Vom Altern der Eltern

Vom Altern der Eltern
Die leise Erkenntnis, dass unsere Eltern nicht die ewige Konstante sind, die sie einst zu sein schienen. Bewegt von Sorge, Trauer, Mut und ein wenig Neugier, wenn es darum geht, den Blick auf sie neu auszurichten.

von Lea Amelie Stöbe

Meine Eltern altern. 

An sich schon ein Leben lang. Selbstverständlich – wir werden ja alle älter von Jahr zu Jahr. Aber meine Eltern werden nicht nur älter, sie altern! Und das war doch noch nicht immer so. Das ist eine schleichend erschreckende Erkenntnis der letzten Jahre. 

Früher waren sie die ewigen Leuchttürme meiner Welt, unfehlbar, in ihren Worten und Gesten fest verankert. Doch die Wellen der Zeit haben an ihnen gezehrt und dazu noch Seiten an ihnen freigespült, die ich wohl erst im jungen Erwachsenenalter erkennen sollte. 

Winzige Gebrechlichkeiten – so winzig, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, wann sie begannen – werden zu einem andauernd wachsenden Zustand: Zerbrechlichkeit. Da ist eine fragile Seite, die mir Angst macht, die mein Herz schwer macht. Es fühlt sich fast schon an wie Trauer. Seltsam. Oder vielleicht doch gar nicht so sehr. Ich trauere um die Zeit, in der ich das Gefühl von Sorge um meine Eltern nicht kannte. Um die Unbeschwertheit, um die Gewissheit, dass sie der ewige Fels in der Brandung sind und ich ihre Anwesenheit nicht mit einem Funken in Frage stellte. Es ist so schwer, davon loszulassen, auch wenn es der Lauf der Zeit ist.

Und dann ist da noch eine weitere Veränderung. Mit jedem Jahr, dass ich älter werde, verlieren ihre Worte den absoluten Wahrheitsanspruch, den ich einst bedingungslos akzeptierte. Eine Sicherheit fällt weg, die ich in meinen eigenen Überzeugungen wiederfinden muss. Ich erkenne, dass ich nicht länger alles glauben muss, was von ihnen kommt, denn in den Rissen ihres einst so festen Fundaments zeigt sich die menschliche Unvollkommenheit – und gerade darin liegt eine neue, tiefe Echtheit.

Es ist ein ungewohnter Tanz zwischen Angst und Sorge um ihr Schwinden, Reibung an so mancher Engstirnigkeit, der Erkenntnis, dass auch sie das Leben zum allerersten Mal leben und tiefer Dankbarkeit für die unzähligen Momente, in denen sie mir den Weg wiesen. Nun stehe ich an einem Scheideweg: Ich muss lernen, ihre Vergänglichkeit zu akzeptieren und gleichzeitig immer wieder aufs Neue den Mut finden, meinen eigenen, unsicheren Pfad zu gehen.

Ich schaue meine Eltern jetzt anders an als früher und in diesem Blick liegt folgende Erkenntnis: Das Altern unserer Eltern ist nicht nur ein schmerzlicher Verlust der alten Sicherheit, sondern auch die Chance, miteinander zu wachsen und das Leben in seiner unvollkommenen Schönheit gemeinsam neu zu entdecken.


Titelbild: ©Olivia Rabe

+ posts

Studentin der Medienwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre/BWL

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert