Inside ProLife: Was hinter der neuen Hochschulgruppe steckt

Inside ProLife: Was hinter der neuen Hochschulgruppe steckt
»Wir sind Pro Choice, aber für gute Entscheidungen. Und eine Abtreibung ist das nie«, sagt die Leiterin Clara von ProLife Regensburg, einer Hochschulgruppe, die im Oktober 2024 nach zweimaliger Ablehnung durch eine Klage die Akkreditierung an der Universität Regensburg erreicht hat. Unsere Redakteurin hat sich genauer angeschaut, was dahinter steckt. Die Recherche hat sie bis zu einem internationalen Netzwerk geführt.

von Marie Odenthal

Im Oktober 2024 erregte die Universität Regensburg (UR) Aufmerksamkeit, als die Gruppe ProLife Regensburg ein lang ersehntes Ziel erreichte: Die Akkreditierung als Hochschulgruppe, also die Anerkennung und Verleihung verschiedener Befugnisse im universitären Rahmen. Was zunächst wie eine lokale Formalität aussieht, führte unsere Autorin auf ihrer Recherche viel weiter weg von der UR als erwartet – auf die internationale Ebene, in länderübergreifende rechts-konservative Kreise und vor allem zu der Erkenntnis, dass hinter der ProLife-Bewegung viel mehr steckt, als bekannt ist. 

Die Akteur:innen oder: Wer, Wann, Wo, Was?

Die Akkreditierung konnte ProLife Regensburg nach zweimaliger Ablehnung nur durch eine Klage erreichen, die im Januar 2024 vor das Landgericht Regensburg gebracht wurde. Im Sommer 2024 bot die UR schließlich einen Vergleich mit Aussicht auf Akkreditierung an, bevor es zu einem Gerichtstermin kommen konnte. Pünktlich zum Wintersemester 24/25 war es dann offiziell: ProLife Regensburg hat ab jetzt einen rechtmäßigen Platz in der universitären Landschaft. Dass die wenigen Mitglieder aus Regensburg diese Klage nicht allein durchgeführt haben, war zu vermuten. Um die ganze Geschichte zu verstehen, muss also weit über die Grenzen der Stadt und der UR hinausgeblickt werden.

Die Gruppe ProLife Regensburg gehört zur Dachorganisation ProLife Europe und ist somit eine der 23 Gruppen in neun europäischen Ländern, die ProLife Europe auf der eigenen Website angibt. Die Dachorganisation hat sich »Die Schaffung einer Kultur des Lebens in Europa« zum Ziel gemacht. Auf der gut strukturierten Website der Organisation heißt es: »[Abtreibung] ist die größte Verletzung der Menschenrechte und eine Gewalt gegen die Würde des menschlichen Lebens, die heute stattfindet.«

ProLife Europe arbeitet unter anderem mit der Alliance Defending Freedom International (ADF) zusammen. Die Alliance Defending Freedom International ist eine ursprünglich amerikanische, fundamental- christliche Lobby- und Anwält:innengruppe. Mit gewaltigen finanziellen und juristischen Mitteln versucht die ADF auf der ganzen Welt, ihre Wertevorstellungen durchzusetzen. Der Einfluss der ADF reicht sogar so weit, dass die Gruppe neben Niederlassungen in strategisch bedeutsamen Städten wie Washington DC und Brüssel laut eigenen Angaben auch bei den Vereinten Nationen akkreditiert ist. Einer ihrer rechtlich begleiteten, erfolgreichen Fälle ist die Erreichung der Akkreditierung der Hochschulgruppe ProLife Regensburg. 

Von Recht und Rechts

Amelie von den Medical Students for Choice Regensburg (MSFC), sagt im Interview mit der Lautschrift dazu: »Unter anderem aufgrund der Nähe zur ADF, einer Gruppe, die für rechtes Gedankengut wie Transfeindlichkeit, Homophobie und das Befürworten von Gehsteigbelästigungen bekannt ist, verurteilen wir die Akkreditierung der Hochschulgruppe scharf.«  Im Gegensatz dazu verweist Clara, die Gruppenleiterin von ProLife Regensburg im Interview auf die große Unterstützung, die sie von ADF erhalten haben: »Das sind Themen, die nichts mit unserer Arbeit zu tun haben. Die positiven Aspekte überwiegen für uns und wir wollen und können uns nicht von ADF abwenden.« 

Von ProChoice-Seite als Gehsteigbelästigungen bezeichnete Protestaktionen umfassen die Ansprache von Schwangeren, oft in der Nähe von Abtreibungskliniken, die die betroffene Person von der geplanten Abtreibung abhalten sollen. Solche Ansprachen sind seit dem 24. Januar 2024 im Umkreis von 100 Metern um die betreffenden Einrichtungen herum in Deutschland verboten. Clara von ProLife Regensburg kritisiert dieses Verbot: »Ich bin gegen Belästigung, aber auch gegen das Verbot solcher Aktionen. In einem demokratischen Staat müssen Menschen das machen dürfen.«

Für Akkreditierungen ist an der UR eigentlich der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) zuständig. Dennoch hat die spezielle Akkreditierung von ProLife Regensburg wohl primär die Universitätsleitung in Form des angebotenen Vergleichs übernommen. So ist auch auf der Homepage der UR ProLife Regensburg die einzige akkreditierte Gruppe, die unter der neuen Kategorie namens »Folgende Arbeitskreise und Hochschulgruppen sind akkreditiert durch die Universitätsleitung«  zu finden ist. 

Das kann sich jetzt ändern

Durch die Akkreditierung hat eine Hochschulgruppe neue Möglichkeiten, etwa Raumbuchungen, die Erlaubnis, Werbung zu machen und damit auch die Chance, das universitäre Leben viel stärker zu beeinflussen. Anna von MSFC äußert Besorgnis: »Rechts-konservative Kräfte haben jetzt ein Sprachrohr an der Uni, um vor allem junge Menschen zu erreichen. Wir befürchten, dass andere Studierende durch die Akkreditierung Diskriminierung und Anfeindungen am Campus ausgesetzt werden könnten und sind erschüttert darüber, dass die Universität Regensburg einer solchen Gruppe öffentliche Ressourcen bereitstellt.«

Die Verbreitung von Fehlinformationen gehört zu den Gefahren, die durch eine größere Möglichkeit zur Teilhabe wachsen. Die Formulierung auf der Website »[Das Abtreibungsmittel] Mifegyne bewirkt, dass der Embryo zunächst erstickt wird«,  stufen die Medical Students for Choice beispielsweise als gezielte Manipulation ein, da im Mutterleib keine Atmung stattfindet. Auch die Aussage, die fetale Herzfrequenz sei bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche feststellbar, ist aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten, eine Schwangerschaft zu berechnen, umstritten, worüber auf der Website nicht genügend informiert wird.

Inside ProLife Europe

Durch die Recherche über den Laptopbildschirm lassen sich nur Informationen abrufen, die recht oberflächlich die Ideologie der ProLife-Anhänger:innen wiedergeben. Unsere Autorin wollte allerdings mehr wissen. Was spielt sich hinter den Fassaden ab? Wer steckt hinter der Dachorganisation ProLife Europe? Und vor allem: Welche Überzeugungen der Mitglieder schaffen es nicht auf die öffentlich zugängliche Website? Während ihrer Recherche stößt unsere Autorin auf das Angebot eines Gesprächstrainings, in dem ProLife-Ideologie und passende Argumente gelehrt werden. Das Ziel des Trainings ist, später gestärkt in den Diskurs zu gehen und andere Menschen im Gespräch zu überzeugen. 

Beim ersten Zoom-Termin geht es um naturwissenschaftliche und philosophische Argumentationsmöglichkeiten. Zu den Lehrinhalten gehört die Klarstellung, dass das menschliche Leben bei der Befruchtung beginne. Von diesem Ausgangspunkt aus ist die Argumentation der Abtreibungsgegner:innen rein logisch nachvollziehbar, denn die Tötung eines Menschen ist immer falsch. Es ist also eine Frage der Definition – die Geister scheiden sich bereits bei der Frage, was bei der Befruchtung entstanden ist. Ferner sei die Geburt laut der Leiterin des Trainings nur ein willkürlich gewählter Zeitpunkt, ab dem das Kind Menschenrechte hat. 

Ideologie via Zoom 

Schockierend ist der angeführte Vergleich von Abtreibungen mit der Schoa, dem nationalsozialistischen Völkermord an rund sechs Millionen jüdischen Menschen während des zweiten Weltkriegs. Früher sei die gefährdete Gruppe die der Jüd:innen gewesen, heute seien es die ungeborenen Kinder, sagt die Leiterin des Trainings und begründet dies mit dem sogenannten »Mensch +« – Argument: Genau wie die Menschlichkeit des ungeborenen Kindes nicht ausreicht, um eine schützenswerte Person mit Menschenrechten zu sein, hätten damals Jüd:innen eine Eigenschaft gefehlt, um eine solche Person zu sein, was den Genozid an ihnen in Augen der Nazis gerechtfertigt habe.

Der Vergleich der Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft mit dem unbeschreiblichen Leid von Millionen von Menschen – einem der schrecklichsten Verbrechen an der Menschheit  ist respektlos und verharmlosend. 

Um den Nationalsozialismus geht es auch beim zweiten Termin, bei dem zeitgenössische und kulturelle Fragen behandelt werden. Wir sprechen über Abtreibungen von Kindern mit Behinderungen. Die Leiterin erzählt von einem Gesprächspartner, der gesagt haben soll, dass das Leben von Kindern mit Behinderung nicht schützenswert sei und dass Hitler ja vielleicht doch Recht gehabt habe. Wir werden aufgefordert, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Mit rechtem Gedankengut wird wohl recht opportunistisch umgegangen.

Der Platz des Feminismus

Bei dem Thema Feminismus ist die Sicht der Abtreibungsgegner:innen ganz klar: Die Frau, ihre Rechte und ihr Körper seien wichtig. Ebenso wichtig sei aber das ungeborene Kind, das in ihrem Bauch heranwächst. Die Freiheit der Schwangeren, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, höre da auf, wo die Freiheit des Kindes anfängt. Und für diese Freiheit müsse das ungeborene Kind leben dürfen. Auch das Argument, dass ein Verbot von Abtreibungen nicht zu einem Ausbleiben letzterer, sondern lediglich zu unsicheren Abtreibungen führen würde, wird schnell aus dem Weg geräumt: Abtreibungen seien nie sicher, denn es sterbe immer ein Mensch – und genau das gelte es zu verhindern. Dabei ist belegt, dass unsichere Abtreibungen einer der fünf häufigsten Gründe für Müttersterblichkeit weltweit sind.

Am Ende des zweiten Termins beginnt unsere Autorin, kritische Fragen zu stellen: »Was ist in dem Fall, dass ein sehr junges Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, durch eine Vergewaltigung schwanger wird? Sollte dann Abtreibung wenigstens in Erwägung gezogen werden dürfen?« Die Antwort ist wenig überraschend: Die Leiterin sagt, dass das Mädchen sowieso ein Leben lang unter der Gewalttat an ihrem Körper leiden würde und eine Abtreibung die Tat nicht ungeschehen und das Leben des Opfers nicht besser machen würde. Vielmehr würde man durch die Abtreibung das ungeborene Kind, das nichts für die Umstände seiner Zeugung kann, für die Sünden des Vaters bestrafen. Ein schwer traumatisiertes Kind würde also nach dem Willen der Leiterin des Gesprächstrainings gezwungen werden, die Strapazen einer Schwangerschaft und die Schmerzen einer Geburt zu erleben, nur um das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen. 

Freiheit als Fazit

Die beschriebenen Lehrinhalte werden ungefiltert weitergegeben und es wird zur Verbreitung aufgerufen – es sollen also Menschen mit der ProLife-Ideologie konfrontiert werden. Schnell geht es bei der Diskussion um Abtreibungen um den Begriff der Freiheit. Zum einen ist da die Freiheit zur Meinungsäußerung der ProLife-Anhänger:innen, wie es Clara von ProLife Regensburg abschließend formuliert: »Unser Ziel ist zunächst immer der friedliche Diskurs und der Austausch von Standpunkten.« Zum anderen besteht auch die Freiheit dazu, von ebendiesen nicht beeinflusst zu werden sowie die Freiheit zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Beide Sphären der Freiheit können kaum koexistieren, weshalb es zum Konflikt kommt. Dieses komplexe Verhältnis wird weiter diskutiert werden – nun auch stärker an der Universität Regensburg.


Titelbild © Marie Odenthal


Quellen:

Akkreditierung der Pro-Life Hochschulgruppe

ADF International

ProLife Europe

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