Eine Komödie über eine Einheit, die keine ist.

Eine Komödie über eine Einheit, die keine ist.
Das Theater Regensburg bringt Jurek Beckers Ost-West-Satire auf die Bühne – und zeigt, dass die Wiedervereinigung mehr Spuren hinterlassen hat, als mancher wahrhaben will.

Von Anne Nothtroff

Wenn junge Menschen an die Wiedervereinigung denken, haben sie oft ikonische Bilder vor Augen: Jubelnde Menschen auf der Berliner Mauer, begleitet vom Soundtrack »Wind of Change«. Doch diese Erinnerungen zeigen nur eine Seite der Geschichte – sie lassen die Herausforderungen und Fehler, die den Prozess der Wiedervereinigung begleiteten, leicht in Vergessenheit geraten.

Mit dem neuen Stück »Wir sind auch nur ein Volk« wirft das Theater Regensburg einen differenzierteren Blick auf diese Zeit und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit. Gerade in Zeiten, in denen Wahlergebnisse zeigen, wie präsent die innerdeutschen Unterschiede noch immer sind, ist es notwendig, sich dieser Thematik zu widmen.

Das Stück basiert auf den Drehbüchern der gleichnamigen TV-Serie von Jurek Becker und wurde von Antje Thoms für die Bühne adaptiert und gekürzt. Damit fügt es sich nahtlos in das Spielzeitmotto ENTFERNUNGEN ein – ein Motto, das unter anderem räumliche, emotionale und gesellschaftliche Distanzen in den Fokus rückt.

So anders ist es im Osten gar nicht

Der westdeutsche Drehbuchautor Anton Steinheim (Guido Wachter) erhält den Auftrag, eine Fernsehserie über die Wiedervereinigung zu schreiben. Doch es gibt ein Problem: Er hat keinerlei Berührungspunkte mit Menschen aus dem Osten. Um sich ein authentisches Bild zu machen, wird die Ostfamilie Grimm als Studienobjekt angeheuert, und Steinheim ist für einige Wochen ein Teil ihres Alltags. Schnell merkt er jedoch, dass er keine spektakulären Enthüllungen macht, sondern vielmehr Alltagssituationen beobachtet. Denn auf den ersten Blick scheint das Leben im Drei-Generationen-Haushalt der Grimms gar nicht so anders zu sein als im Westen: Eltern streiten mit ihrem rebellischen Sohn Theo, der sein Philosophiestudium abgebrochen hat, während der Großvater sich unerwünscht fühlt und beklagt, er werde wie »Friedhofsgemüse« behandelt.
Doch die Grimms erkennen bald, dass sie ihren Alltag interessanter gestalten müssen, wenn die Recherche – und damit auch die Bezahlung – weitergehen soll. Das Geld kann die Familie um den arbeitslosen Dispatcher Benno (Thomas Mehlhorn) gut gebrauchen. Also beschließen sie, alte Familienkonflikte aufleben zu lassen und bewusst ostdeutsche Klischees zu bedienen. So gibt es selbstgebrannten Obstler zu dem Song »Alles wird besser«, FKK am Sonntag und nostalgische Anker-Steinbaukästen.
Das Bühnenbild lässt den Zuschauenden nicht nur in das Geschehen eintauchen, sondern auch in die Zeit: Auf der Leinwand im Hintergrund laufen Original DDR Clips. Mit einer Kamera wird live auf der Bühne gefilmt und direkt auf die Leinwand übertragen. So kann man auch kleinste Reaktionen, Mimik und Gestik des hervorragend spielenden Ensembles live auf der Leinwand verfolgen.

Thomas Mehlhorn, Kathrin Berg, Michael Haake, Gerhard Hermann & Guido Wachter © Sylvain Guillot

Das Nachgespräch im Anschluss an die Vorstellung zeigt: Die Darstellung der Ostdeutschen kann man durchaus ambivalent aufnehmen. Werden sie hier ins Lächerliche gezogen oder bekommen sie endlich eine eigene Stimme? Dramaturgin Maxi Ratzkowski betont, das Stück drehe die üblichen Machtverhältnisse um – es sind die Ostdeutschen, die den Humor bestimmen. Sie entscheiden, wann gelacht wird und welche Klischees inszeniert werden. Damit gewinnen sie eine erzählerische Souveränität, die ihnen in vielen Darstellungen der Wiedervereinigung oft verwehrt bleibt.
Gleichzeitig entwickelt sich eine politische Ebene, die in der ersten Hälfte des Stücks noch zurückhaltend angedeutet wird. Allmählich wird deutlich, dass das Leben im Osten nach 1990 doch nicht einfach mit dem im Westen gleichzusetzen ist. So muss Trude Grimm erst eine pädagogische Prüfung bestehen, bevor sie weiterhin als Lehrerin arbeiten darf – eine Hürde, die vielen ostdeutschen Berufsgruppen nach der Wiedervereinigung auferlegt wurde.
Diese Dynamik spiegelt die größeren Herausforderungen der Wiedervereinigung wider: Während offiziell von der »blühenden Landschaft« die Rede war, fühlten sich viele Ostdeutsche in der neuen Bundesrepublik nicht wirklich angekommen. Strukturelle Ungleichheiten, der Verlust zahlreicher Arbeitsplätze und die einseitige Anpassung an westliche Normen führten dazu, dass sich viele als Bürger:innen zweiter Klasse wahrnahmen. Das Stück greift diese Problematik subtil auf, indem es zeigt, wie tief verwurzelte Vorurteile und Missverständnisse den Annäherungsprozess erschweren.

Auch auf der Regensburger Bühne zeigen sich die Schwierigkeiten im Annäherungsprozess: Der Vorhang im Bühnenbild, der anfangs Ost und West trennt, kommt im Laufe des Abends immer weniger zum Einsatz. Und als Steinheims Frau (Lilly-Marie Vogler) schließlich auf ein Treffen mit der Familie Grimm drängt, wiederholt sie unbewusst die gleichen Fehler im Umgang mit den Ostdeutschen, die ihr Mann einige Wochen zuvor gemacht hat. Ein Zeichen dafür, dass die Missverständnisse zwischen Ost und West vielleicht nicht so einfach zu überwinden sind.

Dialog anstatt heftige Reaktionen

Es werden viele unterschiedliche Themen angeschnitten und man könnte kritisieren, dass es dem Schauspiel für einen echten Beitrag zur Aufarbeitung der Ost-West-Entfremdung an politischer Tiefe fehlt. Doch gerade weil das Stück politische Fragen eher andeutet als beantwortet, lädt es zum Dialog ein.

Heftige politische Statements provozieren oft ebenso heftige Reaktionen – genau das möchte Wir sind auch nur ein Volk vermeiden. Vielmehr geht es um eine Annäherung, um das gegenseitige Verstehen, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu mahnen. Die Komik dient dabei nicht der Bloßstellung, sondern als Türöffner für Reflexion und Dialog.

Das Ableben der letzten Zeug:innen der Shoah zeigt, wie wichtig Medien für die Erinnerungskultur geworden sind. Auch wenn es noch Jahrzehnte dauern wird, bis die letzten Zeitzeug:innen des Mauerfalls nicht mehr selbst berichten können, ist es essenziell, der medialen Aufarbeitung schon jetzt Raum zu geben. Theater kann dabei eine wichtige Rolle spielen – nicht als Ort der endgültigen Antworten, sondern als Raum für neue Fragen. Wir sind auch nur ein Volk nutzt genau diesen Spielraum und zeigt, dass die deutsche Einheit längst nicht nur Geschichte, sondern noch immer ein Prozess ist.



Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (https://www.theaterregensburg.de/produktionen/wir-sind-auch-nur-ein-volk.html)

Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.

Beitragsbild: Anna Paula Muth, Paul Wiesmann, Kathrin Berg, Thomas Mehlhorn & Gerhard Hermann © Sylvain Guillot

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