Schreibwerkstatt: »Jahresrückblick«

Schreibwerkstatt: »Jahresrückblick«
Ein Text zum Thema »Begegnungen und Gespräche« der Printausgabe 38 der Lautschrift, verfasst im Rahmen der Schreibwerkstatt (Prof. Dr. Jürgen Daiber) an der Universität Regensburg.

von Charlotte Schwarz

Liebes Januar-Ich,

jetzt ist Dezember und du weißt noch nicht, wie in vier Monaten dein Herz gebrochen wird, und von der schweren Entscheidung, die du jetzt endlich richtig treffen musst. Du denkst gerade, endlich ist alles auf einem guten Weg und das fühlt sich bald ganz anders an. Ich weiß, es macht dir Angst. Aber im Nachhinein ist es das Beste, was dir passieren konnte. Denn du weißt auch noch nicht, dass du in diesem Sommer so viel über dich durch andere lernen wirst. Dass es gar nicht so schwer ist, loszulassen, dass es nur so lange schwer ist, wie du es nicht tust. Dass es leichter ist als gedacht und dass du diesen Urlaub buchst und er dir zeigt, dass das Leben so viel mehr zu bieten hat. Dass du zwischen Touri-Fallen und Raki Griechisch lernst und Fragen über Fußball beantwortest wie ein Profi, glaubst du mir nicht. Dass du der Frau hinter der Bar ein Kompliment zu ihrem Outfit und mit dem Kellner vom Frühstück Witze über Deutsche machst, auch nicht. Und noch weniger, wenn ich dir erzähle, dass du zwischen elf und zwei zu den Nachbarn über den Balkon hüpfst, griechischen Wein trinkst und dabei Karten spielst, als würde es kein Morgen geben. Nicht, wenn ich dir erzähle, dass es sich lohnt, ja zu sagen, und dass es sich nicht lohnt, wegen schlechter Laune nicht den letzten Sonnenuntergang anzuschauen. Du bist gerade noch in der Phase, in der du es versuchst. In der du Angst hast, dich zu trauen, dich zu öffnen, weil Gewohnheit bedeutet in deinem Kopf immer noch Sicherheit. Bald erkennst du, dass damit vor allem auch das abfällt, was dich daran hindert, mehr zu sehen, mehr zu leben und mehr zu sein. Alle sprechen immer von diesem Sommer deines Lebens und genau der wartet auf dich. Mit neuen Begegnungen und neuen Perspektiven, weil Erinnerungen, die bleiben. Du bist offen, du bist neugierig, du bist mutig und auch wenn du wieder für dich bist, bist du richtig. Du wirst dich richtig fühlen. Du wirst auf das Treffen gehen und danach darüber lachen, weil es war wie im Film, aber der Film war schlecht. Du wirst eine Stunde fahren, um mehr Zeit mit dem zu verbringen, der eigentlich zu viel über sich selbst redet. Aber du wirst merken, wie viel in dir steckt und wie viel möglich ist, wenn du dich öffnest. Du wirst drei Stunden in die Sonne fliegen und mit tan lines, einer zerbrochenen Freundschaft, aber Schmetterlingen im Bauch zurückkehren. Weil Du hast es geschafft, dich in das Leben zu verlieben. Ganz unabhängig von dieser einen Person, sondern durch den Einfluss vieler, ganz unverhofft und ganz ungefiltert. 

Und ich weiß, wie viel Angst ich dir hiermit gerade mache, aber ich will dir von dieser Dankbarkeit erzählen, die ich jetzt spüre, wenn ich daran denke, wie mutig du warst. 

Also Danke dir von Herzen, 

dein Dezember-Ich


Titelbild © Olivia Rabe

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