Wohnsinn-Kolumne: Wann sind wir eigentlich erwachsen?
Der nebelige und graue Winter im Lockdown geht auch an mir nicht spurlos vorbei und treibt mich immer wieder in endlose Gedankenspiralen über kleine und große Fragen des alltäglichen Lebens. Letzte Woche fragte ich mich plötzlich, ab wann man eigentlich erwachsen ist und ob wir Student*innen uns überhaupt zu dieser Gruppe dazuzählen können – oder wollen.
von Paula Kühn
Als ich letzte Woche auf meinem Weg ins Bad durch unsere WG-Küche schlurfte, stand dort das Fenster weit geöffnet – und so fühlte ich mich, als würde ich in einem schneebedeckten Wald stehen und nicht in unserer sonst so gemütlichen Küche. Bibbernd schloss ich das Fenster und grummelte: »Wir heizen doch nicht für draußen!« Kaum war mir der Satz über die Lippen gekommen, hielt ich kurz inne und musste lauthals über mich selbst lachen – denn genau diese Worte hatte ich als Kind regelmäßig in tadelnden Ton von meiner Mutter zu hören bekommen. Und jetzt sagte ich sie selbst?
Plötzlich fielen mir noch viel mehr Situationen ein, die für mich jahrelang »typisch für Erwachsene« waren und in denen ich mich seit einiger Zeit immer öfter selbst wiederfand: Seit einigen Wochen schmeiße ich meinen Mantel nicht einfach auf die Garderobe, wenn ich die Wohnung betrete; ich nehme mir tatsächlich einen Kleiderbügel und hänge Jacke, Schal und Mütze ordentlich darüber. Auch die wöchentlichen Aufgaben für eines meines Uniseminare habe ich die letzten Wochen nicht wie früher bis auf den Abend vor der Abgabe verschoben, sondern (meistens zumindest) bereits einige Tage vorher fertig geschrieben.
Andererseits passiert es mir auch regelmäßig, dass ich morgens – leicht verkatert – über den, nach dem gestrigen Abend nicht aufgeräumten, Bierpong-Tisch im Gang stolpere – das gehört dann wohl doch eher nicht zum Alltag eines Erwachsenen.
Während der Schulzeit war »volljährig werden« immer etwas ziemlich Großes: Wochenlang habe ich darauf hin gefiebert, endlich 18 zu werden. Endlich das Tun und Lassen, was man selbst möchte: Flugtickets buchen, weit nach Mitternacht nach Hause kommen, alleine Autofahren. Kurz: frei sein.
Jetzt, fast drei Jahre später ist diese Freiheit zur Gewohnheit geworden: Wenn ich heute an das Erwachsenen-Dasein denke, sehe ich vor meinem inneren Auge erstmal jede Menge Rechnungen und Hausarbeit. Ist es denn überhaupt so erstrebenswert, erwachsen zu werden, wie man als Jugendliche*r immer glaubt? Wenn man daran denkt, wie leicht Kinder zu begeistern sind, wie bewundernd sie durch die Welt gehen. Da reicht ein Schlüsselbund, um Staunen zu erregen – als Erwachsene*r muss man für eine solche Begeisterung schon mindestens auf dem Eiffelturm stehen.
Als ich mit meinen Gedanken schließlich nicht mehr alleine sein wollte, ging ich zurück in die Küche, wo sich meine drei Mitbewohner*innen gerade Kaffee kochten und Plätzchen naschten. »Was meint ihr, ab wann ist man erwachsen?« fragte ich in die Runde. Ellen sah mich etwas verwirrt an, grinste und meinte knapp und trocken: »Ab 30.« Dann schnappte sie sich ihre Tasse und war wieder in ihrem Zimmer verschwunden. Perplex blickte ich zu Anton, der sich das Lachen zwar kaum verkneifen konnte, sich aber doch erbarmte, kurz zu überlegen, um mir eine vernünftige Antwort zu geben: »Wenn man sich nicht vor seinen Verpflichtungen drückt. Verantwortung übernimmt.« Er erhob sich und seufzte: »Erwachsen sein ist anstrengend.«
Juli zuckte mit den Schultern und meinte pragmatisch: »Ganz einfach: Wenn man sich erwachsen fühlt.« Dann verschwanden auch die beiden Jungs in ihre Zimmer, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen.
Ich beschloss daraufhin, eine kleine Internetrecherche zu starten; und es ist wirklich kaum zu glauben, wie viele Meinungen und Definitionen es zum Thema »Erwachsen werden« gibt! Der Duden zum Beispiel gibt als Synonyme »reif « und »selbstständig« an – recht ähnlich zur Antwort meines Mitbewohners. Nachdem ich mich durch weitere Beiträge geklickt hatte, blieb ich schließlich bei einem Artikel von ZEIT Campus hängen, der folgende Erklärung gab: Der präfrontale Cortex im Gehirn, der Teil, welcher zuständig für Impulskontrolle und langfristiges Denken und welcher Emotionen verarbeitet, sei im Schnitt im Alter von 25 Jahren ausgereift. »Mit Blick aufs Gehirns kann man also sagen, kann man also sagen: Wir sind erwachsen, wenn wir unsere Impulse kontrollieren.«
Und was heißt das jetzt für uns? Erwachsen oder Kind? Ehrlich gesagt glaube ich, die Wahrheit liegt ein bisschen in beidem: Als Student*innen sind wir in einer ganz komischen Zwischenphase, eine Mischung aus Erwachsen-Sein und chaotischem/r Teenager*in, irgendwo zwischen Trinkspielen und Bewerbungsgesprächen.
Es hat ja durchaus jede Menge positive Seiten, erwachsen zu werden: Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, überlegter zu handeln, ordentlicher zu sein – und es ist etwas, dem wir nicht auskommen und viel wichtiger auch nicht auskommen sollten.
Trotzdem: Ganz verlieren will ich das weltbegeisterte Kind in mir nicht. Denn auch wenn mich kein Schlüsselbund mehr zum Staunen bringen kann, will ich auch in zehn Jahren noch glänzende Augen bekommen, wenn draußen plötzlich alles wunderschön mit Schnee gezuckert ist oder es Lasagne zum Abendessen gibt.
Die Wohnsinn-Kolumne macht jetzt erst einmal Weihnachtspause – am 08. Januar erwarten euch dann neue Erzählungen aus Hannahs Wohnalltag!