Sonnenlicht und Mondschein

Sonnenlicht und Mondschein
Ein metaphorischer Text über Wahrnehmung und Realität. Über das Reflektieren, um den Schein zu wahren. Und darüber alles zu geben, selbst wenn es zu viel ist. Alternativ: Darüber, für die eigene Nettigkeit ausgenutzt zu werden.

von Pauline Kral

Wer sie beschreiben sollte, betonte stets: Ihr Lächeln war strahlend.

Es erleuchtete jeden Raum, warf einen hellen Glanz auf alle Anwesenden. Wärmte und bot Sicherheit und Kraft. Blenden tat es dabei nie, sondern war immer gerade richtig. Hell genug, um darin zu baden, sich zu sonnen, Energie zu tanken, aber niemals unangenehm gleißend.

Wer lichtempfindlich war, auf dem verweilte ihr Lächeln nicht zu lange. Wessen Augen hinter getönten Brillengläsern verborgen lagen, für die nahm sie sich die Zeit, sicherzustellen, dass sie dennoch genug sehen konnten. Wo Licht ist, dort gibt es auch Schatten, also blieb sie in Bewegung, um allen Momente der Helligkeit zu schenken und niemanden für allzu lange im Dunkeln verharren zu lassen.

Manche sprachen von einem 1000 Watt-Lächeln, wie von einer extra starken Glühbirne, doch den allermeisten erschien ihr Lächeln nicht derart artifiziell und sie zogen den Vergleich mit der natürlichen Strahlkraft der Sonne vor. So konnten sie sich auch erklären, warum ihr Lächeln gegen Ende des Tages an Kraft verlor und die Nacht heraufzog. Jeden Abend schlossen sie in der Gewissheit die Augen, dass ihr Licht zurückkehren würde und wenn es am nächsten Tag bewölkt war, so wurden sie ungeduldig und waren enttäuscht. Doch die wenigsten hielten an ihrem Groll fest, sobald der nächste Sonnentag anbrach.

Sie spürte die Augen auf sich. Kalt.

Sie wusste, sie schweiften umher auf der Suche nach Wärme. Verweilten auf ihr in Erwartung ihres Lichtes. Und sie gab beides bereitwillig. Er kam zu ihr wie von selbst, lag in ihrer Natur, der Schein.

Was niemand bemerkte, war, dass sie nicht etwa golden glänzte – wie die Sonne.

Nein, ihr Glanz war silbrig – wie der Mond.

Es reichte trotzdem, um die Erwartungen nicht zu enttäuschen. Doch die wiederkehrenden Phasen, in denen ihr Lächeln dämmriger schien als üblich oder sogar vollständig verschwand, blieben nicht unbemerkt. Gelüpfte Augenbrauen und missbilligende Blicke begleiteten sie durch diese Zyklen. Dann wandten sich die Leute neuen Lichtquellen zu, warfen sich andere Decken um die Schultern. Ersatz gab es genug. Doch kaum erstarkte ihr Leuchten wieder, kehrten sie zurück wie etwa die Motten zur einzigen Straßenlaterne weit und breit. Nur zu gierig, sich darin zu baden.

Sie bemerkten nicht, dass es kein Sonnenbad war. Dazu sahen sie nicht aufmerksam genug hin. Wozu auch, wenn doch alle wussten, dass es gefährlich war, zu lange in die Sonne zu schauen.

So war es kein Wunder, dass niemand bemerkte, woher das Strahlen tatsächlich kam.

Dass es kein glühender, kraftvoller Feuerball war, der da stabil in ihrem Universum verankert war. Der über eine Unendlichkeit an Energie verfügte und diese nach Belieben verschenken konnte.

Dass es stattdessen ein kalter, von Kratern gezeichneter, schwerer Fels war, der durch die Gesetze der Physik dazu gebunden war, um die Leute zu kreisen und sie zu illuminieren. Unfähig sich aus eigener Kraft zurückzuziehen, von seinem Kurs abzukommen.

Dass der Fels selbst kalt und leer war und nur geben konnte, was ihm möglich war zuvor selbst aufzusaugen.

Es reichte nie. Und so kam es zu den düsteren Phasen, wenn mehr von ihm verlangt wurde, als er zu geben hatte.

Denn auch wenn es ihm gelang, es zu verbergen, so hatte der Mond eine herausragende Schwäche: so sehr er es auch versuchen mochte, er würde niemals von allein leuchten können. Was er gab, fehlte ihm. Was er aufopferte, zehrte an seiner scheinbaren Energie. Bis kein Licht mehr übrig war, dass reflektiert werden konnte.


Titelbild: © Pauline Kral

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