Von einem Amerikaner gekauft, von ihrer Kultur verstoßen und von ihrem Leben traumatisiert

Das Theater Regensburg zeigt mit »Madama Butterfly« ein Meisterwerk der Operngeschichte – eine Geschichte über Liebe, Macht und Missbrauch.
Von Mia Fritzsche und Anne Nothtroff
Die Regisseurin Juana Inés Cano Restrepo will klassische Opern neu erzählen – aus einer heutigen Perspektive und mit besonderem Augenmerk auf bisher ungehörte Stimmen. In ihrer Inszenierung von »Madama Butterfly« lädt sie das Regensburger Publikum dazu ein, einer jungen Frau zuzuhören, die ihre Geschichte selbst in den Mittelpunkt stellt: Die Geschichte von Cio-Cio-San (Theodora Varga), auch Madama Butterfly genannt, die von dem älteren amerikanischen Marineoffizier Pinkerton (Carlos Moreno Pelizari / Hany Abdelzaher) für eine arrangierte Ehe »gekauft« wird. Für ihn ein exotisches Abenteuer, für sie die große Liebe. Als Pinkerton abreist und sie nach Jahren vergeblichen Wartens erkennt, dass Pinkerton zurückkehrt, um ihr das gemeinsame Kind zu nehmen, wird ihr Schicksal zum Sinnbild kolonialer Arroganz und zerbrechender Illusionen.
Die Oper zeigt auf eindrückliche Weise menschliches Leiden und Verlassen werden. Dabei ist sie vor allem eines: Nahbar und menschlich – denn bei den Bühnenfiguren Puccinis handelt es sich nicht um Fantasiewesen wie Elfen und Zwerge, sondern um reale Menschen.

Haus zu verkaufen – eine Frau ist inklusive
Das vielfältig aufgestellte Ensemble überzeugt in vielerlei Hinsicht. Theodora Varga beeindruckt in der Rolle von Madama Butterfly nicht nur mit einer ausdrucksstarken musikalischen Präsenz, sondern auch mit einer überzeugenden Darstellung der Emotionen, die die Protagonistin durchlebt.
Die Zofe Suzuki (Svitlana Slyvia) verkörpert das rational-mütterliche Gegenstück zur emotionalen Madama Butterfly. Diese Mütterlichkeit kommt nicht von irgendwo, Madama Butterfly ist zarte 15 Jahre alt. Diesen Fakt, so betont die Regisseurin bei der Matinee mehrmals, sollte dem Publikum im Laufe des Stücks immer wieder vor Augen geführt werden. Dafür lässt sie in den Schlüsselszenen eine jugendliche Statistin (Anja Kempa) in Madama Butterflys gelbem Gewand über die Bühne schreiten. Dieser Kunstgriff kann bei einigen Zuschauenden zunächst für Irritationen sorgen. Am Ende des ersten Aktes zeigt er jedoch seine volle Wirkung, als Pinkerton sich mit einer bedrohlichen Ruhe zu einer jungen ängstlichen Cio-Cio-San an die Bettkante setzt, während der Vorhang fällt.
Das Bühnenbild beeindruckt nicht nur mit seiner Ästhetik, sondern greift auch thematisch etwas auf: Auf der Außenfassade des Hauses treffen mehrere übereinanderliegende Farbschichten sichtbar aufeinander – so wie in der Handlung verschiedene Kulturen, Perspektiven und Machtverhältnisse kollidieren. Es geht nicht nur um das tragische Schicksal einer einzelnen Frau, sondern auch um die Überschneidungen von persönlichen und politischen Ebenen – um kulturelle Missverständnisse, imperiale Ausbeutung und die Komplexität menschlicher Beziehungen.
Auch die traumatischen Erlebnisse sind sowohl in der Partitur der Oper als auch im Bühnenbild sichtbar. Die Beleuchtung der Bühne färbt sich rot, wenn sich eine Zuspitzung der Handlung abzeichnet und gibt somit ein Einblick in das Seelenleben der Protagonistin.

Auch in der Kostümierung spielt die Farbwahl eine große Rolle. Die Lager sind klar definiert: Madama Butterfly und ihre Zofe Suzuki tragen beide helles gelb, während Pinkerton und seine amerikanische Frau (Henriette Schein) in militärischem grün gekleidet sind. Der dieberische Kuppler Goro (Paul Kmetsch) sowie der Fürst Yamadori (Christian Schossig), der die Madama Butterfly zur Frau nehmen möchte und die Erinnerung an den Tod ihres Vaters, die sie verfolgt, tragen rote Gewänder. Was die junge Cio-Cio-San hier bedroht, ist zweierlei: Die amerikanische Kultur, die sie als Japanerin nicht ernstnimmt und die japanische Kultur, die sie als Frau nicht ernstnimmt.
Leider keine Tragödie
Die Uraufführung von Madama Butterfly 1904 ist nun schon über 100 Jahre her, die Handlung immer noch tagesaktuell. Wer den Worten von Roman Polanski Glauben schenken mag, der weiß “alle wollen junge Mädchen ficken.” und das auch noch im 21. Jahrhundert. Und so beschreibt Puccini mit Madama Butterfly das Schicksal eines gefickten Mädchens, einer gebrochenen Frau. Von einem Amerikaner gekauft, von ihrer Kultur verstoßen und von ihrem Leben traumatisiert: Wir schauen keiner tragischen Heldin zu, die aus freien Stücken ihrem Ende entgegengeht, wir sind Zeugen eines Mordes an einer starken jungen Frau.
Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (https://www.theaterregensburg.de/produktionen/madama-butterfly.html)
Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.
Titelbild © Marie Liebig