Wie Man(n) vom Feminismus profitiert
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Wer behauptet, Feminismus sei ausschließlich ein von Frauen geführter Kampf gegen ein unterdrückendes System und richte sich dabei gegen Männer, liegt falsch. Es geht nicht darum, jemanden auszuschließen oder Schuld zuzuschieben, sondern darum, starre Rollenbilder und Ungleichheiten abzubauen – die auch Männer betreffen. Denn nicht nur Frauen leiden unter den Auswirkungen patriarchaler Strukturen und Rollenbilder, sondern ebenso Männer und alle Menschen, die sich nicht in das starre binäre System einfügen.
Von Viola Wiesbauer
Die Auswirkungen stereotypischer Rollenbilder zeigen sich bereits in der Kindheit: Bei der Wahl der Kleidung wird der Sohn in kräftigen, blauen Klamotten gekleidet und die Tochter in zarten, rosafarbenen Kleidern. Geburtstagsgeschenke werden geschlechtsspezifisch ausgewählt, ganz nach dem Motto: Autos für ihn, Puppen für sie. Und in der Schule wird oft auf subtile Weise vermittelt, dass Naturwissenschaften als »männlich« gelten während Sprachen sowie Geisteswissenschaften eher »weiblich« seien. Doch warum das Ganze? Weil historische Machtstrukturen, die sich über Generationen hinweg etabliert haben, so tief in unserer Gesellschaft verankert sind, dass sie selten hinterfragt werden. Sie suggerieren, dass Jungen stark, emotional zurückhaltend und rational sein müssen, während Mädchen als fürsorglich, mütterlich und sensibel gelten. Diese Normen schränken nicht nur die individuelle Entwicklung ein und hindern Menschen daran, ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten frei zu entfalten, sondern bestimmen auch die gesellschaftliche Rollenverteilung für die Zukunft.
Dasselbe Muster wird im Berufsleben weitergeführt: Naturwissenschaftliche Studiengänge und technische Berufe werden gesellschaftlich als Männerdomäne definiert, während Frauen in Berufe und Studiengänge aus den Bereichen Gesundheit, Soziales und Erziehung erwartet werden. Wenn es um die Elternzeit geht und die Frage, wer bei dem Kind zu Hause bleibt und wer das Geld verdient, soll die karriereambitionierte Mutter nach der Geburt oft ins Abseits geraten, während der Vater in der Rolle des alleinigen Ernährers feststeckt – ein Muster, das alle in ihrer Freiheit einschränkt.
Besonders betroffen sind Menschen, die sich nicht in das starre binäre System einfügen können. Die LGBTQIA+ Community, insbesondere trans* und nicht-binäre Personen, erfährt häufig Vorurteile und Diskriminierung, weil sie nicht in das traditionelle Bild von »Mann« oder »Frau« passen. Solange diese starren Normen, geprägt durch patriarchale Strukturen, nicht aufgebrochen werden, bleibt kein Raum für ein inklusiveres Verständnis von Geschlecht und Identität und damit auch keine gerechte Gesellschaft, die Vielfalt anerkennt, unterstützt und feiert.
Deshalb ist Feminismus als gemeinsame Freiheitsbewegung essenziell – nicht nur für Frauen, sondern für alle. Feminismus befreit von Zwängen: Männer dürfen verletzlich sein, ohne dabei ihre »Männlichkeit« infrage gestellt zu sehen. Frauen können nach der Geburt weiterarbeiten, ohne dabei in das Licht der »schlechten Mutter« gerückt zu werden. Mädchen müssen keine rosa Kleider tragen und mit Puppen spielen, um als feminin zu gelten, und Jungen müssen weder Blau tragen noch mit Autos spielen, um Stärke zu symbolisieren. Maschinenbau ist nicht nur für Männer, genauso wie Erziehung nicht nur für Frauen ist. Letztlich sollte jede Wahl eine Frage der Leidenschaft, der Freude und des Talents sein, nicht des Geschlechts.
Dies kann nur durch einen gemeinsamen Feminismus verwirklicht werden, der es uns allen ermöglicht authentisch zu leben – frei von alten Zwängen und überkommenen gesellschaftlichen Erwartungen. Er ebnet den Weg zu einer Gesellschaft, in der Männer, Frauen und alle, die sich in der bunten Vielfalt menschlicher Identität wiederfinden, respektiert und unterstützt werden.
Feminis:muss für alle.
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Titelbild © Olivia Rabe
Beitragsbild © Lotta Guenaoui