die letzte Ausgabe der Lautschrift usw. usw. Und irgendetwas in meinem Unterbewusstsein sagte mir: Das wird eine längere Aktion. Nun ja, jetzt war die Zeit aber da. Und damit gab es keine Ausreden mehr. Langeweile ist halt wirklich ein guter Motivator.
Phase 2: Ich hatte noch einen Plan
Als Kind einer Innenarchitektin hatte ich durchaus Erfahrungen mit dem Thema Umräumen. Wenn es damals darum ging, mein Kinderzimmer umzugestalten, machte sie immer einen maßstabsgetreuen Grundriss des Raumes mit entsprechend abgemessenen 2D-Miniatur-Modellen der Möbel, die rein sollten. Gesagt, getan. So habe ich mein Zimmer und alle relevanten Möbelstücke ausgemessen: Ich kam auf gute zehn Quadratmeter und eindeutig zu viele und zu große Möbel für diese zehn Quadratmeter. Entsprechend glich das Umherschieben der Papierschnipsel-Einrichtungsgegenstände eher einem bekannten Handyspiel. Am Ende hatte ich aber doch zwei, drei Modelle zusammengebracht, die funktionieren könnten. Diese galt es nun umzusetzen.
Phase 3: 2D ist nicht 3D
Schnell stellte sich heraus, dass sich meine Pläne auf Papier nicht ganz so gut in die Tat umsetzen ließen. Zwischenzeitlich stand das Bett unter dem Fenster und auf der anderen Seite des Raumes. Die Kommode und der Schreibtisch wanderten auch freudig durch’s Zimmer. Nur der schwere Kleiderschrank und das Bücherregal blieben vorerst am altbekannten Platz. Letzteres sollte auch dort bleiben, da es eine provisorisch verschlossene Tür zum Nebenzimmer verdeckt. Dieses hehre Ziel hatte ich irgendwann allerdings auch aufgegeben, nur um festzustellen, dass es dahinter echt hässlich aussieht.
Phase 4: Das Chaos bricht aus
Um mein Bücherregal – letztendlich umsonst – durch den Raum zu bewegen, musste ich es komplett ausräumen. Schließlich wollte ich nicht von einer Lawine aus Französisch-Wörterbüchern, Max-Engels-gesammelten-Werken und Powi-Lexika begraben werden. Die Folge: Neben den Möbeln, Kleinkram, Stühlen, Lampen und Kram standen jetzt auch noch diverse Bücherstapel rum, über die ich ständig stolperte und die auch nicht gerade dazu beitrugen, Schrank, Bett und Schreibtisch komfortabel durch den Raum zerren zu können. Kurz gesagt: Das Chaos war ausgebrochen und meine Nerven waren auch langsam etwas strapaziert. Nichts war mehr an seinem angestammten Platz, meine geliebte Ordnung war dahin und meine verschiedenen Modelle für die Neugestaltung wollten einfach nicht funktionieren.
Phase 5: Umräumen ersetzt das Workout
Zudem wurde die Umräum-Aktion immer länger und die Möbel wurden auch nicht leichter. Als mein Freund dann endlich zum Helfen kam, blickte er mich mit einer Mischung aus Angst und Verwunderung an. Angst, da er wusste, wie schlecht ich mit Chaos umgehen kann und dass er mir nun in meiner Umräum-Krise beistehen sollte. Verwunderung, da ich es irgendwie geschafft hatte, meine schweren Möbel bisher alleine zu bewegen. Zugegebenermaßen war ich wirklich ins Schwitzen gekommen und konnte mich drei meiner vier Kleidungsschichten, die sonst den Kühlschrank-Temperaturen angepasst sind, entledigen. Einige Möbel verlangten mir und später uns auch den Einsatz der ganzen Körperkraft ab. Am Ende standen sie aber alle an ihrem neuen Platz.
Phase 6: Zwischen Zweifeln und Erschöpfung
Leider war ich überhaupt nicht zufrieden mit dem neuen Zustand und wollte eigentlich alles wieder so haben, wie es noch drei Stunden zuvor ausgesehen hatte. Vermutlich kamen auch Hunger, Erschöpfung und der Fact, dass ich mich selbst um meine Sporteinheit gebracht hatte, dazu. Nach einer warmen Dusche und mit einem deftigen Essen im Bauch war die 10-Quadratmeter-Welt meines WG-Zimmers aber wieder in Ordnung. Im Grunde genommen war meine Umräum-Aktion auch wirklich ein Update für den Raum. Er wirkt größer, heller und offener. Das Bett lässt sich ohne großen Aufwand ausziehen. Es mussten auch nur ein kleines Schuhregal und mein 10-Euro-IKEA-Stuhl namens Hermann weichen. Witzigerweise steht der Schreibtisch immer noch am selben Platz, aber ich sitze nun am anderen Ende und habe immerhin anderthalb Meter zwischen mich und den Kältetod gebracht. Das Thema Wandgestaltung ist noch in der Mache, aber so ganz kann ich mich vom marxistisch-leninistischen Stil nicht trennen. Allerdings befindet er sich nun nicht mehr direkt im Zoom-Hintergrund 😉
Nächste Woche gibt es dann News aus Anna-Lenas WG, die hoffentlich nicht in einem Chaos wie bei mir untergeht.