Wohnsinn: Creepy Ebay-Einkäufe
Boah, ein neuer vintage-handbemalter Keramikübertopf für meine Monstera Deliciosa wäre doch richtig nice. Wobei ich eine blinkende Lichterkette mit dezentralem Licht, die per Sprechsteuerung ein- und ausgeschaltet werden kann, auch gut gebrauchen könnte. Und wo findet man solche überlebenswichtigen Konsumgüter? Genau. Ebay-Kleinanzeigen.
von Anna-Lena Brunner
Wer kennt es nicht? Dieses unangenehm nervige Jucken im Zeigefinger, wenn frau nachts um 3 Uhr durch Ebay-Kleinanzeigen scrollt. Plötzlich stolpert frau über einen quietsch-pinken Gymnastikball, der ja so ergonomisch fantastisch sein soll für Leute, die viel am Schreibtisch hocken. Das Jucken wird unausstehlich. Wenige Sekunden später hat frau ein rosa Ungetüm für einen Wahnsinnspreis von läppischen zehn Euro erstanden. Dabei fühlt sie, wie sich die Wirbelsäule schon allein in freudiger Erwartung auf den pinken Ball begradigt.
Der nächste Morgen: Frau macht sich ready und tritt die Reise zur Abholung ihrer neuen Sitz- und Witzgelegenheit an. Mit dem Bus fährt sie durch die Stadt, immer weiter und weiter, bis sie an einer Plattenbausiedlung am Stadtrand ankommt. Ihr wird ein bisschen mulmig zumute. Sie hat niemandem Bescheid gesagt, wo sie ist und was sie macht. Was wenn die Verkäufer-Person komisch ist? Das Profil hat ganz gute Bewertungen. Allerdings findet sich bei den angebotenen Waren noch ein angerosteter Duschkopf sowie ein staubiger Nerzmantel von 1970. Das erweckt nicht unbedingt einen vertrauenserweckenden Eindruck. »Jetzt reiß dich zusammen!«, denkt sie sich und verlässt die Haltestelle in Richtung der angegebenen Adresse.
Sie steht vor dem vermutlich richtigen Haus und drückt ein abgenutztes Klingelschild. Nach wenigen Sekunden betritt sie das mehrstöckige Wohngebäude. Ein Mann öffnet ihr die Tür. Er ist klein, untersetzt und hat sich die wenigen fettigen Haare einmal quer um den Kopf gebürstet. Die Wohnung riecht nach Kohl und abgestandenem Bier. Ihr Herz klopft schneller. Nachdem der Kauf abgewickelt ist, denkt sie sich: »Nichts wie weg hier!« Im Bus nach Hause wird ihr bewusst, dass ja gar nichts passiert ist, aber etwas hätte passieren können. Konjunktiv.
Als weibliche Person denkt man in solchen Situationen immer im Konjunktiv. Was könnte passieren? Wäre es möglich, dass … ? Müsste ich vorsichtiger sein? Frau bewegt sich automatisch in eine Habachtstellung, jederzeit bereit, wenn nötig, die Flucht zu ergreifen. Frau weiß ja nie, was passieren könnte (schon wieder Konjunktiv!). Immer ist es dabei die Frau, die sich anpassen muss. Vorsichtiger sein. Aufpassen, wie sie sich anzieht, wie sie sich gibt. Die nicht in irgendwelche abgelegenen Siedlungen fahren soll, um dort einen unwichtigen Gymnastikball zu kaufen.
Dabei fragt man*frau sich doch: Müssten sich nicht eigentlich die Strukturen ändern, in denen wir leben? Darf eine weibliche Person nicht genauso unbekümmert nachts durch den Park joggen, wie eine männliche das tut? Sollte man*frau nicht nach Herzenslust den Ebay-Käufe tätigen dürfen, ohne dabei Angst vor creepy Verkäufern haben zu müssen? Die Antwort lautet: ja. Weibliche Personen sollten genau dieselben Freiheiten haben dürfen, wie männliche. Das konstituiert nämliche eine Gesellschaft, in der vollkommene Gleichberechtigung herrscht.
Übrigens ist die oben erzählte Geschichte wahr. Und nicht nur diese eine. Aus Sicht einer weiblichen Person kann ich behaupten, dass sich eben jene ständig über unangenehme Situationen, die sie vorsichtig und angespannt navigieren müssen, austauschen. Patriarchale Machthierarchien existieren überall und ständig. Unterschwellig, aber auch ganz offen. Leider auch bei so etwas banalem, wie mutmaßlich spaßigen, doch leider oft auch creepy Ebay-Einkäufen.
Nächste Woche gibt’s wieder einen Wohnsinn von Laura. Freut euch drauf!
Beitragsbild: © Markus Lenk on Unsplash