Feminis:muss: Das Mindeste ist nicht genug – ein Blick auf die Paragrafen 218 ff. StGB
Am 27. Januar 2021 ist in Polen ein neues Abtreibungsgesetz in Kraft getreten, das den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen nahezu unmöglich macht – selbst schwer fehlgebildete, unheilbar kranke Föten müssen ausgetragen werden; abgebrochen werden darf eine Schwangerschaft nun nur mehr, wenn sie aus Vergewaltigung oder Inzest resultiert oder die Gesundheit der Schwangeren gefährdet. Angesichts dieser dystopisch anmutenden Entwicklungen in unserem Nachbarland müssen wir doch dankbar sein für unsere liberalen Regelungen – oder? Ist die deutsche Herangehensweise wirklich einer gleichberechtigten Demokratie würdig?
von Stefanie Heiland
Eins vorneweg: Es gibt in Deutschland kein Recht auf das Abbrechen einer ungewollten Schwangerschaft. Was es gibt: die grundsätzliche Möglichkeit zum ärztlichen Schwangerschaftsabbruch für alle weiblichen Personen bis zur vierzehnten Schwangerschaftswoche. Außerdem muss frau* sich von einer anerkannten Stelle beraten lassen und eine mindestens dreitägige Frist zwischen Beratung und Eingriff einhalten. Entnehmen lässt sich das aus § 218a Abs. 1 StGB, der die genannten Voraussetzungen mit den Worten »Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn.. « einleitet. »Möglichkeit« ist hier also nicht im Sinne von »Gewährleisten« zu verstehen, sondern als ein bloßes Dulden vonseiten der Rechtsordnung – denn § 218 StGB als Grundnorm stuft den Schwangerschaftsabbruch als grundsätzlich strafwürdiges Unrecht ein.
Was bedeutet nun dieses Nicht-Verwirklichen des Tatbestands? Zunächst das Wichtigste: Wer die Voraussetzungen des § 218 a I erfüllt, kann nicht gem. § 218 bestraft werden. Der historische Gesetzgeber hatte sich dazu entschieden, sein übergeordnetes Ziel – den Schutz des ungeborenen Lebens – mithilfe eines Beratungsmodells zu fördern: § 218 a I Nr. 1 verpflichtet die Schwangere, nachzuweisen, dass sie sich hat ordnungsgemäß beraten lassen; § 219 macht klar, wie diese Beratung auszusehen hat (so hat sie sich »von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen«; der Frau müsse bei ihrer Entscheidung bewusst sein, »daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat«, weshalb die Rechtsordnung einen Schwangerschaftsabbruch nur zulassen könne, »wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt«).
Diese sogenannte »Fristenlösung mit Beratungsmodell« war vom Gesetzgeber zunächst als Rechtfertigungsgrund vorgesehen – das heißt, die darauf basierende Abtreibung wäre zwar tatbestandsmäßig, aber nicht rechtswidrig gewesen. Allerdings wurde dieser Ansatz 1993 vom Bundesverfassungsgericht abgeschmettert; es sei verfassungswidrig, den Schwangerschaftsabbruch auf diese Weise zu rechtfertigen, da der Staat damit seine Pflicht zum Schutz des ungeborenen Lebens verletze. Deshalb ist der § 218 a I heute als eine tatbestandliche Ausnahme auszulegen, durch die eine fristgerechte Abtreibung nach erfolgter Beratung zwar ihre Strafbarkeit verliert, aber trotzdem rechtswidrig und verwerflich bleibt.
In § 218 Abs. 2 und 3 finden sich dagegen zwei Rechtfertigungsgründe – die medizinische und die kriminologische Indikation, also eine schwere, nicht anders abwendbare Gefahr für die Gesundheit der Frau und eine Schwangerschaft aufgrund sexuellen Missbrauchs. In diesen Fällen sah sich selbst das Bundesverfassungsgericht gezwungen, in einer Abtreibung ausnahmsweise keinen Widerspruch zur Rechtsordnung zu sehen. Das ungeborene Leben sei zwar auch hier zu schützen, dennoch werde ausnahmsweise von der grundsätzlichen »Austragungspflicht« abgesehen. Ein Wort, das sich nebenbei bemerkt auch in Margaret Atwoods Dystopie-Roman »Der Report der Magd« nahtlos einfügen würde.
Die Unterscheidung zwischen rechtswidrigen und gerechtfertigten Abbrüchen ist übrigens auch für die Kostenübernahme wichtig – grundsätzlich müssen Abtreibungen selbst gezahlt werden, nur bei Vorliegen einer Indikation übernimmt das die Krankenkasse.
Vom Unterschied zwischen Knie-Prothesen und Abtreibungspillen
Weiter im Gesetzestext normieren § 218 b und § 218 c zwei Sonderdelikte im Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs, die nur von den behandelnden Ärzt*innen begangen werden können. Und dann wäre da noch § 219 a, der in den letzten Jahren besonders starker Kritik ausgesetzt war – zu Recht, mutet sein Normgehalt doch nahezu absurd an. Angestoßen wurde die Debatte durch die Anklage und Verurteilung der Frauenärztin Kristina Hänel. 2019 führte sie sogar zu einer Änderung des Paragrafen (die allerdings, so viel sei verraten, nicht viel gebracht hat).
Was hatte Kristina Hänel also verbrochen? Die Anklageschrift zitiert ihre Praxis-Webseite, auf der Internet-User unter anderem lesen konnten, dass ein medikamentöser Abbruch in Deutschland nur bis zum 63. Tag nach der letzten Regel möglich sei, was dem 49. Tag nach der Empfängnis entspreche, oder dass der chirurgische Schwangerschaftsabbruch sowohl mit örtlicher Betäubung des Muttermunds als auch unter Vollnarkose erfolgen könne. Aufgelistet hatte Hänel auch, was die Patient*innen zum Eingriff mitbringen sollten, also den Blutgruppennachweis und die Beratungsbescheinigung etwa, aber auch Damenbinden und Socken für den Aufenthalt im Ruheraum.
Wer online nach dem Schlagwort »Knie-OP« sucht, gelangt mit wenigen Klicks auf die Webseite einer Klinik, die das Einsetzen einer Knie-Prothese in sämtlichen Einzelheiten erläutert, von einer Erklärung der verschiedenen Prothesentypen über den Ablauf der Implantation, ihren Risiken und Komplikationen bis hin zur Rehabilitation. All diese Informationen sind wichtig für Menschen, die eine Knie-OP in Betracht ziehen – nur mit dieser Hilfestellung können sie selbstständig entscheiden, ob die Behandlung für sie infrage kommt, wo und wie sie sich genau behandeln lassen wollen. Nur wer alle Fakten kennt, kann sie abwägen und auch der Angst vor einem Eingriff lässt sich am besten mit vollumfänglicher Aufklärung begegnen.
Was für Knie-Operationen gilt, muss erst recht für Schwangerschaftsabbrüche gelten – beide sind sie medizinische Eingriffe, wobei der Schwangerschaftsabbruch der ungleich intimere und sensiblere ist, was Aufklärung umso wichtiger macht.
Warum verweigert uns dann das Gesetz diese Informationen, sobald es um Abtreibungen geht? Wieso ermächtigt es Schwangere nicht zu einer autonomen Entscheidung, sondern hindert sie im Gegenteil dabei? Denn § 219 a versperrt den unmittelbaren Zugang zu medizinischen Informationen durch die zuständigen Ärzt*innen. Der Tatbestand verbietet es »eigene oder fremde Dienste« und zum Schwangerschaftsabbruch geeignete »Mittel, Gegenstände oder Verfahren« anzubieten, anzukündigen, anzupreisen oder darauf gerichtete Erklärungen bekanntzugeben. Das zusätzliche Tatbestandsmerkmal des Handelns »eines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise« verwirklichen Ärzt*innen zwangsläufig, immerhin verdienen sie mit medizinischen Dienstleistungen ihr Geld und erwarten auch für die hier »angebotenen Dienste« die übliche Bezahlung.
Die Rechtsprechung sah im Fall von Kristina Hänel die Tathandlung des »Anbietens« als erfüllt an, die sie mit der herrschenden Meinung als »einseitige Erklärung der Bereitschaft zur Leistung der Dienste oder Überlassung von Gegenständen und Verfahren, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind« definierte.
Nun hat uns aber die Novellierung des Tatbestands 2019 den § 219a Abs. 4 gebracht, demzufolge nun »Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen« zum einen »auf die Tatsache hinweisen [dürfen], dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen« und zum anderem auch auf weitergehende Informationen hinweisen dürfen, die beispielsweise durch »eine Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz« erfolgen. Das bedeutet konkret, dass die Strafandrohung des § 219a I nicht für Ärzt*innen gilt, die sachlich darauf hinweisen, dass sie Abtreibungen durchführen. Dieses »ob« ist aber das einzige gesetzliche Zugeständnis und es ist das Allermindeste; viel mehr ist es beschämend, dass bis zum vorletzten Jahr nicht einmal frei zugänglich war, wo eine Behandlung möglich ist und Schwangere auf ein aktives Bemühen um diese Information angewiesen waren, so als suchten sie einen Drogenumschlagsplatz.
An Kristina Hänels Verurteilung hat diese neue Ausnahmeregelung jedenfalls nichts wesentlich geändert, hat sie sich doch nicht nur auf das »ob« eines Schwangerschaftsabbruchs beschränkt, »sondern auch ausführliche Informationen und Beschreibungen über das »Wie« zu den angewandten Methoden und dem gesamten Ablauf der konkreten Maßnahmen von Aufnahmegespräch bis zur Abschlussuntersuchung [gegeben]«. Mit dieser Feststellung hat das OLG Frankfurt am 22. Dezember 2020 nun auch bezüglich der neuen Rechtslage die Revision der Ärztin verworfen, damit hat Kristina Hänel den Rechtsweg erschöpft. Das heißt: Sie kann mit dem § 219a StGB nun vors Bundesverfassungsgericht ziehen.
Kindeswohl oder Kontrolle?
Bereits 1975 und 1993 hat das Bundesverfassungsgericht sich umfassend geäußert und mit seinen zwei sogenannten »Schwangerschaftsabbruchsurteilen« unsere Rechtslage und damit die Kriminalisierung der Abtreibung massiv geprägt. Die Grundaussage: Auch der ungeborene Mensch sei durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz geschützt und habe ein eigenständiges Recht auf Leben, weshalb der Staat zu seinem Schutz verpflichtet sei – notfalls auch gegenüber der Person, die das Ungeborene in ihrem Körper trägt. Und genau diese Verbindung hat das Bundesverfassungsgericht nicht verstanden, als es Embryo und Fötus zu selbstständigen Rechtsgutsträgern erklärte, deren Lebensrecht immer Vorrang habe und jeden Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig mache. Denn einen größeren Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung gibt es kaum, als eine »Austragungspflicht« von Verfassungs wegen zu proklamieren.
Die damaligen Mehrheiten im Bundesverfassungsgericht scheinen nicht durchdacht zu haben, dass sie über dem Schutz eines vergleichsweise abstrakten Rechtsguts auch die Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit der ungewollt Schwangeren berücksichtigen müssen – oder es war ihnen schlicht egal. Denn: »Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden«.
Mit derartigen Formulierungen wird unmittelbar Recht über den weiblichen Körper gesprochen. Das kann und darf nicht sein: Niemand sollte jemals gezwungen sein, neun Monate lang massive körperliche und psychische Veränderungen und eine schmerzhafte Geburt zu ertragen, nur um staatlichen oder gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen – my body, my choice.
Es darf auch nicht vergessen werde, dass die Konsequenzen einer »Austragungspflicht« nicht mit der Geburt enden. Wie passt es zur »staatlichen Schutzpflicht« die Kinder, für die so vehement gekämpft wurde, solange sie noch im Mutterleib waren, von ihrer Geburt an mindestens die kommenden achtzehn Jahre der Person zu überantworten, der die vorangegangenen Monate nicht einmal eine eigenverantwortliche Entscheidung zugetraut wurde?
Schon jetzt werden viel zu viele Kinder vernachlässigt, viel zu viele Eltern mit ihrer Überforderung alleingelassen. Wer für Kinder einstehen will, sollte bei denen anfangen, die schon auf dieser Welt sind. Denn auffallend an der Argumentation von Abtreibungsgegner*innen ist generell, dass der Einsatz für das Kindeswohl oft an der Stelle endet, an der das ungeborene Leben zum geborenen wird.
Und wenn sie ihre Haltung noch so oft damit begründen wollen, dass Leben niemals zur Abwägung stehen dürfe, so wirkt es faktisch, als stellten sie das ungeborene Leben über das geborene Leben, sowohl über das der Mutter als auch über das der Kinder. Denn es ist eine Sache, ungeborenes Leben schützen zu wollen – aber sollten nicht alle Kinder, die geboren werden, ein Recht auf gutes Leben haben? Sollten sie nicht in einer Umgebung aufwachsen, in der für sie gesorgt werden kann, in der sie geliebt und gewollt sind?
Wer sich nicht zutraut, das zu gewährleisten – was vollkommen legitim ist – muss sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden dürfen. Auch das bedeutet Kindeswohl.
Abtreibungsgegner*innen sollten sich als vor allem eines fragen: Geht es wirklich um das Wohlergehen von Kindern oder geht es darum, Kontrolle über weibliche Körper auszuüben?
Eine medizinische Behandlung, keine Straftat
Nun kennen wir zwar die Normen und die Rechtsprechung, die den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland regeln. Inwieweit die vorausgegangenen Ausführungen nötig waren, um die Lage zu verdeutlichen, ist aber eine andere Frage: Denn abseits aller dogmatischen Spitzfindigkeiten ist es schon Signal genug, den Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch zu erfassen – und das auch noch im Abschnitt »Straftaten gegen das Leben« mit Totschlag (§ 223) und Mord (§ 211) in der Nachbarschaft.
Das Strafrecht ist das letzte Mittel des Staates und zugleich sein »schärfstes Schwert«. Daraus folgt auch, dass strafrechtlich relevanten Handlungen eine besondere Qualität zukommen muss, die es rechtfertigt, sie unter Strafe zu stellen – bloße moralische Missbilligung darf nie zu Strafbarkeit führen. Eine verbreitete Lehre stellt an Strafgesetze den Anspruch, dass sie dem Schutz eines Rechtsguts zu dienen haben. Die Strafbarkeit des Diebstahls (§ 242 StGB) ist demnach auf den Schutz des Eigentums zurückzuführen, die Strafbarkeit des Totschlags auf den Schutz des Lebens und die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs wie erläutert auf den Schutz des ungeborenen Lebens. Aber: Dieses Rechtsgut beruht auf einer Ideologie; es stützt sich auf die religiöse Vorstellung, dass das Leben mit der Zeugung beginnt und ab dann bedingungslos geschützt werden müsse. Sieht so die Trennung von Staat und Kirche aus?
Ein weiteres gefälliges Argument für die §§ 218 ff. ist das Modell der »positiven Generalprävention«. Demnach verfolgt ein Strafgesetz mit seiner Existenz und Anwendung den Zweck, das Rechtsempfinden der Gesellschaft zu stärken und für den Schutz des Rechtsguts zu sensibilisieren. Das heißt für unseren Fall: Abtreibung muss grundsätzlich strafbar und rechtswidrig sein, damit die Gesellschaft sie nicht als »normal«empfindet. Doch genau das – die Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – muss unser Ziel sein. Dadurch droht nicht der Verfall aller Sitten, sondern nur dadurch können die bestehenden Missstände beseitigt werden.
Denn was bewirken die § 218 ff. StGB nun durch ihre Existenz und Anwendung konkret?
Der seelische Druck, der bei einer ungewollten Schwangerschaft ohnehin entsteht, wird durch sie nur noch verstärkt. Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt dazu, dass Abtreibungspatient*innen das Gefühl haben, sich rechtfertigen zu müssen, dass sie Scham- und Schuldgefühle empfinden und ihre Erfahrungen deshalb oft verschweigen. Im Netz finden sich Berichte von Frauen, die herablassend oder vorwurfsvoll behandelt wurden, die sich durch die Vorgaben gedemütigt und entmündigt gefühlt haben.
Denn oft können Schwangere sich die behandelnden Praxen für den Abbruch nicht einmal frei aussuchen, sondern müssen selbst mit Ärzt*innen vorliebnehmen, bei denen sie sich nicht gut aufgehoben fühlen – schlicht, weil sie froh sein müssen, überhaupt eine Praxis gefunden zu haben, die Abtreibungen durchführt. Von einer flächendeckenden medizinischen Versorgung sind wir in dieser Hinsicht meilenweit entfernt, in ganz Bayern sind nur vereinzelt Standorte bei der Bundesärztekammer gelistet.
Zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Voraussetzungen müssen die Schwangeren also auch noch kilometerweite Anfahrten in Kauf nehmen, all das innerhalb der 12-Wochen-Frist. Niederbayern und die Oberpfalz sind mit ihrer ländlichen Struktur in dieser Hinsicht beides Problemregionen. Laut Pro Familia könne in Regensburg und Landshut nur medikamentös abgebrochen werden, wofür sich die Frist aber auf neun Wochen verkürzt – und in Passau verbietet allen Ernstes ein Stadtratsbeschluss dem städtischen Klinikum, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. (Weite Wege zum nächsten Arzt: Abtreibungen in Bayern erschwert | BR24)
Den Gynäkolog*innen selbst kann das jedoch kaum übelgenommen werden: Durch die Ausgestaltung der §§ 218 ff. wandeln sie bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen eigentlich immer am Rande der Strafbarkeit; niemand muss sich wundern, wenn Ärzt*innen dadurch verunsichert und abgeschreckt werden. Noch dazu sind Bedrohungen und Anfeindungen von Abtreibungsgegner*innen bei dieser Arbeit keine Seltenheit.
Eine mögliche Lösung für den Versorgungsengpass: Das Thema im Medizinstudium intensiver und verpflichtend behandeln – momentan wird es bestenfalls lückenhaft gelehrt. (Hoffnung machen einige Online-Artikel, denen zufolge Medizinstudierende die Sache selbst in die Hand nehmen und Abbruchsmethoden an Papayas üben.)
Auch das Verordnen einer dreitägigen »Bedenkzeit« ist genauso wie die verpflichtende Beratung problematisch. Ihre Befürworter*innen berufen sich gerne auf die Sorge um die Schwangere, die vor einer falschen Entscheidung bewahrt werden müsse, vor einem übereilten Handeln, das sie später bereuen würde. Grundsätzlich wird sich häufig um die psychischen Langzeitfolgen einer Abtreibung gesorgt. Jens Spahn plante 2019 fünf Millionen Euro in eine darauf angelegte Studie zu investieren. Das erwünschte Ergebnis ist dabei wohl grundsätzlich Bedauern, ein Hätt-ich’s-doch-behalten-Gefühl, das ungewollt Schwangeren in Aussicht gestellt werden kann. Tatsächlich überwiegt einer amerikanischen Studie zufolge fünf Jahre nach einer Abtreibung bei den meisten Befragten die Erleichterung (nachzulesen unter https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/amerikanische-studie-untersucht-wie-es-frauen-fuenf-jahre-nach-einer-abtreibung-geht-16588752.html).
Natürlich leiden auch manche unter dem Abbruch ihrer Schwangerschaft und sicher sehen ihn auch einige rückblickend als falsche Entscheidung an – aber es muss auch ein Recht auf falsche Entscheidungen geben. Ein vorherrschender Gedanke in unserer Gesellschaft ist, dass jede*r für das eigene Glück verantwortlich sei. Warum sind es erneut die Schwangeren, denen davon abweichend eine autonome Entscheidung nicht zugetraut wird? Wer Bedenkzeit braucht, nimmt sie sich. Für schon Entschlossene sind es dagegen drei zusätzliche Tage in einem ungewollten körperlichen Zustand. Und: Je später der Eingriff, desto riskanter ist er.
Angesichts dieser Gesetzessystematik drängt sich vor allem ein Verdacht auf – dass hier versucht wurde, Abtreibungen zu verhindern, indem Schwangeren der Zugang schlicht so schwer wie rechtsstaatlich möglich gemacht wird.
My body, my choice – your body, your choice
Um also die Eingangsfrage zu beantworten: Unsere Abtreibungsregelungen sind nicht liberal, sie sind das Mindeste. Sie zeugen weder von Gleichberechtigung noch von Selbstbestimmung. Der freiwillige Schwangerschaftsabbruch muss entkriminalisiert werden, das heißt die §§ 218 ff. müssen aus dem Strafgesetzbuch verschwinden.
Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das hoffentlich Reformen anstößt, wird noch einige Zeit vergehen. In näherer Zukunft, nämlich im September 2021, steht allerdings die Bundestagswahl an. Es bleibt abzuwarten, ob die §§ 218 ff. StGB sich bei manchen Parteien im Wahlprogramm wiederfinden werden; Ausschau halten lohnt sich.
Bis es zu Änderungen kommt, müssen wir uns eins klarmachen: Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen schafft und begünstigt zwar ein Stigma, aber wir können dieser Stigmatisierung entgegenwirken, indem wir uns informieren und dazulernen, auch wenn uns das Thema nicht unmittelbar betrifft – und vor allem indem wir uns nicht anmaßen, über die Körper anderer Menschen entscheiden zu können.
Darum möchte ich euch zum Abschluss noch einige Links ans Herz legen, die zu weitergehenden Informationen führen.
– profamilia.de: Schwangerschaftsabbruch (Detaillierte Informationen zu Ablauf und Methoden des Schwangerschaftsabbruchs)
– Schwangerschaftsabbruch: Immer noch ein Tötungsdelikt (lto.de) (Rechtliche Hintergründe)
– KATAPULT – Wer abtreiben will, macht es auch illegal (katapult-magazin.de)
– Teresa Bücker über Abtreibung – SZ Magazin (sueddeutsche.de)
– Kristina Hänel über Paragraf 219a: „Das Tabu ist gebrochen“ – taz.de
– Spotify – How to Schwangerschaftsabbruch – Weibers | Podcast auf Spotify
Beitragsbild: © Zuza Galczynska on Unsplah