Zurück in die Zukunft: Die Renaissance der Analogkultur
Vinyl-Platten, Häkeln und Polaroid-Fotos: Es scheint, als erlebe unsere Welt eine Renaissance der Analogkultur. Was verbirgt sich hinter dem Trend?
von Olivia Rabe
Zehn neue Nachrichten auf WhatsApp. WhatsApp schließen. Tik Tok öffnen, nur um es eine Stunde und 20 Saves später wieder zu schließen. Inspirationen, neue Musik oder ein Video, welches man eben gut nachvollziehen kann. Alles für irgendwann mal. Für ein »Ah, das probiere ich mal aus«. Tik Tok schließen, nur um fünf Sekunden danach alles zu vergessen, was man eigentlich gerade gesehen hat. Instagram öffnen. Der eine am Meer, die andere am Kaffee trinken, der eine postet ein Outfit-Reel, die andere ein Kochvideo. Instagram schließen. Durchatmen. Ein Griff zu Analogkamera, Film rein, ein Gang nach draußen. Ein Suchen nach den Fehlern, nach Authentizität in einer Welt von digitaler Schnelllebigkeit.
Vinyl – eine warme Umarmung aus der Vergangenheit
Die Schallplatte war lange ein Relikt vergangener Zeiten. Doch in den letzten Jahren verzeichnet der Vinylmarkt zweistellige Wachstumsraten. Das Auflegen von Platten ist auch in der DJ-Welt längst nicht mehr nur eine Erinnerung, sondern präsenter denn je. Musikliebhaber:innen schwören auf den »warmen Klang« das Knistern, das physische Ritual: Platte auflegen, Nadel absenken und zuhören. Musik bewusster wahrnehmen, Artists wieder mehr wahrnehmen, ihnen und ihrer Musik wieder eine tiefere Bedeutung geben, weil man Musik für sich selbst wieder zu etwas Besonderem macht. Ein Kontrast: Anstatt seine 50 Playlists ohne wirklichen Plan zu skippen, wählt man bewusst aus; sucht nach Schätzen, baut sich eine Kollektion auf, die man sehen kann, anfassen kann. Mir wurde mal gesagt: »Wenn du dein Abo beendest, hast du gar nichts mehr.« Platten verhindern das, durch sie hast du immer Musik, und zwar die, die du wirklich hören möchtest, die mit der man seine Gefühle ausdrücken möchte.
Filmfotografie – Rauschen statt 8k-Auflösung
Der Markt entwickelt sich weiter. Angekommen bei spiegellosen Kameras, Photoshop und Co, entwickelt sich vor allem bei der Generation Z vieles rückwärts. Von wegen ,alles muss neu und modern sein‘. Stattdessen hängen in den WG-Küchen-Polaroids von vergangen WG-Partys und Filmrollen stapeln sich auf den Schreibtischen. Warum ist das so, wenn die heutigen Kameras doch so viele Gadgets zu bieten haben? Es endlose Möglichkeiten der künstlerischen Freiheit gibt. Etwas mehr Wärme? Dodge and Burn? Anderer Hintergrund, Collagen, invertieren. Die Liste ist lang. Es ist die Unberechenbarkeit, die den Reiz ausmacht. Nichts folgt einem perfekt zu geschnittenen Algorithmus. Kein Bild gibt es doppelt. Keine Serie mehr. Ein Shot, ein Blick auf die Realität, auf den Moment. Momente werden wieder zu Erinnerungen und nicht einfach vergessen.
Häkel-Oma vs. Fast Fashion
Nicht nur Musik und Fotografie, auch traditionelle Handwerke können sich einen Platz in der Gesellschaft zurück erkämpfen. DIY-Projekte wie Töpfern, Stricken oder Buchbinden erfreuen sich steigender Beliebtheit. Die Bedeutung hinter selbstgemachten Geschenken wächst, sie erzeugen die Intimität, die uns fehlt. Das Handwerk verleiht der Einsamkeit hinter den Bildschirmen wieder etwas gemeinschaftliches. Der Erfolg von Plattformen wie Etsy zeigt, dass viele den Wert von individuell hergestellten Produkten schätzen. Die Menschen sehnen sich nach Dingen, die sie anfassen können – ein Gegenpol zur oft »kalten« Digitalität.
Doch warum folgen wir immer mehr dem Motto: »Früher war alles besser«?
Die Renaissance der Analogkultur ist nicht nur Nostalgie, sondern auch ein Ausdruck von Protest gegen die Schnelllebigkeit und Perfektion der digitalen Welt. Den Druck, den die sozialen Medien vor allem auf junge Menschen und auf ihre Wahrnehmung, auf sich selbst und die Welt ausüben, möchte man beseitigen. Achtsamer mit sich selbst, offener für die eigne mentale Gesundheit. Kontrollierter Konsum und kein Verfallen in Endlosschleifen, in Dopamin raubenden Kurzvideos. In der digitalen Welt versuchen wir Individuen zu sein. Dabei finden wir diese Individualität genau mit diesen haptischen Momenten, abseits von Massenproduktion. Social Media und die moderne Welt, versteht es nicht falsch, sind keineswegs durch und durch schlecht. Sie sind auf ihre Weise, mit der richtigen Nutzung und gesundem Konsum, eine Bereicherung. Ein Segen und ein Fluch, der uns bei zu intensiver Nutzung unsere Menschlichkeit rauben kann. Etwas, was man sich durch die Analogkultur zurück erkämpfen möchte. Der Kampf um Menschlichkeit.
Titelbild: ©Olivia Rabe