Gefährdet: Die fragile Welt der Kultur

Gefährdet: Die fragile Welt der Kultur
Am kommenden Sonntag, den 23. Februar 2025, steht Deutschland vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Während Diskurse über Migration und wirtschaftliche Stabilität den Wahlkampf dominieren, gerät ein Bereich fast in Vergessenheit: Die Kultur.

von Yannick Schmidl

Nach dem hoch geschätzten Soziologen Stuart Hall definiert sich Kultur als ein System der Repräsentation. Kultur ist der komplexe Weg, den Menschen bestreiten um der Welt einen Sinn zu geben. Nicht zwingend müssen Museumsbesuche auf der täglichen Agenda stehen, um Teil einer kollektiv-kulturellen Identität zu sein. Sie umgibt uns alle und prägt unser Verständnis und Beurteilungsvermögen über alltägliche Lebenssituationen. Eins wird der kulturschaffenden Branche hierbei zum Verhängnis: Sie ist aus ökonomischer Sicht wenig attraktiv und damit nicht unerheblich an staatliche Förderung und Gewichtung innerhalb parteiinterner Standpunkte gebunden. Ein Überblick auf die Kulturressorts in den Wahlprogrammen der relevanten Parteien zeigt, welcher Grad an Marginalisierung und Beeinflussung zukünftig Realität sein könnte.

UNION CDU/CSU

Die Christdemokraten vereinen ihre kulturpolitischen Ziele unter den Begriffen »Leitkultur und Zusammenhalt«. In den ersten Teilpunkten wird geschildert, wie Menschen mit Migrationshintergrund bestmögliche Chancen haben sich die sogenannte Leitkultur anzueignen. Schnell kristallisieren sich folgende Kernpunkte im Wahlprogramm heraus: Kulturelles Erbe, Tradition und Religion. Christliche Werte und Normen sollen Vorrang haben, doch auch muslimisches und jüdisches Leben soll in Deutschland attraktiver werden ohne das der Deckmantel der Religionsfreiheit von radikalen Kräften ausgehebelt wird. »Die Deutsche Leitkultur« soll als Leuchtturm unserer Freiheit gepflegt und weiterentwickelt werden. 

BÜNDNIS 90 / Die Grünen

Die Grünen widmen in ihrem aktuellen Wahlprogramm der kulturellen Landschaft in Deutschland ein knapp zwei-seitiges Plädoyer mit dem Titel »Für lebendige Kunst und Kultur«. Der 2023 unter Federführung der amtierenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth eingeführte Kulturpass für 18-Jährige soll beibehalten werden und jungen Menschen weiterhin Budget bereitstellen kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen wahrzunehmen. Weitere Wahlversprechen, wie der allgemeine Ausbau des Bundeskulturfonds sollen grundlegende Förderungen und Reformen in der Film-, Games- und Verlagsbranche ermöglichen. Die Grünen vereinen alle kulturpolitischen Ziele unter dem Nenner einer notwendigen Investition für ein demokratisches und vielfältiges Zusammenleben und für einen daraus resultierenden Stabilitätsanker in unserer Gesellschaft. 

AFD

Auch die Alternative für Deutschland verwendet in ihrem Konzept den Begriff »Deutsche Leitkultur«, wird aber radikaler, wenn es um die Abgrenzung zum »Multikulturalismus« geht. Eine vielfältige Kulturlandschaft führe vermeintlich zu Parallelgesellschaften, denen es gilt entschieden entgegenzutreten. Es wird von staatlicher Einflussnahme im kulturschaffenden Bereich gewarnt, die mithilfe der Föderalisierung und Begrenzung des bundespolitischen Einflusses auf ein Minimum reduziert werden soll. Obendrein wird auf Höhepunkte der deutschen Geschichte hingewiesen, die, verglichen mit den Tiefpunkten, einen höheren Stellenwert in der Erinnerungskultur einnehmen sollen. Die Partei geht hierbei exemplarisch auf das Kaiserreich und seine Kolonialisierungsbemühungen ein und lehnt die damit verbundene »Verteufelung des weißen Mannes« entschieden ab. Detaillierte Vorstellungen über Kulturförderung sucht man allerdings vergebens. 

SPD

»Kultur für alle« – so leitet die SPD ihre Kernversprechen im aktuellen Programm ein. Insbesondere wird auf die Stärkung freischaffender Künstler:innen durch Urheber:innenschutz und Kontrollierung künstlicher Intelligenz hingewiesen. Die SPD setzt sich für ein breites Kulturverständnis ein, wobei sowohl Hoch-, Pop- und etwaige Subkulturen gleichermaßen Bedeutung zugestanden wird. Kulturpolitik wird als Instrument gesehen, freiheitlich-demokratische Grundordnungen aufrecht zu erhalten und eine Form der diskursiven Gesellschaft zu gewährleisten, die mittels bezahlbarer Kulturangebote auch von jeder Person aktiv mitgestaltet werden kann. »Kulturschutzgebiete« sollen kulturelle Foren, wie Clubs langfristige Stabilität ohne Verdrängung bieten. Den Bereich Kultur als Staatsziel in der Verfassung zu verankern soll entschieden dazu beitragen die zukunftsgerechte Organisation und Finanzierung der Kultur zu gewährleisten. 

FDP

Die Liberalen sprechen sich für eine Stärkung der Göthe-Institute aus und wollen diese mit digitalen Angeboten attraktiver gestalten. Zudem schlägt die Partei in ihrem Konzept einen gesamteuropäischen also internationalen Weg ein und verweist auf auswärtige Kultur- und Gesellschaftspolitik, wie die Schaffung eines EU-weiten Kulturfonds für Denkmalschutz nach dem Vorbild des britischen Programms »European National Trust«. Reformbemühungen wie die Aufnahme moderner Kreativelemente respektive die Kunst des Designs oder die Gestaltung von Comics sind ebenfalls Bestandteil der Wahlversprechen. Der typisch ökonomischen Sichtweise wird die FDP gerecht, indem sie einleitend von einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Deutschlands spricht, den es zu stärken gilt. 

Die Linke 

In der Filmförderungsanstalt soll ein Diversitätsbeirat installiert werden, der zu Themen wie Inklusion und Antidiskriminierung berät. Zudem soll Provenienzforschung staatlich gefördert werden, um unrechtmäßig erworbene Kulturgüter den jeweiligen Herkunftsländern zurückzuführen. Eine Verbesserung der Infrastruktur für freischaffende Künstler im räumlichen Sinne, aber auch finanziell, im Sinne erweiterter Künstlersozialkassen soll mithilfe von Bürokratisierungs-Abbau und Verdrängung von Profitorientierung auf den Weg gebracht werden. Die Kulturförderung zur politischen Pflichtaufgabe zu machen und alle Länder und Kommunen mit monetären Mitteln zur Erfüllung dessen auszustatten sei unabdingbar – so das Wahlprogramm der Linken.

Tradition bewahren oder Entwicklung wagen?

Es gilt zu beachten, dass nicht alle in den Wahlprogrammen aufgeführten Punkte Eingang in die oben genannten Informationsblöcke gefunden haben. Zu erwarten war eine deutliche Diskrepanz in Hinblick auf den Umfang der jeweiligen Kapitel. Die Bandbreite zwischen mehrseitigen Abschnitten und wenigen Zeilen ist groß und spiegelt den Stellenwert kultureller Förderung in den politischen Leitlinien wider. Deutlich wird zudem die intrinsische Motivation, die hinter den Programmpunkten steht. So verstehen sich manche Parteien als Behüter einer deutsch-hochkulturellen Landschaft, die durch regressive Staatsführung und Distinktion aufrechterhalten werden soll, während der Großteil eine eher progressive Herangehensweise anstrebt, die auf kulturelle Weiterentwicklung und vielfältiges Zusammenleben abzielt – oft begleitet von staatlichen Investitionen. Entscheidend ist dabei, in welchem Umfang monetäre Mittel aus dem Bundeshaushalt kredenzt werden und welche nicht-finanziellen Unterstützungen wie Steuerentlastungen oder Schutzmaßnahmen angeboten werden. Das Kreuz auf dem Wahlzettel betrifft also nicht nur Migrations- oder Klimapolitik, sondern beeinflusst auch unser gesellschaftliches Miteinander stärker, als vielen bewusst ist.


Titelbild © Yannick Schmidl

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