»Colors«, Piano und Elektronik – Musik fürs Universum?
Eigentlich hätte in diesen Tagen die Clubtour von Christopher von Deylen stattfinden sollen – coronabedingt wurde sie auf den April verschoben. Dennoch gibt es keinen Grund, als Fan traurig zu sein, denn am 16. Oktober ist von Deylens erstes Soloalbum »Colors« erschienen. Und das ist definitiv hörenswert, meint unsere Redakteurin Yvonne Mikschl, ohne große Kritik zu äußern.
Eigentlich ist es schon interessant zu sehen, wie manche Musiker zu dem gekommen sind, was sie heute machen. Die Rolle der musikalischen Früherziehung spielt dabei oft eine entscheidende Rolle. Doch kann man überhaupt im Musikbusiness erfolgreich sein, wenn die Freude an einem Instrument damit jäh endet, dass jemand hereinspaziert, um es einem beizubringen? Dass das geht, beweist Christopher von Deylen als SCHILLER mittlerweile seit über zwanzig Jahren (wie bereits berichtet). Nun versucht er etwas Neues: eine Symbiose aus den leisen Tönen eines Klaviers und den elektronischen Klängen seiner Synthesizer. Das Ergebnis ist am 16. Oktober 2020 unter dem Titel »Colors« erschienen – oder eine mögliche Freundschaft zwischen ihm und einem Piano.
Die Grundlage: eine Konzerttour
Es kommt einem, wenn man sich das auf der Blu-ray Disc befindliche Abschlusskonzert in Leipzig vom März ansieht, schon wie eine halbe Ewigkeit vor, dass es mal Livemusik gegeben hat. Und es ist eigentlich eine Freude zu sehen, wie die Tracks, die Christopher damals spielte, beim Publikum ankamen. Obwohl, wie er auf dem Konzert in Berlin verraten hat, »ich noch viel weniger wusste als ihr, was auf euch zukommt« (mit »euch« meinte er das Publikum des ausverkauften Columbia-Theaters in Berlin). Weniger Synthesizer als auf einer SCHILLER-Bühne ein Flügel, um den zu Anfang der Tour eine Kiste gebaut wurde, in die man auch einziehen könne, wie der Musiker am Rande erwähnt, und Christopher von Deylen – mehr braucht es auch nicht, um einen schönen Abend zu haben, wie sich bald zeigte. Und der Jubel der Fans gab ihm Recht. Umso trauriger ist es nun, dass die Konzerte für den Herbst auf April 2021 gelegt werden mussten – wegen Corona.
»Colors« und Corona
Eigentlich stand die Veröffentlichung von »Colors« nicht wirklich unter einem guten Stern. Das letzte Konzert der Tour, die übrigens fast komplett ausverkauft war, fand fast genau eine Woche vor dem deutschlandweiten Corona-Lockdown statt. Von Deylen nutzte die Zeit, um die Titel zu überarbeiten, während im Laufe des Frühsommers langsam klar wurde, dass die geplanten Konzerte im Oktober und November coronabedingt abgesagt werden müssen – den SCHILLER-Konzerten auf der Festung Königsstein ereilte übrigens das gleiche Schicksal. Doch von Deylen geht nicht nur musikalisch neue Wege: Die Single-Premieren liefen über die sozialen Netzwerke als Streaming-Premieren. Und da eine persönliche Begegnung mit den Fans in Form eines Release-Events ebenfalls nicht stattfinden konnte, gab Christopher von Deylen seinen Fans die Gelegenheit, mit ihm über WhatsApp in Kontakt zu kommen und zum Album Fragen zu stellen – fast schon eine Einmaligkeit.
Musik der Spiritualität?
Blickt man auf die Songs, die von Deylen unter seinem Musikprojekt SCHILLER veröffentlich hat, stellt man bald fest, dass Klaviertöne zwar vorkommen, jedoch nehmen sie im breiten Klangteppich der elektronischen Musikerzeugung nur einen kleinen Part ein. Es stellt sich nun zum einen die Frage, warum man das ändern sollte und das Klavier in den Fokus rücken sollte, zum anderen erscheint es komisch, dass das Album »Colors«, nicht unter dem Namen SCHILLER erscheint. Für beides gibt es von Christopher von Deylen eine Erklärung:
»Vor einiger Zeit hab ich das Gefühl gehabt, dass ich mit dem Klaviersound etwas machen möchte, etwas Spezielles und etwas sehr fokussiertes, und irgendwie passte das nicht so zu SCHILLER, wie ich mir das vorgestellt habe, und habe deswegen überlegt, das unter einem anderen Namen zu machen. Mir ist aber kein anderer Name [für das Projekt] eingefallen, dann hab ich mich daran erinnert, dass ich ja auch einen eigenen Namen habe, den ich entsprechend dafür verwendet habe.«
Damit steht das Wichtigste fest: »Colors« gehört nicht zum SCHILLER-Universum (auch wenn es manche Elektronikmärkte vielleicht so sehen), es gehört zu Christopher selbst. Warum heißt das Album, das zufälligerweise einen Tag nach Christopher von Deylens Geburtstag erschienen ist, nun »Colors«? Ist der Albumtitel in Bezug auf Titelbezeichnungen wie »Infinity«, »Euphoria« oder »Free« eher auf seelische Farben bezogen? Darauf gibt von Deylen die Antwort im Release-Chat mit den Fans:
»Der Titel ›Colors‹ eher als ein ganz allgemeiner Sonnenschirm von Emotionen gedacht, denn es gibt ja ganz verschiedene Farben und da kann sich jeder, glaube ich, ein eigenes Segment heraussuchen, was für ihn jeweils passend erscheint. Ich finde, dass die [rein instrumentalen] Stücke […] vielleicht ein ganz bisschen mehr Emotionen bereithalten können.«
Trotzdem: Hört man sich die Tracks im laufenden Durchgang an, erkennt man durchaus Ansätze, die in die spirituelle Richtung tendieren. Besonders die Obertonschwingungen des Klaviers, die neben dem Grundton als eine vielfache Frequenz mitklingen, sind besonders deutlich in den Basstönen des Stücks »Arco Iris« und im Live-Titel »Ocean Machine« zu hören. Zudem ist das Album durch einen gewissen Minimalismus geprägt, der sich im wenigen Einsatz von elektronischen Instrumenten in genau diesen Stücken erkennbar wird. Eine Erklärungsmöglichkeit gibt von Deylen selbst: »Und ›Colors‹ ist ja schon fast ein universeller Titel eigentlich und so ein ganz bisschen hab ich vielleicht versucht, Musik zu machen fürs Universum.«
Piano meets Elektronik – mit wenigen Schwachpunkten
Zurück zum Ausgangspunkt Piano meets Elektronik. Musikalisch bewegt sich Christopher von Deylen für sein erstes Soloalbum auf einem hohen Niveau. Mal dominiert das Piano wie in »She never told him her Name«, mal die Elektronik. Helle und dunkle Klangfarben wechseln sich ab. Dynamik kreiert der Synthesizer, einfache, aber bestimmte Melodien erzeugen die Emotionen. So auch in den Songs der Live-CD, die in einigen Punkten erst mit den visuellen Konzertaufnahmen auf der Blu-ray zur Geltung kommen (zumindest bei vorherigem Konzertbesuch). Nicht zu vergessen die sphärischen, elektronisch erzeugten Frauengesängen, die besonders im Mittelteil von »Euphoria«, einem Stück, das sowohl live als auch als Studioversion überzeugen konnte, besonders deutlich zu hören sind. Der einzige wirkliche Kritikpunkt an »Colors« besteht im abrupten Abbruch im letzten Track »Hotel Esperanza« – mit der Albumlänge kann es nichts zu tun haben, denn die Studio-CD ist um ganze zehn Minuten kürzer als die Konzert-CD. Dieses harte Ende der CD ist deswegen Christopher von Deylen auf der Studio-CD anzukreiden, da es zum Konzept »Musik fürs Universum« nicht passt. Jedoch zieht das das Album nicht wirklich nach unten und von Deylen wird seine Gründe haben.
Fazit: »Colors« ist thematisch ein Album, dass Hoffnung in dunklen Zeiten schenkt und definitiv Musik fürs Universum darstellt. Nicht nur die persönliche Hoffnung, die Corona-Krise heil zu überstehen. Auch die Hoffnung für Christopher und die Fans, dass baldmöglichst Konzerte wieder stattfinden können. Und wer weiß, vielleicht erscheint bald ein neues Album unter dem Namen Christopher von Deylen, das an den aktuellen Erfolg von »Colors« anknüpfen kann. »Was daraus wird, weiß ich nicht genau. Das ist auf jeden Fall erstmal ein Album, was ich ausprobieren möchte und wo ich mich ausprobieren kann als Christopher von Deylen.« Wünschenswert wäre es, denn die Freundschaft zwischen der Elektronik und dem Piano hat gerade erst begonnen.
Anmerkung: die Autorin hatte selbst die Gelegenheit, am Release-Chat teilzunehmen und das erwähnte Konzert in Berlin zu besuchen.
Quellenangabe des Titelbildes: https://www.semmel.de/_wpframe_custom/gallery/files/pianoundelektronik-174-2712190920//b_christophervondeylen_colors_coverjpg_1600850132.jpg